„Junge Welt“, 11.02.2008
Visite von Premier Donald Tusk sollte zu einer Entkrampfung der russisch-polnischen Beziehungen beitragen
Sowohl Premier Donald Tusk, der polnische Gast, wie auch Präsident Wladimir Putin, sein russischer Gastgeber, verstehen sich offenbar auf die Errichtung potemkinscher Dörfer. Zumindest herrschte eine gespenstisch lockere, fast schon ausgelassene Stimmung bei der Pressekonferenz, die sich an längere Gespräche beider Politiker am Freitag abend anschloß. Beide Seiten hätten viel getan, um die Beziehungen zwischen Polen und Rußland zu zerstören – »das ist uns aber glücklicherweise nicht gelungen«, scherzte ein gutgelaunter Präsident. Der Premier zeigte sich ebenfalls gut gelaunt: »Wir sind bereit, über jedes Thema zu reden, wir sind optimistisch eingestellt und haben festgestellt, das Politik eine Kunst ist, schwierige Probleme zu lösen.«
An schwierigen Problemen mangelt es in den angespannten Beziehungen zwischen beiden Ländern wahrlich nicht. Moskau kritisiert vehement das in Polen und Tschechien geplante US-Raketenschild, während Warschau die zwischen Rußland und Deutschland vereinbarte Ostseepipeline als eine Bedrohung für die Energiesicherheit des Landes wahrnimmt. Und hier, bei den Sachfragen, gab es kaum Annäherungen. Der russische Premier Viktor Subkow erklärte bei Gesprächen mit Tusk, daß Rußland an der Ostseepipeline festhalte. Doch werde Moskau seine Lieferverpflichtungen gegenüber Polen erfüllen. Polen wiederum beharrt weiterhin auf der Stationierung der US-Raketenbasis. Laut Tusk habe die russische Seite inzwischen das Recht seiner Regierung akzeptiert, »über die Installation der Abfangraketen auf polnischen Territorium zu entscheiden«. Einen russischen Kompromißvorschlag, demzufolge russische Offiziere die Anlagen überwachen sollten, lehnte der polnische Premier hingegen ab.
Wie es um die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen wirklich bestellt ist, war nur wenige Stunden vor dem Staatsbesuch deutlich geworden. In einer seiner letzten Grundsatzreden warf Präsident Putin dem Westen einen »neuen Rüstungswettlauf« vor sowie die »Einkreisung Rußlands« durch die NATO: »Wir gaben unsere Stützpunkte auf Kuba und in Vietnam auf. Und was bekamen wir dafür? Neue US-Stützpunkte in Rumänien und Bulgarien.« Der scheidende russische Präsident übte bei dieser Gelegenheit wiederum harsche Kritik an der Raketenabwehr.
Rußlands Außenminister Sergej Lawrow konkretisierte die Befürchtungen seines Landes gegenüber dem US-Raketenschutzschild in einem Interview mit der Gazeta Wyborcza. Polen sei demnach nur ein »Versuchsballon«. Rußland fürchte nicht die zehn in Nordpolen zu stationierenden Abfangraketen. Viel gefährlicher sei die Tendenz, US-amerikanische Infrastruktur immer näher an Rußlands Grenzen zu verlegen. »Wir werden höchstwahrscheinlich bald von Hunderten AbfangÂraketen hören, die in unterschiedlichsten Regionen des Planeten plaziert werden,« prognostizierte Lawrow.
Die freundliche Atmosphäre während des Staatsbesuchs des polnischen Premiers, die mit ausführlicher, wohlwollender Berichterstattung russischer Medien einherging, überdeckt nur notdürftig diese fundamentalen Interessensgegensätze beider Staaten. Klartext spricht hingegen die zweite Garnitur der russischen Führung. Der Vorsitzende der Kommission für Internationale Beziehungen der Duma, Konstantin Kosatschow, kündigte im Vorfeld der Tusk-Visite eine Verstärkung der russischen Militärpräsenz in der Kaliningrader Exklave an. »Der Kreml hat tatsächlich beschlossen, Polen eine symmetrische Antwort zu geben und seine ballistischen Raketen an dessen Grenze zu installieren«, resümierte die russische Zeitung Gasieta.