Getrieben von einer Binnenkrise, baut China die »grüne« Exportwirtschaft aus. Und orientiert sich damit an deutschen Wirtschaftskonzepten.
jungle world, 02.05.2024 (erschien unter dem Titel „Mach deine Nachbarn zu Bettlern“)
Solarmodule, Elektroautos und Batterien werden immer günstiger. Ist er also doch realisierbar, der sagenumwobene »grüne« Kapitalismus? Eher nicht. Und der profane Grund dafür ist, dass diese Produkte hauptsächlich in China gefertigt werden, was für die EU und die USA ein großes industriepolitisches Problem darstellt. Anfang April kritisierte die US-Finanzministerin Janet Yellen anlässlich ihrer China-Visite die »grüne« Exportoffensive der Volksrepublik, die USA nicht »akzeptieren« würden, da sie dies viele Arbeitsplätze kosten könnte.
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Die Regierung von Präsident Joe Biden, die den protektionistischen Kurs von Donald Trump weiterführt, sieht in verdeckten staatlichen Subventionen die Ursache für die neuen günstigen chinesischen Waren, die derzeit den Weltmarkt fluten. Dieses Dumping stelle »die Lebensfähigkeit amerikanischer und anderer ausländischer Unternehmen« in Frage, so Yellen. Chinas Handelsminister Wang Wentao konterte, dass die chinesischen Elektroautos nur aufgrund kontinuierlicher Innovationen so günstig seien. In Mitteilungen wendet sich die Volksrepublik gegen Protektionismus, da hierdurch Konsumenten ökologisch nachhaltige Produkte vorenthalten würden, die zur Realisierung der Klimaziele notwendig seien.
Die Befürwortung des kapitalistischen Freihandels durch die Kommunistische Partei Chinas ist indes innenpolitisch motiviert. Die Regierung hofft, mit einer abermaligen Konzentration auf die Exportwirtschaft die rasch wachsenden ökonomischen Probleme in der Binnenwirtschaft kompensieren zu können. Der chinesische Staatskapitalismus fabrizierte die größte Immobilienblase der Weltgeschichte, die nun – allen staatlichen Interventionen zum Trotz – unweigerlich deflationiert. Die Preise im Immobiliensektor fallen, ein Heer von Kleinanlegern bangt um seine Investitionen in Bauruinen unfertiger Geisterstädte, gigantische Baukonzerne wie Evergrande und Country Garden taumeln am Rand der Pleite oder Abwicklung entlang.
Somit droht der Volksrepublik eine dauerhafte Stagnation des Binnenkonsums und der Konjunktur. Diese Konsumflaute verstärkt wiederum die industriellen Überkapazitäten, die mit dem Ende des Booms im Immobiliensektor entstanden.
Anstehender Paradigmenwechsel
Ein Blick auf die jüngste Wirtschaftsgeschichte der Volksrepublik kann den anstehenden Paradigmenwechsel erhellen: Es war gerade die durch gigantische Investitionen in Infrastruktur und Immobilien genährte Spekulationsblase, die den Wirtschaftsaufschwung Chinas seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 befeuerte. Zuvor wies die Volksrepublik ein exportgetriebenes Wirtschaftsmodell auf, das auf der Erzielung hoher Exportüberschüsse im Handel mit den USA und der EU beruhte. Ab 2009 sorgten die chinesischen Konjunkturmaßnahmen, mit denen die Folgen der geplatzten Immobilienblasen in Europa und den USA abgefedert wurden, für die Ausbildung der großen Baubonanza. Zwar war China mit seinen Kapitalverkehrskontrollen nicht direkt von der Finanzkrise betroffen, wurde aber durch die Rezession in Abnehmerländern indirekt geschädigt und baute darum die Binnennachfrage aus.
Die Zahlen sind eindeutig: Chinas Exportüberschüsse lagen zwischen 2006 und 2008 bei 7,5 bis 8,5 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP), sie sind danach auf weniger als drei Prozent gefallen, um 2018 und 2019 in den Promillebereich zu sinken. Seit 2020 sind wieder steigende Handelsüberschüsse zu verzeichnen. Der Anteil des Handels am BIP sank von rund 60 Prozent im Zeitraum 2004 bis 2008 auf weniger als 40 Prozent von 2016 bis 2022.
Deswegen ergibt es Sinn, von einer intendierten Rückkehr Chinas zum exportorientierten Wirtschaftsmodell zu sprechen, nachdem die Möglichkeiten eines spekulativen, kreditfinanzierten Binnenwachstums sich erschöpft haben. Damit scheint die Volksrepublik aber auch die beggar-thy-neighbour-Politik (»mach deinen Nachbarn zum Bettler«) der Bundesrepublik kopieren zu wollen, die seit der Einführung des Euro im Jahr 2000 mittels extremer Handelsüberschüsse ihre industrielle Basis sichern konnte – Verschuldung, Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit wurden so quasi mit exportiert.
Mehr noch: Die führende Rolle von »grünen« Produkten bei der auch in Deutschland beklagten chinesischen Exportschwemme erinnert an von im Umfeld der deutschen Grünen gehegte Wirtschaftskonzepte, die vor dem Regierungseintritt der Partei im Rahmen des angestrebten Green Deal der EU gerade der Produktion »grüner« technischer Produkte eine führende Rolle als Konjunkturtreiber zusprach. China scheint somit Deutschlands Ideen einer ökologischen Exportwirtschaft realisieren zu wollen.
