Liberalisiertes Wohnen

„Junge Welt“, 09.11.2007
In Polen wohnt die Mehrheit der städtischen Bevölkerung zu überhöhten Mieten in heruntergekommenen Alt- und Plattenbauten. Die Ober- und Mittelschicht hat sich ein einsames Reich in edlen »Gated Communities« erworben

Trotz der seit dem EU-Beitritt des Landes im Jahr 2004 ungebremst anhaltenden, massenhaften Arbeitsemigration gen Westen wird Polens Wohnungsmarkt immer noch von einer ausgeprägten Knappheit geplagt. Angesichts des dürftigen Angebots an Wohnraum haben es Polens Hausbesitzer, denen im Zuge der Systemtransformation ein Großteil des Altbaubestandes zugeschanzt wurde, nicht besonders schwer, ihre Interessen gegenüber den zumeist sozial benachteiligten Mietern durchzusetzen. Noch vor wenigen Jahren konnten rechtliche Beschränkungen den Hausbewohnern zumindest ein Grundmaß an Sicherheit und Schutz vor Mieterwillkür garantieren.

Doch laut einer jüngsten Regelung dürfen die Hausbesitzer zweimal jährlich die Miete erhöhen, wobei sie in der Aufstellung der Kosten auch einen Posten für einen »angemessenen Gewinn« angeben können. Wie hoch ein solcher sein kann, haben die Gesetzgeber nicht geklärt, kritisiert Ewa Brylewska von der Polnischen Mieter­union gegenüber der Tageszeitung Dziennik. »Für den einen Vermieter mögen das 100 Zloty (etwa 27,50 Euro – d. A.) sein, für einen anderen 10000. Und der Mieter hat keine Wahl, er muß zahlen. Und das nennt sich Mieterschutz?«

An die sechs Millionen Polen leben in den privatisierten Altbauhäusern und sind von dieser Regelung betroffen. Die zumeist in der Nähe der Stadtzentren nach dem Krieg wieder aufgebauten Mehrfamilienhäuser beherbergen die sozial schwächsten Schichten der polnischen Gesellschaft. Die Bausubstanz ist oftmals sehr schlecht, von einem Komfort wie in den Plattenbausiedlungen, die sich wie ein peripherer Ring um das Zentrum einer jeden größeren polnischen Stadt legen, kann in den oftmals verschimmelten, mit Kohleöfen beheizten und mit Etagenklos versehenen Altbauten keine Rede sein.

Vor 1989 waren die Mieter froh, wenn sie die Unterkunft im Altbau gegen eine mit Zentralheizung und Warmwasser ausgestattete Plattenbauwohnung tauschen konnten. Während der Systemtransformation etablierte sich oftmals eine entsprechende soziale Schichtung dieser urbanen Räume, nach der die Mittelklasse weiterhin in den genossenschaftlich betriebenen Plattenbauten wohnt, während die sozial benachteiligten Schichten in den Ghettos der Altbauviertel ihr Dasein fristen.

Mietpreisbeschränkung aufgehoben

Laut Piotr Ciszewski, einem Aktivisten der anarchosyndikalistischen Gruppe »czerwony kollektyw – lewicowa alternatywa« (CK-LA, Rotes Kollektiv – Linke Alternative), ist die soziale Lage in den Plattenbausiedlungen auch deswegen um einiges besser, weil dort kommunales und genossenschaftliches Eigentum dominiert. »Am schlimmsten ist es in alten, noch vor dem Krieg gebauten städtischen Mehrfamilienhäusern, die während des Krieges nicht so stark zerstört wurden. Dort melden sich die meisten Alteigentümer, und sie haben es am einfachsten, ihre Ansprüche geltend zu machen«, erklärt Ciszewski.

Vom Stil der Gründerzeitarchitektur geprägte Stadtteile wie Wilda oder Jerzyce gelten zum Beispiel in Poznan als die »schlechten Adressen« der Stadt. Eine Gentrifizierung nach westeuropäischem Muster, also eine umfassende, mit der Verdrängung finanzschwacher Mieter einhergehende Erneuerung und Modernisierung dieser architektonisch reizvollen, von einem lebendigen Nachbarschaftsleben geprägten Wohnviertel findet (noch) nicht statt.

