Nachhaltig plündern

Konkret, 01/2023

Auch der sogenannte grüne Kapitalismus verbraucht gigantische Rohstoffmengen.

Wenn es ihn überhaupt geben sollte, wie würde er wohl aussehen, der grüne Kapitalismus, der sein grenzenloses Wachstum klimaverträglich und ökologisch nachhaltig abwickelte? Glaubt man den Erzählungen des deutschen Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, dann ähnelt er dem Imperialismus des 19. Jahrhunderts. Habeck versicherte Anfang Dezember bei einer Visite in Namibia, dass es sich bei den beabsichtigten deutschen Klima-Investitionen keineswegs um einen „grünen Klimaimperialismus“ handle, wie ihn die „energiehungrigen“ Konkurrenten Deutschlands verfolgten.

In „Deutsch-Südwest“ verübten deutsche Kolonialtruppen 1904/05 einen der ersten Völkermorde des 20. Jahrhunderts, als sie den Herero-Aufstand niederschlugen. Erst 2021 hatte die Bundesregierung sich langwierigen Verhandlungen diesen Genozid als solchen anerkannt und mit einer Wiederaufbauhilfe von 1,1 Milliarden Euro „wiedergutgemacht“. Habeck scheint die Stunde der „günstigen“ geschichtspolitischen Aussöhnung nutzen zu wollen, um in der ehemaligen Kolonie massiv in erneuerbare Energieträger zu investieren. Deutschland wolle, dass sich Namibia schneller entwickle, dass Arbeitsplätze entstünden und die Arbeitslosigkeit sinke, erklärte Habeck in der namibischen Hauptstadt Windhuk. Zehn Milliarden Dollar fließen in den Aufbau einer Wasserstofffabrik in Südnamibia, die von deutschen Anlegern finanziert und von dem deutschen Unternehmen Enertrag, Teil des Hyphen-Konsortiums Hyphen Hydrogen Energy, aufgebaut wird. Diese Anlage solle, so der Bundeswirtschaftsminister, außerdem die Energieversorgung Namibias und Südafrikas verbessern, während Deutschland gern bereit sei, die Überschussproduktion aufzukaufen und nach deren Synthetisierung in grünen Ammoniak per Schiff abzutransportieren. Ammoniak wird als potenzieller, klimaneutraler Energieträger gehandelt, da er brennbar ist, in Brennstoffzellen direkt in Strom umgewandelt werden kann und sich einfacher Transportieren lässt als der flüchtige Wasserstoff.

Die Petrodollars des untergehenden fossilen Zeitalters, die in den Nahen Osten strömen, würden sich bald in „grüne Energie-Dollar“ wandeln, die gen Afrika fließen, prognostizierte der Lobbyist Stefan Liebing vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft anlässlich der Südafrikareise Habecks. Im Wirtschaftsministerium hofft man gar, dass es „eine zweistellige Anzahl von Ländern“ sein werde, die ab 2030 Grünen Wasserstoff nach Deutschland exportieren, so der grüne Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Patrick Graichen, gegenüber der „Tagesschau“. Europa brauche die Wüsten der Welt für eine „klimaneutrale, grüne Zukunft“, tönte das staatsnahe öffentlich-rechtliche Nachrichtenportal. So wie das zwanzigste Jahrhundert geprägt war, durch den Run auf die ergiebigsten Ölquellen, ist das 21te bestimmt durch den Wettlauf um die besten Produktionsstandorte klimaneutraler Energieträger.

