„Junge Welt“, 28.06.2008
US-Militär und Geheimdienste erwarten massive Flüchtlingsbewegungen und Rohstoffkriege
Die amerikanischen Geheimdienste befaßten sich in einer am 25. Juni veröffentlichten Studie mit den sicherheits- und geopolitischen Auswirkungen der Klimaveränderungen. Der »Implikationen des Klimawandels auf die Nationale Sicherheit bis 2030« betitelte Report wurde vom National Intelligence Council (NIC) erarbeitet. Das NIC gilt als einer er wichtigsten Think Tanks der amerikanischen Nachrichtendienste, der mit seinen Lageeinschätzungen, den »National Intelligence Estimates«, federführend bei der Beurteilung der außenpolitischen Lage der USA sind.
Bei der Vorstellung der wichtigsten Ergebnisse der größtenteils geheimgehaltenen Studie vor dem Geheimdienstausschuß des US- Repräsentantenhauses warnte der Vorsitzende des NIC, Thomas Fingar, vor weltweit zunehmender politischer Instabilität. Binnen der nächsten 20 Jahre erwarte das NIC eine massive Zunahme von klimabedingten Flüchtlingsbewegungen, »Terrorismus« und Ressourcenkriegen – hier insbesondere um Wasser. Er gehe zwar nicht davon aus, daß der Klimawandel als alleiniger Faktor zum Zusammenbruch ganzer Staaten und Gesellschaften der Dritten Welt vor 2030 führen werde, erläuterte Fingar, doch dessen Auswirkungen werden die »existierenden Probleme verstärken, wie Armut, soziale Spannungen, Umweltzerstörung, ineffektive Führung und schwache Institutionen.«
Besonderes Augenmerk richtete der NIC-Chef vor dem Geheimdienstausschuß auf die künftigen, massiven Migrationsbewegungen: »Wir erwarten, daß ökonomische Migranten durch Klimaveränderungen zusätzliche Gründe erhalten, um sowohl innerhalb ihrer Länder wie auch in reiche Staaten« zu flüchten. Besonders hart dürfte das subsaharische Afrika betroffen sein, da hier die Ernteerträge von Nutzpflanzen laut der NIC-Studie bis 2020 um 50 Prozent sinken könnten. In Südostasien drohen aufgrund von Dürren und häufigeren Überschwemmungen Ernteeinbußen von zehn Prozent. Bis 2020 werde die Zahl der weltweit Hungernden um 50 Millionen zunehmen, so das Fazit der Studie. Der zunehmende Wassermangel entwickele sich überdies zu einem gravierenden Problem und führe dazu, daß allein in Asien zwischen 120 Millionen und 1,2 Milliarden Menschen diesen zu spüren bekommen werden.
Der Klimawandel sei »ein Multiplikator für Gefahren in den instabilsten Regionen« der Welt, zitieren US-Medien an dem NIC-Report beteiligte Analytiker. Fingar sieht die Kampfbereitschaft der US-Streikräfte durch eine wahrscheinliche Zunahme von Krisen »überanstrengt« – sowie deren Fähigkeit vermindert, Kampfoperationen in »strategischer Tiefe« durchzuführen. Auch die US-Army sieht sich in einer kürzlich veröffentlichten, strategischen Einschätzung vor neuartigen Herausforderungen, wie »destabilisierenden Migrationsbewegungen«.