Inzwischen sind Mietrückstände in Polen zu einem Massenphänomen geworden. Anfang 2007 lag jeder dritte Haushalt mit seinen Mietzahlungen im Rückstand, während jeder zehnte Mieter die Zahlungen gänzlich einstellte. Die Gesamtschulden der polnischen Mieter belaufen sich mittlerweile auf stattliche 1,5 Milliarden Zloty (etwa 413 Millionen Euro).

Es verwundert somit nicht, daß mit jeder Welle von Mietpreiserhöhungen auch die Zahl von Zwangsräumungen und Zwangsvollstreckungen unter jenen 2,8 Millionen polnischen Fami­lien steigt, die der Willkür der neu entstandenen Hausbesitzerkaste ausgeliefert sind. Als im April 2005 das polnische Verfassungsgericht zwischenzeitlich die Mietpreisbeschränkung aufhob, schnellten die Mieten innerhalb weniger Wochen im Landesdurchschnitt um zehn Prozent hoch. Überdurchschnittlich stiegen die Mieten in den Folgemonaten in allen größeren Ballungszentren, vor allem aber in Warschau, wo sie sich schon längst verdoppelt haben. Astronomische Preiserhöhungen von mehreren hundert Prozent mußten hingegen die Mieter in attraktiv gelegenen Lagen der Innenstädte verkraften.

Diese Erhöhungen finden koordiniert statt. Die »Allpolnische Vereinigung der Immobilienbesitzer« (OSWN) ruft ihre Mitglieder auf, eine »möglichst rasche Angleichung der Preise an die Betriebskosten« zu realisieren. Polens Zeitungen sind zudem regelmäßig mit Berichten über heftigste Schikanen oder astronomische Mietpreiserhöhungen übersät, denen Mieter immer wieder ausgesetzt sind. Oftmals schalten die Vermieter Gas, Strom und fließend Wasser ab, wenn sie die Untermieter zwecks Renovierung oder schlichter Immobilienspekulation vertreiben wollen.
Widerstand der Mieter

Gegen dieses staatlich sanktionierte Willkürsystem regte sich schon immer sporadischer, unorganisierter Widerstand seitens einzelner Mieter oder sogar der Bewohner ganzer Wohnblöcke. Einen Kristallisationspunkt, der entscheidend zum Aufkommen einer organisierten Mieterbewegung in Polen beitrug, lieferte aber die polnische Bauministerin Barbara Blida, die für die sozialdemokratische »Vereinigung der Demokratischen Linken« (SLD) dieses Amt in den Jahren 1993 bis 1996 bekleidete. Sie führte eine Mietrechtsreform durch, die es erlaubte, säumige Mieter direkt »auf den Bürgersteig« (Exmisja na brug) zu setzen. Mehrere tausend polnische Familien landeten infolge dieser rabiaten Zwangsräumungen in der Obdachlosigkeit.

Gegen diese Räumungskampagne der Haus­eigentümer entstand eine breite Opposition, die von unterschiedlichen linken Organisationen getragen wurde. An prominenter Stelle fand sich der Rechtsanwalt Piotr Ikonowicz, der zwischen 1987 und 1993 noch als Abgeordneter für die PPS, die Polnische Sozialistische Partei, im Sejm aktiv war. Ikonowicz vertrat die häufig mittellosen, von Räumung bedrohten Hausbewohner unentgeltlich vor Gerichten. Zudem beteiligte er sich an sogenannten Räumungsblockaden, bei denen die Mieter zusammen mit linken Aktivisten oftmals erfolgreich – unter Anwendung passiven Widerstandes – eine Räumung abwehren konnten.

Mit der Zeit nahmen die Räumungsblockaden massenhaften Charakter an, bis schließlich das polnische Verfassungsgericht die Praxis dieser brutalen Zwangsräumungen 2001 für illegal erklärte. Dennoch gehören Räumungen immer noch zum polnischen Alltag – sowie die Räumungsblockaden zum festen Repertoire politischer Aktionen der radikalen polnischen Linken. Piotr Ciszewski betont, daß inzwischen die Anzahl der Räumungen gesunken ist, da die Behörden den Betroffenen eine Ersatzunterkunft anbieten müssen.