In der Diamantensperrzone im unwirtlichen Süden Namibias, dort, wo eine kalte Meeresströmung dafür sorgt, dass die jährlichen Niederschläge in Küstennähe im Millimeterbereich bleiben, scheinen die Prospektoren des grünen Kapitalismus fündig geworden zu sein. Die Windstärke auf den Wüstenhügeln in der Küstenregion sei mit bis zu 12 Metern pro Sekunde viel höher als in Nordseenähe, wo im Schnitt nur acht Meter erreicht werden, erklärte ein Sprecher von Enertrag gegenüber Medienvertretern. Damit lasse sich Strom für zwei Cent pro Klimawattstunde produzieren. Hinzu kommen noch große Solaranlagen, für die ebenfalls optimale Bedingungen herrschten. Der Clou der Investition: Nur wenige Kilometer von dieser windigen Wüstenregion entfernt liegt der Atlantik, dessen Wasser zu Wasserstoff und Ammoniak weiterverarbeitet werden könnte. Hier sollen gigantische Mengen an Energie, bis zu sieben Gigawatt, auf einer Fläche von 100 mal 80 Kilometern generiert werden: 600 Windräder und zwei große Solarfelder sind geplant. Zum Vergleich: Das in Niederbayern gelegene Kernkraftwerk Isar 2 verfügte 2022 über eine Leistung von 1,49 Gigawatt.

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Die Sicherung klimaneutraler Energieträger ist nur einer von vielen, mitunter verzweifelten Versuche der Bundesregierung, der heimischen Wirtschaft mittels neuer geopolitischer Ausrichtung eine Transformationsperspektive zu einem klimaneutralen Kapitalismus zu eröffnen. Der Versuch der wirtschaftlichen Zentren, neue, „grüne“ Leitsektoren in der Industrieproduktion aufzubauen, geht mit einem ungeheuren Anstieg der Rohstoffnachfrage einher, der kaum befriedigt werden kann. Für viele angebliche „Zukunftsmärkte“ werden gigantische Mengen an neuen Materialkombinationen benötigt, die zuvor, im fossilen Zeitalter, kaum nachgefragt wurden. Neben den üblichen Metallen wie Eisen, Aluminium und Kupfer sind es Edelmetalle wie Mangan, Kobalt und Nickel oder Rohstoffe wie Grafit und das berüchtigte Lithium, bei dessen Herstellung ungeheure Mengen von Wasser verbraucht werden. Sowohl die Elektromobilität, die von der deutschen Autoindustrie verschlafen wurde, als auch die nachhaltige Energieerzeugung durch Wind und Sonne sind ohne diese Rohstoffe kaum denkbar.

Hinzu kommt die Rohstoffgruppe der seltenen Erden, bei deren Förderung die Volksrepublik China eine monopolartige Stellung errungen hat. Das Bemühen um die Sicherung der Lieferketten für diese Materialien avanciere „zum jüngsten Reibungspunkt der geo-ökonomischen Rivalität“ zwischen dem Westen und China, hieß es in einer aktuellen Einschätzung des Washingtoner Thinktanks Center for Strategic & International Studies (CSIS). Die Volksrepublik nehme bei vielen Rohstoffen, die für die ökologische Transformation benötigt werden, eine „starke bis beherrschende Stellung“ ein, jammerte das CSIS, wobei China sich zunehmend vom Rohstofflieferanten zum Konsumenten der begehrten Öko-Rohstoffe wandele, um die „nachhaltige“ industrielle Transformation seiner staatskapitalistischen Wirtschaft zu forcieren. Zudem stehen Bemühungen zum Recycling vieler dieser Rohstoffe noch am Anfang, sodass gerade in den ersehnten „Öko-Industrien“ kaum wirksame Rohstoffkreisläufe aufgebaut werden können. Sollte es hier keinen technologischen Durchbruch geben, wird die Nachfrage also mittelfristig immer weiter steigen.

