Die Klimakrise macht eine Politisierung des Wetters notwendig
jungle world, 11.01.2024
Sie scheinen mal wieder davonzukommen. Tim Lochner, der erste als AfD-Kandidat gewählte Oberbürgermeister Deutschlands, kündigte in einem Interview mit der neurechten Zeitschrift Junge Freiheit an, im sächsischen Pirna die kostenlosen Parkplätze für Elektroautos zu streichen. Damit liegt er ganz auf Parteilinie, die jeglichen Klimaschutz ablehnt. Denn die AfD ist der Meinung, dass Erkenntnisse über die sich entfaltende Klimakrise »wissenschaftlich nicht gesichert« seien. Sie will folglich alle – ohnehin lächerlich inadäquaten – Klimaschutzprojekte beenden.
Link: https://jungle.world/artikel/2024/02/klimakrise-politiiserung-vom-wetter-reden
Nur wenige Tage nach der Oberbürgermeisterwahl in Pirna kamen der Dauerregen und das viele Wasser, das vor allem Niedersachsen heftige Überflutungen und vielerorts Rekordpegelstände bescherte. Der dortige Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verwies schlicht auf den wissenschaftlichen Konsens: Die zunehmenden Wetterextreme stünden im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Zudem forderte er eine rasche Absenkung der CO2-Emissionen.
Und dennoch werden die rechten Klimasaboteure und Klimawandelleugner nicht offensiv konfrontiert. Hunderttausende von Menschen sind von den Folgen eines katastrophalen Hochwassers betroffen, während die rechten Hetzer und Bleifußfetischisten einfach weitermachen können.
Linke hingegen bleiben in der Defensive, obwohl sie gerade in solchen Extremwetterlagen offensiv agieren müsste. Über lange Jahre galt es eher als unseriös, ein Extremwetterereignis mit der Klimakrise in Zusammenhang zu bringen, da ein Kausalzusammenhang im jeweiligen Einzelfall nie klar ermittelt werden kann. Eine Dürre oder ein Unwetter weist sich ja nicht als Folge des Klimawandels aus.
Die fossile Rechte strickte sich daraus eine Halbwahrheit, die generell jeglichen Zusammenhang von konkreten Wetterereignissen und Klima ausblendet, um sich gegen Kritik zu immunisieren. Doch diese Argumentation greift kaum noch, da der Forschungsstand immer eindeutiger wird und die Klimakrise sich zu deutlich in der Häufigkeit und Intensität der Extremwetterereignisse manifestiert.
Es ist also höchste Zeit, das Wetter zu politisieren, um der rechten Stimmungsmache beim Thema Erderwärmung entgegenzutreten. Die Klimakrise wird sich gänzlich unbeeindruckt von populistischem Geschwafel und der öffentlichen Meinung weiter entfalten, was dann auch die Stimmung in der Bevölkerung kippen lassen könnte – ähnlich den Kipppunkten des globalen Klimasystems.
»Alle Reden vom Wetter. Wir nicht!« lautete eine Parole linker Studenten in den sechziger Jahren, der im Sinne der Klimakrise vom Kopf auf die Füße gestellt werden müsste. Denn es ist notwendig, die Witterungsverhältnisse in einen politischen Zusammenhang zu stellen.
Primär gilt es, die ganz große Front der Bremser und Saboteure der Klimapolitik offensiv mit den Konsequenzen der Klimakrise zu konfrontieren – gerade in einer Krisenzeit, in der viele Lohnabhängige mit dem Schwund von Realeinkommen und sozialer Sicherheit konfrontiert sind. Denn bei ihnen punktet die Rechte mit Klimawandelleugnung. Wann denn sonst soll dieser reaktionäre Todeskult mit seinem lemminghaften Drang gen Abgrund kritisiert werden? Die kapitalistische Klimakrise ist ein zum Klimaschutz nötigender Sachzwang, vor dem alle Ideologie dahinschmilzt.
Vor allen Dingen könnte die Linkspartei zur Abwechslung dazu übergehen, die Grünen von links zu kritisieren, anstatt den sozialen Flügel der großen nationalen Empörungswelle gegen Wärmepumpe und Fleischersatz zu bilden. Reaktionäre Pseudokritik am »kostspieligen« kapitalkompatiblen Klimaschutz der Grünen ist einfach. Sie greift zu kurz. Denn die »Dekarbonisierung« in einem auf endloses Wachstum gepolten Wirtschaftssystem kann schlicht nicht funktionieren. Neue Waren wie Elektroautos und Wärmepumpen sind tatsächlich keine Antworten auf die kapitalistische Klimakrise, die durch den Verwertungszwang des Kapitals verursacht wird. Fortschrittliche Kritik an den Grünen kann somit nur noch als Teilmoment von Systemkritik formuliert werden, die auf eine überlebensnotwendige Systemtransformation abzielt – alles andere spielt der fossilen Reaktion in die Hände.
Es klingt illusorisch, angesichts der sich ausweitenden rechten Hegemonie eine Debatte über Transformation und Systemalternativen auslösen zu wollen? Mitnichten: Die Realität der kapitalistischen Klimakrise, das konkrete Extremwetterereignis, setzt das antikapitalistische Programm, nicht der reaktionäre deutsche Bleifußwahn. Es wäre wirklich an der Zeit, die sozioökologische Krise des Kapitals ernst zu nehmen und linke Praxis daran auszurichten. Die Krisendynamik wird das System unweigerlich in einen Transformationsprozess treiben, dessen Ausgang offen ist.
Er muss nicht zwangsläufig in Faschismus und Barbarei führen. Um das zu verhindern, müsste die Linke gerade bei Extremwetter die Unausweichlichkeit der kommenden Systemtransformation offensiv thematisieren, was trotz manifester kapitalistischer Klimakrise immer noch tabu ist. Ohne breit angelegte transformatorische Debatte, ohne entsprechendes Krisenbewusstsein in der Bevölkerung wird der kapitalistische Krisenprozess weiterhin unreflektiert bleiben und in Barbarei umschlagen.
Meine aktuelle Publikation: Das E-Book „Faschismus im 21. Jahrhundert. Skizzen der drohenden Barbarei“