„Junge Welt“, 07.02.2008
Widerstand gegen geschichtsrevisionistisches »Zentrum gegen Vertreibungen« aufgegeben
Berlin scheint einen wichtigen Durchbruch auf dem jahrelang zwischen Polen und Deutschland umkämpften Feld der Geschichtsbewertung errungen zu haben. Nahezu euphorisch faßte Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Ergebnisse seiner Gespräche über ein »Vertriebenenzentrum« mit dem polnischen Staatssekretär Wladyslaw Bartoszewski zusammen. »Der Weg ist nun frei für einen Kabinettsbeschlußs über ein sichtbares Zeichen gegen Flucht und Vertreibung«, so der CDU-Politiker, da Warschau den Aufbau des Zentrums nicht mehr als Affront wahrnehme. Es sei aber nicht die Absicht der polnischen Regierung, sich an dem Vorhaben formell zu beteiligen. Neumann zusammenfassend: »Mit großer Genugtuung und Zufriedenheit kann ich sagen, daß durch unsere Gespräche das deutsch-polnische Verhältnis gestärkt worden ist.«
Der ehemalige KZ-Häftling und zweimalige polnische Außenminister Bartoszewski wurde von der neuen rechtsliberalen Administration um Donald Tusk zu deren Deutschlandbeauftragtem ernannt. In dieser Funktion verhandelte Bartoszewski am Dienstag mit einer von Neumann angeführten deutschen Delegation über das von Berlin massiv forcierte »Zentrum gegen Vertreibungen«. Das geschichtsrevisionistische Projekt, das die im Potsdamer Abkommen beschlossenen Umsiedlungen der deutschen Bevölkerung aus Teilen Osteuropas als »Vertreibungen« und »Unrecht« verzerrt, war bis vor kurzem einer der wichtigsten Konfliktpunkte zwischen Warschau und Berlin. Die rechtskonservative, im Oktober 2007 abgewählte Vorgängerregierung weigerte sich strikt, ein solches Vorhaben auch nur zu tolerieren.
Polens liberale Gazeta Wyborcza mühte sich am Mittwoch redlich, die »Akzeptanz« der Regierung Tusk zum Berliner »Vertriebenzentrum« ihren Lesern schmackhaft zu machen. Im »Tausch für die freundliche Distanz« erhalte Warschau die deutsche Zusage, sich an dem von Tusk bei seiner Berlin-Visite vorgeschlagenen »Museum des Zweiten Weltkriegs« in Gdansk zu beteiligen. Dabei wollte der polnische Premier dieses Projekt, in dessen Rahmen ebenfalls der Umsiedlungen gedacht werden soll, ursprünglich als einen Ersatz für das Berliner Zentrum verstanden wissen. Zudem wolle sich die Bundesregierung bei der Finanzierung der Renovierungsarbeiten an den Gedenkstätten des Zweiten Weltkrieges auf der Westerplatte beteiligen und ein Museum zu Ehren der »Solidarnosc« in Berlin eröffnen, frohlockte die Wyborcza.
Polens einzige nennenswerte politische Kraft, die sich den geschichtsrevisionistischen Umtrieben in Berlin verweigert, bleibt weiterhin die rechtskonservative »Recht und Gerechtigkeit« (PiS). In einem Interview mit der Zeitschrift Wprost erinnerte deren Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski daran, daß es sich bei den »Vertriebenen« mitnichten um ein Opferkollektiv gehandelt habe. In Deutschland habe es kaum eine Widerstandsbewegung gegeben, Hitler erfreute sich einer weitgehenden Akzeptanz. Der PiS-Spitzenpolitiker forderte, man müsse »laut über die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg reden«. Sonst könne es passieren, das man »uns in einigen Jahren Rechnungen für die Munition ausstellt, die beim Niederschlagen des Warschauer Aufstands verschossen wurde«.