Gelungener Generalstreik

„Junge Welt“, 25.06.2008

Die Proteste gegen die neoliberalen Reformen der tschechischen Regierung erreichten am Dienstag einen vorläufigen Höhepunkt. Ab sechs Uhr früh traten die Angestellten des Gesundheitswesens in den Ausstand, um gegen die Privatisierung von Kliniken und Krankenkassen zu protestieren, die von der Regierungskoalition aus Konservativen, Christdemokraten und Grünen um Premier Mirek Topolanek auf den Weg gebracht wurde. Zwischen 13 und 14 Uhr schlossen sich Arbeiter und Angestellte zahlreicher Branchen mit einem landesweiten, einstündigen Warnstreik den Protesten an. Dieser »größte Ausstand« seit den frühen 90er Jahren, wie ihn Funktionäre des Gewerkschaftsdachverbandes CMKOS bezeichneten, richtete sich zudem gegen eine geplante Rentenreform und die inflationsbedingten Reallohnverluste im öffentlichen Dienst Tschechiens.

Laut dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Angestellten des Sozial- und Gesundheitswesens, Jiri Schlanger, nahmen 30000 Beschäftigte aktiv an dem eintägigen Ausstand teil, während ihn 40000 weitere Ärzte und Krankenpfleger passiv unterstützten – um eventuelle Notfälle versorgen zu können, hielten die Kliniken einen Notbetrieb aufrecht. Vor den meisten Krankenhusern fanden Protestdemonstrationen und Kundgebungen statt, denen sich auch Angestellte von Psychiatrien, Sozial- und Rehabilitationszentren anschlossen.

Überraschend kraftvoll entwickelte sich der landesweite, einstündige Warnstreik, der viele Sektoren der tschechischen Volkswirtschaft erfaßte. Die Lokführer der tschechischen Bahn legten den Schienenverkehr weitgehend lahm. Genauso kam der Nahverkehr in Prag und den meisten Großstädten zum Erliegen. Die Arbeiter von Skanska, des größten Bauunternehmens, legten auf vielen Baustellen die Arbeit nieder. Besonders beeindruckend war die Streikbereitschaft der Arbeiterschaft in den tschechischen Skoda-Werken: Die kommunistischen Jugendaktivistin Veronika Pazderova berichtete gegenüber junge Welt, daß die Belegschaft nahezu geschlossen in den Ausstand trat. Des weiteren schlossen sich Angestellte des öffentlichen Dienstes in viele Regionen Tschechiens dem Streik an. Passive Unterstützung leisteten die Beschäftigten der Prager Metro und der tschechischen Post. Nahezu eine Million Menschen beteiligte sich aktiv an dem Warnstreik, meldete die Nachrichtenagentur CTK – bei einer arbeitsfähigen Bevölkerung Tschechiens von 5,2 Millionen.

Diese massive Protestwelle wurde durch die Einführung von Arzt- und Krankenhausgebühren und die weit gediehenen Regierungspläne zur Umwandlung von Kliniken und Krankenhäusern in »Aktiengesellschaften« ausgelöst. Bis zu 40 Prozent aller Versicherten würden sich in der ersten Privatisierungsetappe plötzlich in den Fängen privater Krankenversicherer wiederfinden. Überdies will die Regierung bald das Parlament über die »Rentenreform« abstimmen lassen, die eine Anhebung des Rentenalters auf 65 Jahre vorsieht.

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