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Russland wiederum ist führend bei der Förderung von Nickel und Palladium, während in der Republik Kongo unter frühkapitalistisch anmutenden Bedienungen ein großer Teil des global heiß begehrten Kobalts gefördert wird. Rund 70 Prozent der globalen Vorkommen sollen in dem afrikanischen Land liegen. Chinesische Unternehmen lassen dort unter eigener Direktive Kobalt durch Kinder abbauen, westliche Konzerne wie Tesla kommen eher über Mittelsmänner an den kongolesischen Rohstoff: Die Förderung von Kobalt im „failed state“ Kongo wird oft durch Milizen und lokale Banden kontrolliert. Anschließend findet der Rohstoff nach etlichen Zwischenhändlern seinen Weg in westliche Waren. Der gesamte Globus wird gerade fieberhaft nach Quellen der neuerdings attraktiven Rohstoffe abgesucht. In Madagaskar etwa bemühen sich westliche Konzerne um die jüngst entdeckten Vorkommen von seltenen Erden, für deren Förderung die Bevölkerung des verarmten Landes schlicht vertrieben wird.

Ein weiterer Hotspot der globalen Jagt nach „grünen“ Rohstoffen ist Bolivien. Hier finden sich große Vorkommen an Lithium, das unabdingbar für die beabsichtigte „Energiewende“ ist. Der Putsch gegen den linken Präsidenten Evo Morales im November 2019 machte deutlich, dass auch der grüne Imperialismus zur Not auf ähnliche Methoden zurückgreift wie sein historisches Vorbild. Elon Musk, dessen Tesla-Konzern nach dem Sturz des renitenten bolivischen Präsidenten – der den Ressourcenreichtum seines Landes zumindest teuer verkaufen wollte – satte Kursgewinne an den Aktienmärkten verzeichnen konnte, bemerkte damals lapidar, dass man notfalls jeden „wegputschen werde“. Auch die Regierung Großbritanniens soll den Putsch gegen Morales laut durchgesickerten internen Dokumenten ausdrücklich begrüßt haben – in der Hoffnung, so an das bolivianische Lithium zu kommen.

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Inzwischen wird auch darüber spekuliert, inwiefern der Zugang zu „grünen“ Rohstoffen eine Rolle bei dem imperialistischen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine spielte. Das osteuropäische Land verfügt über bedeutende Vorkommen von Kobalt, Lithium, Titan, Beryllium und seltenen Erden. Ihr Wert wird derzeit auf rund 6,7 Billionen Euro geschätzt. Mitte 2021, ein halbes Jahr vor dem Angriff Russlands, schloss Kiew eine Partnerschaft mit der EU über die Erschließung dieser Rohstoffvorkommen ab, im Herbst 2021 folgten erste Auktionen bezüglich der Erkundung der Lagerstätten. Diese Rohstoffe könnten das „Rückgrat der Energiewende“ im Westen darstellen, erklärte eine Politologin gegenüber „Zeit-Online“. Viele der vermuteten Lagerstätten befänden sich in den von Russland annektierten Gebieten, sodass der Kreml die EU weiterhin unter Druck setzen könne. Selbstverständlich ließe sich fragen, inwiefern diese Vorkommen schon 2013/14 eine Rolle spielten, als Berlin, Brüssel und Washington die gewählte Regierung in Kiews unter Zuhilfenahme von Nazi-Milizen stürzen ließen, um eine prowestlichen Regime Change zu organisieren – aber solche Fragen stellen sich Journalistinnen und Politikwissenschaftlerinnen lieber nicht, wenn sie weiter auf „Zeit-Online“ schreiben wollen.

Die Klimakrise heizt nicht nur die geopolitische Jagd auf neue Rohstoffe an, sie öffnet auch neue Weltregionen für den Klima-Imperialismus. Die rasch abtauende Eisdecke der Arktis weckt schon seit etlichen Jahren Begehrlichkeiten, die zu einer verschärften geopolitischen Konkurrenz im hohen Norden und zu einer Militarisierung der Arktis führen. Zudem könnten sich neue strategisch wichtige Schifffahrtswege im hohen Norden öffnen, die den Warentransport zwischen Fernost und Europa signifikant verkürzen würden. Russland baute längst einen eigenen Truppenteil für Operationen im Hohen Norden auf, die Nato hielt mehrere Großmanöver in der Arktis ab. Streitpunkte sind zumeist die ausschließlichen Wirtschaftszonen der Anreiner der Arktis: Russlands, Kanadas, der USA und der EU, die via Grönland in der Region geopolitisch präsent ist. Derzeit wird gerade in Grönland nach seltenen Erden gesucht. Die Minengesellschaft Greenland Minerals hofft, Förderalternativen zur chinesischen Dominanz erschließen zu können.

