Liebesgrüße aus Sotschi

„Junge Welt“, 09.02.2007
Gipfeltreffen in der Schwarzmeermetropole: Rußland und Belarus wollen ihre wirtschaftliche Kooperation intensivieren

Die Zeichen stehen auf Tauwetter in den Beziehungen zwischen Belarus und Rußland, die noch vor kurzem durch eine frostige Eiszeit geprägt waren. Die einstigen Bruderstaaten entzweiten sich hauptsächlich wegen der massiven Preiserhöhungen für Energieträger, die der russische Monopolist Gasprom Minsk abpreßte. Doch nun wollen Rußlands Präsident Putin und sein belarussischer Amtskollege Alexander Lukaschenko offensichtlich frischen Schwung in die bilateralen Beziehungen bringen.

Bei einem Gipfeltreffen in der Schwarzmeerstadt Sotschi übten sich beide Staatsoberhäupter mitsamt Putins Kronprinzen Dimitri Medwedew in neuer Harmonie. Man gab sich insbesondere Mühe, die pragmatische Seite des alles andere als spannungsfreien Verhältnisses zu betonen. So habe der Warenumsatz zwischen beiden Ländern 2007 einen Umfang von 25 Milliarden US-Dollar erreicht, und es sei davon auszugehen, daß er auch in diesem Jahr weiter wachse, wie der ebenfalls anwesende russische Premier Viktor Subkow gegenüber der Presse ausführte.

Laut Lukaschenko sind die Wirtschaftsbeziehungen zum großen östlichen Nachbarn keine Einbahnstraße mehr, durch die russische Energieträger gen Westen gepumpt werden: »Wir hatten Glück, die Lebensmittelpreise sind in die Höhe geschnellt«. Dadurch hätten die belarussischen Lebensmittelhersteller ihre Einnahmen deutlich steigern können, zitierte RIA-Novosti den Staatschef aus Minsk, der sich mit der wirtschaftlichen Kooperation zufrieden zeigte. Auch Medwedew war bemüht, die gute Kooperation in diesem Bereich zu betonen: »Die belorussische Landwirtschaftstechnik, die wir kaufen, ist von guter Qualität und hat konkurrenzfähige Preise.«

Dem Treffen, das nach Ansicht des Kommersant eine »Renaissance« in den Beziehungen beider Staaten einleiten soll, ging eine Reihe von Weichenstellungen voraus. So erhöhte Gasprom die Erdgaspreise für Belarus für 2008 nur um 19 US-Dollar auf 119 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Die Ukraine muß hingegen 179,5 US-Dollar berappen. Zudem überschüttet Moskau seinen westlichen Nachbarn geradezu mit Krediten. Ende des Jahres erhöhte Rußland das Kreditvolumen für den klammen Nachbarn von 1,5 auf 3,5 Milliarden US-Dollar. Der belarussische Finanzminister Nikolaj Korbut war von dieser unerwarteten Großzügigkeit des Kreml geradezu verblüfft, schrieb der Kommersant.

Der Hintergrund: Aufgrund der Verdopplung der Preise für russische Energieträger Anfang 2007 auf 100 US-Dollar explodierten das belarussische Handelsdefizit mit Rußland wie auch das Haushaltsdefizit des Landes. Das Außenhandelsdefizit Minsks ist im letzten Jahr um 65,6 Prozent auf 4,3 Milliarden US-Dollar gestiegen. Lukaschenko ist nicht gewillt, die umfassenden Sozialprogramme in Belarus entscheidend zusammenzustreichen, so daß 2008 allein 1,2 Milliarden US-Dollar aus den russischen Krediten zur Deckung des Haushaltsdefizits aufgewendet werden sollen. Belarus ist also dringend auf Kredite angewiesen.

Nachdem Lukaschenko sich entschieden geweigert hat, eine politische Union mit Rußland unter der Führung Moskaus einzugehen, hofft man im Kreml, den widerspenstigen Nachbarn finanziell abhängig zu machen, ihn also »zu Tode zu umarmen«. »Rußland scheint seine Taktik in den Beziehungen zu Belarus geändert zu haben«, schreibt der Kommersant, »das Ausmaß der ökonomischen Integration zwischen beiden Ländern wird unvermeidlich zunehmen«. Dort, wo politische Argumente scheiterten, könne Geld Erfolg bringen, mutmaßte die Zeitung.

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