Für die 2004 gegründete CK-LA bildet der Kampf gegen Vermieterwillkür ebenfalls einen programmatischen und praktischen Schwerpunkt. Die von der Gruppe initiierte Kampagne »Die Wohnung ist ein Recht, keine Ware« hat die Formierung von Mietergemeinschaften zum Ziel, die sich kollektiv gegen die Übergriffe der Hausbesitzer zur Wehr setzen. Am 30. März dieses Jahres konnte mit Hilfe der CK-LA die »Warschauer Mietervereinigung« aus der Taufe gehoben werden. Inzwischen neun Mehrfamilienhäuser vertretend, beschloß die Mietervereinigung Anfang Juli, auch offensiv gegen Hausbesitzer vorzugehen und sie öffentlich bloßzustellen, indem Protestaktionen vor ihren öffentlich zugänglichen, prestigeträchtigen Immobilien – wie Luxusgeschäften oder Kunstgalerien – organisiert werden.

Andererseits sind Schikanen und Repression gegen diese Mieterschützer keine Seltenheit: Im Juni 2007 standen zum Beispiel drei Mitglieder der CK-LA und der Rechtsanwalt Ikonowicz vor Gericht. Den Syndikalisten wurde unerlaubtes Betreten eines Privatgrundstücks vorgeworfen, während Ikonowicz den Hausbesitzer zusammengeschlagen haben soll. Die beschuldigten Linken hatten erfolgreich eine Räumungsblockade durchgeführt. Ikonowicz über seine Kriminalisierung: »Aktuell laufen drei Verfahren gegen mich: eines wegen des Zusammenschlagens des Hausbesitzers und zwei wegen des Schlagens von Polizisten während einer Räumungsblockade. Letztes Jahr habe ich einen Gerichtstermin nicht befolgt, es wurde ein Haftbefehl ausgestellt und man verhaftete mich. Nach zehn Tagen kam ich frei.« Er betont, daß die an den Blockaden beteiligten Aktivisten strikt nach dem Prinzipien des passiven Widerstands und der Gewaltlosigkeit vorgehen. Die Anklagen seien bloße »Akte der Rache«.

Abkopplung der Oberschicht

Den radikalen Gegenpol zum Mieterelend des polnischen Transformationsprozesses bilden »Gated Communities«: eingezäunte und überwachte Wohnanlagen für Wohlhabende, die insbesondere in und um Warschau herum zu finden sind. Ein wissenschaftlicher Pionier, der sich mit diesem urbanen Phänomen in Warschau auseinandersetzt, ist der deutsche Soziologe Henrik Werth, der 2004 noch als Student nach Warschau zog.

Vielleicht war es erst einem zugereisten angehenden Stadtplaner möglich, diese Inflation von »privatisiertem« öffentlichen Raum als ein sogar unter spätkapitalistischen Bedingungen ungewöhnliches städtisches Phänomen wahrzunehmen. Laut Werth gibt es inzwischen sage und schreibe über 200 überwachte und von der Außenwelt abgeschottete Häuserblocks und Wohnanlagen allein im Großraum Warschau. In Berlin gebe es hingegen nur eine Gated Community, das »Arkadien« an der Grenze zu Potsdam, so Werth.

Wie die Existenz in solch hermetisch abgeschlossenen, synthetisch generierten und in Orwellschen Dimensionen überwachten Privatsiedlungen aussieht, darüber berichtete unlängst das polnische Magazin Polityka. Vor der mit einem Schlagbaum gesicherten Einfahrt zu der malerisch an der Peripherie Warschaus gelegenen, umzäunten Siedlung befinde sich ein Wärterhäuschen. Hier müsse man sich ausweisen, während der Wärter eine Liste mit den für diesen Tag von den Bewohnern angemeldeten Besuchern durchgehe. Schließlich bekomme man eine Plakette, auf der »Visitor« stehe, und die unbedingt innerhalb des Geländes sichtbar zu tragen sei. So beschreibt Mariusz Czubaj, ein Journalist der Polityka, die Prozedur. »Ich weiß, es sieht so aus, als ob man auf irgendein Firmengelände käme. Aber was soll man machen?«, so der Kommentar des Gastgebers gegenüber Czubaj.