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Di Nachfrage nach grünen Rohstoffen macht selbst vor der pazifischen Tiefsee nicht halt. In den kommenden Jahren will der kanadische Konzern The Metals Company im Pazifik genug Nickel, Kupfer, Mangan und Kobalt abbauen, um damit 280 Millionen Elektroautos zu bauen. Der Tiefseebergbau könnte schon 2024 beginnen. „Noch nie wurde auf der Erde ein Bergbau in diesem Ausmaß betrieben“, warnte James McFarlane, ehemaliger Mitarbeiter der Internationalen Meeresbodenbehörde gegenüber Medienvertretern. Die Folgen für die regionalen Ökosysteme wären nicht absehbar. Doch der Hunger der globalen Verwertungsmaschine ist größer.

Doch letztlich wird die Jagd auf neue Rohstoffe, die bis in die Arktis und die Tiefsee führt, nicht reichen, um den ständig wachsenden Bedarf des Kapitals zu stillen. Denn es geht ihm nicht darum, Bedürfnisse zu befriedigen, sondern in einem endlosen Verwertungsprozess immer größere Mengen an Rohstoffen und Energie zu verfeuern, um aus Geld mehr Geld zu machen. Die Aufgabe der bürgerlichen Ideologie ist es, diesen Prozess entsprechend der aktuellen Erfordernisse zu legitimieren: mit der Konstruktion eines ‚Grünen Kapitalismus‘ oder der gerade in Deutschland massiv propagierten Elektromobilität. Doch auch die Idee eines ökologischen Kapitalismus, der die endlosen Verwertungsprozesse des Kapitals klimaschonend fortführt, entpuppt sich als Wahn angesichts des Umstands, dass grenzenloses „Wachstum“ auf einem begrenzten Planeten nicht machbar ist. Unabhängig davon, dass die Produktion von Elektroautos mehr Energie verschlingt als diejenige von Benzinern, ist die Ressourcenfrage bei einer beständig wachsenden Massenproduktion schlicht ungeklärt.

Die Lieferengpässe bei Lithium, Nickel, Kobalt, Kupfer und seltenen Erden sind evident. Und es sind gerade diese Engpässe, die den „grünen Klimaimperialismus“ Habecks Auftrieb verschaffen, da die kapitalistischen Zentren versuchen, sich Zugang zu den knappen Zukunftsrohstoffen auf Kosten der Konkurrenz zu verschaffen. Es ist eine typische Milchmädchenrechnung, zu glauben, dass genug Rohstoffe für die Elektromobilität zur Verfügung stünden, nur weil diese auf dem Erdball lokalisieren lassen. Denn die Rohstoffe müssen unter extrem hohem Kapitalaufwand und ungeheuren Umweltkosten gefördert und aufbereitet werden (Lithium).

Auch eine massive Ausweitung der Förderung kann die für den Verwertungsprozess des Kapitals notwendigen Fördermengen kaum liefern. Lithium, nach dem die Nachfrage in der deutschen Autoindustrie sich bis 2030 verzehnfachen soll, ist kein Rohöl, es ist nicht in derselben Quantität vorhanden, wie Öl am Beginn des Ölzeitalters. Bei Kupfer soll die Nachfrage der deutschen Autoindustrie im Zuge der Mobilitätswende um drei Millionen Tonnen steigen. Eine Preisexplosion („Greenflation“) ist zwangsläufig. Und irgendwer müsste sich diese fahrenden Sondermülldeponien, deren Recycling bald enorme Kosten verursachen wird, kaufen können, damit der Verwertungskreislauf des Kapitals auf dem Markt einen Abschluss findet.

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