Brüssel brüskiert Polen

„Junge Welt“, 14.07.2008
Schiffswerften in Gdansk, Gdynia und Szczecin, Wiege der antisozialistischen Solidarnosc-Gewerkschaft, sollen nun von der EU-Führung verscherbelt werden

Auf den ersten Blick ähnelten die jüngsten Bilder aus Polen denen aus dem August 1980, als die Arbeiterschaft der Gdansker Lenin-Werft für »unabhängige Gewerkschaften« und gegen die sozialistische Staats- und Parteiführung in den Ausstand trat. Auch am Donnerstag und Freitag gingen in Gdynia und Szczecin Tausende Werftarbeiter auf die Straßen, und auch diesmal war die katholische Kirche zugegen, um ihnen »geistigen Beistand« zu leisten. Nur Lech Walesa fehlte beim Gebet.

Dabei geht es für die Arbeiter der polnischen Schiffbaustätten in Gdansk, Gdynia und Szczecin derzeit um die nackte Existenz. Die EU-Kommission in Brüssel fordert von der polnischen Regierung, die Werften zur Rückzahlung von 1,3 Milliarden Euro zu zwingen, die diese seit 2004 an Subventionen erhalten haben. Brüssel sieht in diesen Beihilfen eine »Wettbewerbsverzerrung«. Sollten die Werfen die Gelder tatsächlich zurückzahlen müssen, wären sie unverzüglich pleite. Bis zu 80000 Arbeitsplätze in der gesamten Region könnten dann verlorengehen. Man wolle seine »Beunruhigung über die Zukunft der Werft« zum Ausdruck bringen und sowohl den Premier wie auch den Präsidenten Polens zum Kampf für die Betriebe animieren, erläuterte ein Sprecher der Gewerkschaft Solidarnosc Ende vergangener Woche den Zweck der Demonstrationen.

Brüssel stellte der rechtsliberalen polnischen Regierung um Donald Tusk ein Ultimatum bis Donnerstag abend, um einen »Restrukturierungsplan« vorzulegen. Warschau kam der Forderung zwar bereits nach, doch wurde ihr Vorschlag von der EU-Kommission als »unzureichend« zurückgewiesen. Die EU-Bürokratie fordert vor allem eine Öffnung der Werften für private Investoren. Polens rechtskonservative Vorgängerregierung unter Jaroslaw Kaczynski hatte die Werften in Staatsbesitz belassen. Der amtierende polnische Finanzminister Aleksander Grad will das zwar ändern, doch bat er die EU-Bürokratie um eine Fristverlängerung bis Ende September. »Die Regierung braucht noch Zeit, um mit privaten Investoren über einen Einstieg zu verhandeln«, erklärte Grad auf einer Pressekonferenz. Die EU-Kommission lehnt eine weitere Fristverlängerung jedoch ab.

Die harte Haltung Brüssels kommt nicht von ungefähr. Wie jüngst publik gewordene Protokolle der EU-Komis­sion belegen, strebt sie gezielt eine Liquidierung der polnischen Werften an. So trafen sich am 20. Juni EU-Bürokraten und Vertretern der norgwegischen Ulstein-Gruppe, die Interesse an dem Erwerb der Werft in Szczecin bekundeten. Wie das Netzportal infoseite-polen.de unter Berufung auf den polnischen Sender tvp-info berichtet, soll der deutsche EU-Beamte Karl Soukup der norwegischen Verhandlungsdelegation empfohlen haben, den Kauf der Werft erst nach deren Konkurs zu vollziehen. Die »EU-Kommission werde in jedem Fall die Rückzahlung der Staatsbeihilfe verlangen, und dann bleibe der Werftleitung keine andere Möglichkeit, als Konkurs anzumelden«, berichtet das Newsportal.

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