Selbstverständlich verfügen Polens Gated Communities nur in den allerseltensten Fällen über so etwas wie einen »öffentlichen Raum«, der zur Interaktion und Kommunikation der Bewohner, zur Herausbildung von so etwas wie öffentlichem Leben dienen könnte. Selbst wenn sich am Rande der penibel frisierten und gestalteten Rasenflächen auch Parkbänke befinden, dienen sie lediglich als Ornament, als Reminiszenz an vergangene Zeiten lebendigen Stadtlebens, die eher eine Illusion öffentlichen Raumes erzeugen sollen. Öffentlich zugängliche und gemeinschaftlich nutzbare Einrichtungen wie Sportplätze oder Parks muß man hingegen mit der Lupe suchen.

Polnische Stadtsoziologen beklagen generell das Absterben der sozialen Kontakte – und einer wie auch immer gestalteten Öffentlichkeit – innerhalb der »geschlossenen Gesellschaften« der polnischen Oberklasse. Eine Einwohnerin der Warschauer Siedlung Bielany beschrieb dieses Phänomen gegenüber der Polityka: Die Bewohner dieser Siedlung seien ständig abwesend, sie ackerten, um die aufgenommenen Kredite abzuzahlen. Vor 20 Uhr sehe man bei den heutigen Arbeitszeiten kaum jemanden. Während der Tageszeit träfe man am ehesten noch die auf den Nachwuchs der polnischen Oberklasse aufpassenden Kindermädchen. »Ab und zu sieht man noch einen Typen, der einen riesigen, amerikanischen Geländewagen fährt. Darüber hinaus gibt es nur Ödnis und Langeweile.«

Die Mauern der Gated Communities sind auch sinnliches Zeichen für die polnischen Schicht- und Klassengrenzen. Im Warschauer Stadtteil Bródno entstand eine solche geschlossene Anlage in direkter Nachbarschaft zu einer heruntergekommenen Plattenbausiedlung. Die eingeborenen Blokersi – so der Spitzname all jener, die in Polen »auf Platte« wohnen – bezeichnen ihre neuen, in eleganten Wohnungen residierenden Nachbarn als »Wikinger«. Ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zwischen den beiden nah und dennoch unerreichbar fern gelegenen urbanen Räumen findet nicht statt. Vielmehr tobt ein inoffizieller Kleinkrieg zwischen den neureichen Ankömmlingen und den alteingesessenen »Autochtonen«.

Immobilienmarkt boomt

Als der Immobilieninvestor Dom Development neben der von einer Wohnungsgenossenschaft betriebenen Siedlung »Osiedle Kabaty« eine Gated Community baute, reagierte die Genossenschaft sogleich: Das gesamte Genossenschaftsareal von 17 Hektar wurde mit einem Zaun- und Mauernsystem versehen. Man habe »ein Grenze markieren« müssen, bekräftigte der für die Investitionsentscheidungen der Genossenschaft zuständige Jan Zaleski. Die Nachbarn vom Dom-Development-Areal verfügten nicht einmal über einen Spielplatz. »Wir haben welche, aber wir wollen, daß sie nur unseren Bewohnern dienen – und nicht ihnen.«

Neben Dom Development tummelt sich eine Vielzahl oftmals westlicher Investmentfirmen auf dem zur Zeit boomenden polnischen Immobilienmarkt. Immobilieninvestoren wie GTC, FADESA oder Dom Development können inzwischen selbst kleinste Ein-Zimmer-Apartments in ihren Wohnghettos in Warschau für 120000 Euro losschlagen. Größere Wohnungen mit mehr als 100 Quadratmetern können locker die Eine-Million-Euro-Grenze durchbrechen. Die Totalüberwachung des gesamten Geländes, die Umzäunung sowie die als »ruhige Lage« vermarktete Abwesenheit jeglicher städtischen Öffentlichkeit gelten in dieser dynamisch wachsenden Branche als Verkaufsargumente. Viele Käufer sehen ihre erworbenen Wohneinheiten oder Villen zugleich als Geldanlage, da die Immobilienpreise in Polen sich innerhalb weniger Jahre verdoppelt haben und eine Adresse in einer Gated Community inzwischen als ein neues Statussymbol unter Warschaus Schickeria gilt. Es ist eher dieser Geltungsdrang als die Angst vor der Kriminalität, die viele Mitglieder der oberen Mittelklasse in die privatisierten Wohngebiete Warschaus treibt.