Preis für Solarmodule um 90 Prozent gefallen
In der Volksrepublik stehen seit Jahren gigantische staatlich geförderte Produktionskapazitäten für nichtfossile Energieerzeugung und Verkehr zur Verfügung, die allein schon aufgrund der sich daraus ergebenden Skaleneffekte der westlichen Konkurrenz bei Elektroautos, Solarmodulen, Windkrafträdern oder Akkus überlegen sind. Chinas Solarfabriken sind um den Faktor zehn größer als die Standorte in Europa. Elektroautos made in China können rund zehn Prozent günstiger als die deutschen Konkurrenzmodelle feilgeboten werden. Bei Solarmodulen beträgt die Preisdiskrepanz gar 20 bis 30 Prozent. Die Solarbranche der »Werkstatt der Welt«, die bereits einen Marktanteil von 80 Prozent erreicht hat, könnte mit ihren Kapazitäten die derzeitige globale Nachfrage nach Solarmodulen zweieinhalbmal decken.
Mitunter sollen westlichen Schätzungen zufolge die »grünen« Waren der Volksrepublik zu Dumpingpreisen ohne Profite auf den Weltmarkt geworfen werden. Ohnehin ist der Preis für Solarmodule zwischen 2006 und 2023 um 90 Prozent gefallen. Zudem baut China als der größte Emittent von Treibhausgasen seinen regenerativen Energiesektor enorm aus, so dass die Volksrepublik in diesem Jahr tatsächlich sinkende CO2-Emissionen aufweisen könnte.
Doch Chinas Versuch, seine »grüne« Industrie als Träger eines exportorientierten Wirtschaftswachstums zu etablieren, findet in einem gegenüber 2008 stark veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld statt. Die große transatlantische Immobilienblase, die der »Werkstatt der Welt« ihre kreditgenerierte Nachfrage verschaffte, ist Vergangenheit. Statt Freihandel und Globalisierung herrschen nun im Westen Protektionismus und aktive staatliche Industriepolitik vor. Die USA, Deutschland und die EU sind bestrebt, ihre eigene Industriebasis zu stärken und auszubauen; sie nähern sich damit ein wenig dem ökonomischen Modell des chinesischen Staatskapitalismus an. Dies gilt gerade für die IT-Branche und für »grüne« Zukunftstechnologien.
»Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China in die Eiszeit« versetzen
Insofern sind tatsächlich handelspolitische Auseinandersetzungen zwischen China und der EU zu erwarten, wie sie etwa das Wirtschaftsblatt Capital im Februar prognostizierte – was zu Lasten der ohnehin angeschlagenen deutschen Autohersteller gehen würde, für die China immer noch ein wichtiger Markt ist. Angesichts europäischer Debatten über Investitionsbeschränkungen, Exporthürden und wirtschaftliche Entkopplung würde ein »relativ kleiner Streit« ausreichen, um die »Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China in die Eiszeit« zu versetzen, so Capital. Es gilt als sicher, dass China auf protektionistische Maßnahmen der EU mit Gegenmaßnahmen reagieren würde.
Im Gegensatz zu Deutschland haben die USA den Anteil derjenigen Industrien in den vergangenen Jahren erheblich reduziert, die im Fall eines Handelskriegs mit China exponiert wären. Neben den Bemühungen, die Chipfertigung wieder in den Vereinigten Staaten zu etablieren, will die US-Regierung auch bei der »grünen« Industrie die Produktionskette unter heimischer Kontrolle behalten. Vor ihrer besagten China-Visite machte Yellen klar, dass die USA notfalls »weitere Schritte« zum Schutz der Industrie für »saubere Energie« einleiten würden, die jetzt schon mit »Steuererleichterungen« bedacht worden sei.
Es seien nicht nur die USA, sondern auch viele andere Länder wie die europäischen, Mexiko oder Japan, die einen »massiven Druck« seitens der chinesischen Öko-Industrie spürten, so Yellen. Dabei sind Chinas Ausfuhrüberschüsse im Handel mit den USA und der EU zuletzt sogar deutlich zurückgegangen. Die Vereinigten Staaten weisen traditionell ein sehr hohes Handelsdefizit mit China auf, das 2022 rund 382 Milliarden US-Dollar betrug, 2023 aber auf circa 279 Milliarden fiel. Auch das Defizit der EU im China-Handel verringerte sich vom 2022 erreichten Rekordwert von 397 Milliarden Euro um 27 Prozent auf 291 Milliarden im Jahr 2023.
Chinas »grüne« Exportoffensive scheint aufgrund protektionistischer Tendenzen zum Scheitern verurteilt. Dass die Produktionskosten aufgrund der beständigen Rationalisierungseffekte in den chinesischen Großfabriken sinken, kommt hinzu – die Warenflut kann auch bei stagnierenden oder gar sinkenden finanziellen Überschüssen anschwellen. Die zunehmende handelspolitische Konfliktbereitschaft sogar bei schrumpfenden Handelsungleichgewichten verweist somit schlicht auf die Systemkrise, in der sich der an seinen beständigen Produktivitätssteigerungen zu ersticken drohende Spätkapitalismus befindet.
Da ein Wachstum auf Pump wegen der dazugehörigen Bildung immer größerer Spekulationsblasen nicht mehr möglich ist, versuchen alle Wirtschaftsstandorte, die eigene Krise durch Ausfuhrüberschüsse zu Lasten der Konkurrenz zu exportieren, was in einer begrenzten Welt nun mal unmöglich funktionieren kann – und die entsprechenden protektionistischen Reflexe zur Folge hat, die schon die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre prägten.