„Junge Welt“, 12.11.2007
An die 400 tschechische und deutsche Neonazis rotteten sich am Samstag in der Nähe der Prager Innenstadt zusammen, um zum 69. Jahrestag der Reichspogromnacht durch das jüdische Viertel der tschechischen Hauptstadt zu marschieren. Die hauptsächlich aus dem Umfeld des tschechischen »Nationalen Widerstands«, einer Nachfolgeorganisation des Neonazinetzwerks »Blood and ÂHonour« mobilisierenden Neofaschisten wollten trotz eines kurzfristig erlassenen Demonstrationsverbots gegen die »Beteiligung Tschechiens am Irak-Krieg« protestieren.
Mindestens drei Busse mit deutschen Neonazis überquerten am frühen Samstag die Grenze, um gemeinsam mit den tschechischen »Kameraden« ihre antisemitischen Hetzparolen zu verbreiten. Diese braunen »Touristenbomber« wurden von tschechischen Polizeikräften abgefangen. Diejenigen Neonazis, die im Umkreis des alten jüdischen Viertels in Prag festgenommen wurden, fielen durch eine besonders hohe Gewaltbereitschaft auf: Bei etlichen der festgesetzten braunen Schläger beschlagnahmte die Polizei unter anderem Gaspistolen, Äxte, Schlagstöcke, Molotowcocktails und Sprengstoff.
Dennoch gab es für die in die Hauptstadt Tschechiens gekommenen antisemitischen Hetzer kein Durchkommen – ihnen stellten sich auf der angestrebten Demoroute Prager Bürger und Antifaschisten aus Tschechien sowie Deutschland entgegen. Eine breite, antifaschistische Koalition mobilisierte an die 2000 Teilnehmer zu etlichen Kundgebungen und Demonstrationen in die Altstadt und den ehemaligen jüdischen Stadtteil Prags. Ein Großaufgebot von 1500 Beamten der tschechischen Polizei war im Einsatz.
Die Gegendemonstranten hefteten sich aus Solidarität den »Gelben Stern« an, den die Juden während der Terrorherrschaft Nazideutschlands im gesamten unterjochten Europa zu tragen gezwungen waren. Hunderte versammelten sich an dem Museum, das zur Erinnerung an die 77000 Tschechoslowaken jüdischen Glaubens erbaut wurde, die dem faschistischen Mordprogramm während der deutschen Besatzung zwischen 1938 und 1945 zum Opfer fielen. Die »Jüdische Liberale Union« veranstaltete im Beisein tschechischer Politiker eine Gedenkfeier für die Opfer der antisemitischen Pogrome von 1938.
Abgeschnitten vom Zentrum Prags, teilten sich die Neonazis in Kleingruppen auf und zogen als marodierende Banden durch die Moldaumetropole, um bei mehreren Gelegenheiten einen Durchbruch zum jüdischen Viertel zu versuchen. Dabei trafen sie auf den entschiedenen Widerstand antifaschistischer Kräfte. In der Nähe der Rechtsfakultät der Prager Universität und in der Metrostation des »Platzes der Republik« kam es zu größeren Zusammenstößen, bei denen es etliche Verletzte gab. Mehrere Personen mußten in Krankenhäusern behandelt werden. Zu dem schwerwiegendsten Zwischenfall kam es, als ein Neofaschist mit einer Gaspistole in eine Gruppe Gegendemonstranten schoß und dabei einen Antifaschisten verletzte. Bei den darauf folgenden Auseinandersetzungen wurden etliche Neonazis zum teil erheblich lädiert.
Es habe 396 Ingewahrsamnahmen gegeben, wie die Pressesprecherin der Prager Polizei, Ewa Brozova, am Sonntag mitteilte. Unter den Festgenommenen seien 96 »ausländische Extremisten«, so Brozova. Fünf Personen sind laut Polzeiangaben verletzt worden.