„Junge Welt“, 17.07.2008
Anrainerstaaten streiten um vermutete Bodenschätze in der Arktis. Kanada will Präsenz stärken. Militärmanöver der USA. Rußland entsendet Kriegsschiffe ins Nordpolarmeer
Das Tauziehen um die unter dem schmelzenden Eispanzer der Arktis verborgenen Bodenschätze gewinnt an Intensität. Am 15. Juli meldete die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti, daß zukünftig die russische Nordmeerflotte verstärkt Präsenz in der Region zeigen werde. Demnach soll am heutigen Donnerstag der Raketenkreuzer »Marschall Ustinow« ins Nordpolarmeer auslaufen, um gemeinsam mit dem Abwehr-U-Boot »Seweromorsk« vor der Insel Spitzbergen zu patrouillieren. Laut dem russischen Verteidigungsministerium dient der Einsatz vor allem dem »Schutz russischer Fischer«, doch betont RIA-Nowosti, daß dieses Auslaufen der zwei großen Kampfschiffe auch einen »Propagandaeffekt« mit sich bringe. Bereits im Juni ließ der Kreml zwei Langstreckenbomber über der Arktis patrouillieren.
Seitdem die Eisdecke im arktischen Sommer immer stärker schwindet, streiten sich die fünf Anrainer der Arktis – Dänemark, Kanada, Norwegen, USA und Rußland – um die auf diesem Territorium vermuteten Rohstoffvorkommen. In diesem Jahr besteht sogar die Möglichkeit, daß im September das Nordpolarmeer größtenteils eisfrei sein wird, was nach Ansicht etlicher Wissenschaftler katastrophale Auswirkungen auf das Klimasystem zumindest der nördlichen Hemisphäre haben könnte. Die einzige Antwort, die von den Anrainerstaaten auf diesen bedrohlich rasch fortschreitenden Klimawandel gegeben wird, besteht in einem Rattenrennen um die fossilen Energieträger der Arktis. Bis zu 25 Prozent der unentdeckten Öl- und Gasvorräte könnten jüngsten StuÂdien zufolge unter dem schmelzenden Eis schlummern. Derzeit steht jedem Anrainerstaat eine exklusive Wirtschaftszone von 200 Seemeilen zu. So entsteht in der Mitte der Arktis ein ca. 400000 Quadratkilometer großes »Niemandsland«, um das sich die fünf Staaten streiten. Den Startschuß für die Eroberung der Arktis gab eine russische Expedition im August 2007, als zwei Mini-U-Boote in einer meÂdienwirksammen Aktion eine russische Fahne auf dem Boden des arktischen Meeres hinterließen und Gesteinsproben mitnahmen.
Kurz danach kündigte Kanada an, zwei »militärische Einrichtungen« im hohen Norden zu errichten, um seine Ansprüche auf dieses Gebiet zu untermauern. Diese Ankündigng solle der »Welt klarmachen, das Kanada eine reale, wachsende und langfristige Präsenz in der Arktis aufbaue«, tönte der kanadische Premier Stephen Harper im August 2007. Zudem setzt die kanadische Marine sechs Patrouillenboote zur Überwachung der Nordwestpassage ein. Dänemark hingegen unterstrich seine Ansprüche auf die Region rund um Grönland mit einer monatelangen Nordpol-Expedition. Diese als autonome Region zu Dänemark gehörende größte Insel der Erde ist reich an Gold, Diamanten, Erdgas und Öl. Zudem gibt es Überlegungen, die riesigen, regelmäßig kalbenden Gletscher Grönlands zu »ernten« und deren Wasser in die von zunehmender Verwüstung betroffenen Regionen der Welt zu verkaufen. Auch die USA entsandten 2007 etliche Kriegsschiffe in die Region. Die US-Streitkräfte führten im Mai 2008 unter Einsatz von 5000 Mann auf Alaska das Militärmanöver »Northern Edge 2008« durch.
Laut RIA-Nowosti waren es gerade diese amerikanischen Militärübungen, die den Kreml zum Ausbau seiner Militärpräsenz im hohen Norden veranlaßten. Inzwischen kündigte auch Moskau eigene Militärmanöver in der Arktis an. Moskau begründet seine Ansprüche auf die Arktis damit, daß der sibirische Festlandsockel weiter als 200 Seemeilen in die Arktis hineinreicht.