Die Spitze der Evolution der Gated Communities stellt derzeit zweifelsohne die Warschauer Siedlung »Marina Mokotów« dar, die schon als Stadtteil bezeichnet werden kann. Auf einer Fläche von 32 Hektar befinden sich 22 Wohneinheiten, die fünftausend Menschen Platz bieten. »Marina Mokotów« verfügt über einen künstlichen See, eigene Einkaufsmöglichkeiten sowie einen tatsächlich realisierten Grünflächenanteil von 60 Prozent des gesamten Siedlungsareals, wie das Architektenteam um Stefan Kurylowicz stolz gegenüber der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza betont. Kein einziger öffentlicher Weg führt durch die Siedlung, die sich sogar von der gut situierten Nachbarschaft in dem Villenvorort unterscheidet. Der Vorsitzende der städtischen Urbanistisch-Architektonischen Kommission Warschaus, Andrzej Kicinski, erläutert die Konsequenzen dieser neuen Dimension der Privatisierung urbanen Raums: »Die Umzäunung eines solch riesigen Areals zerreißt buchstäblich die Stadt. Es ist absurd. Überall hat man umzäunte Parkplätze, Wärterhäuschen – und die nächsten abgesperrten Wohnlager.«

Der Alltag der Oberschicht Polens, die es geschafft hat, sich in diese Reichenghettos einzukaufen, findet generell immer seltener im öffentlichen Raum statt. Von der Arbeitsstelle in einem der Bürohochhäuser im Zentrum Warschaus geht es zumeist mit dem Wagen in die Siedlung. Den Einkauf und die knappe Freizeit verbringt man oftmals in den nach US-Vorbild gebauten Malls, den eiligst hochgezogenen, riesigen Handels- und Unterhaltungskomplexen. Mit ihren mehrstöckigen, kilometerlangen, nahezu fensterlosen Leibern wirken diese Malls wie Raumschiffe aus einer anderen Welt. Diese Konsumungetüme stehen in keinerlei struktureller, urbaner Beziehung zu den oftmals vom Verfall gekennzeichneten Plattenbauten der Nachbarschaft. Es ist kaum ein härterer Wahrnehmungsschnitt möglich als zum Beispiel der Übergang von der Poznan-Plaza getauften, dreistöckigen Mall zu den in den Siebzigern hochgezogenen Plattenbauten – man wechselt von auf Hochglanz poliertem italienischen Marmor zu zersprungenen Betonplatten.

Hier findet – wiederum auf privatem Raum und strengstens überwacht – die schale Simulation von »Öffentlichkeit« statt. Neben den obligatorischen Shoppingmöglichkeiten finden sich in den Malls Kinos, Galerien, Spielhallen, Restaurants und alle sonstigen, kostenpflichtigen Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen. Der Tagesablauf der polnischen Upperclass pendle zwischen den Garagen der Bürohochhäuser, denen der Gated Communities und der Einkaufstempel – »ohne die Notwendigkeit, den Fuß auf öffentliches Terrain zu setzen«, so die Journalisten Dariusz Bartoszewicz und Jerzy Majewski in der Gazeta Wyborcza.

Wenn auch sporadisch und lokal beschränkt, gibt es doch Widerstand gegen diese Abkopplung der Oberschicht und der damit einhergehenden Privatisierung einstmals öffentlichen urbanen Raums. So konnten die Bewohner von vier abgeschlossenen Siedlungen Warschaus am Morgen des 9. September 2006 ihre Wohnghettos nicht verlassen, da alle äußeren Tore und Pforten über Nacht mit fremden Ketten und Schlössern abgeriegelt waren.

Neben den abgeriegelten Toren fanden sich Warnhinweise: »Vorsicht: Nichtprivates Gebiet – öffentlich, nicht überwacht! Betreten verboten! Es drohen Begegnungen mit armen, kranken oder schmutzigen Menschen!« Laut der Warschauer Zeitung Metropol bezeichneten die verantwortlichen Aktivisten das massenhafte Auftreten der geschlossenen Wohnkomplexe als eine Form der »Zerstörung des öffentlichen Raums«. Auch der von Metropol befragte Sozialpsychologe Janusz Czapinski erklärt diese urbanen Tendenzen für »paranoid«, da die Stadt ihren öffentlichen Charakter verliere und sich in einem Flickenteppich geschlossener »privater« Enklaven verwandle.

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