„Junge Welt“, 31.08.2007
Zwei Jahre nach Hurrikan »Katrina« herrschen in New Orleans Wut und Verzweiflung über den ausgebliebenen Wiederaufbau
US-Präsident Bush gab dem Bürgermeister von New Orleans einen freundschaftlichen »Klaps auf den Rücken«, die demokratische Gouverneurin von LouiÂsiana durfte sich über Umarmungen und Küßchen freuen – so beschrieb die Chicagotribune die betont locker inszenierte Ankunft des Präsidenten Dienstag in New Orleans. Am folgenden Tag nahm Bush an den Gedenkveranstaltungen zum zweiten Jahrestag der Überflutung der Stadt während des Hurrikans »Katrina« teil. Er rühmte die »leisen Helden«, die geholfen hätten, »Optimismus und Hoffnung« in die Region zu bringen.
Seine republikanische Administration, gar sich selbst kann der Präsident kaum damit gemeint haben, gilt doch New Orleans immer noch als die Stätte des schwerwiegendsten innenpolitischen Versagens der Regierung Bush. An die 1600 Menschen verloren am 29. August 2005 in dem von »Katrina« betroffenen Bundesstaaten Louisiana und Mississippi ihr Leben. New Orleans wurde zu 80 Prozent überflutet.
Selbst zwei Jahre nach dem verheerenden Hurrikan, der die maroden Deiche der teilweise unter dem Meeresspiegel gelegenen Südstaatenmetropole zum Bersten brachte, sind die Aufbauarbeiten noch lange nicht abgeschlossen. Es seien eher Wut und Traurigkeit während der Gedenkveranstaltungen zu spüren – und nicht die von Bush erwähnte Hoffnung – , beschrieb der AP-Korrespondent Cain Burdeau die Stimmung in der Stadt. Am Mittwoch fand in New Orleans eine Demonstration statt. »Die Menschen sind wütend, und sie wollen ihre Botschaft an die Politiker senden, daß diese mehr machen müssen«, erklärte der Aktivist und baptistische Geistliche Marshall Truehill gegenüber der Nachrichtenagentur AP.
Angesichts der umfangreichen, von der US-Bundesregierung bewilligten Hilfsgelder von 100 Milliarden US-Dollar kann der bisherige Verlauf des Wiederaufbaus tatsächlich nur als katastrophal bezeichnet werden. Die meisten Geschädigten warten schon das dritte Jahr auf eine Entschädigung seitens ihrer Versicherungen oder auf Hilfsgelder des staatlichen Programms »Road Home«. Nur 20 Prozent aller 180000 Antragsteller haben bislang finanzielle Unterstützung erhalten. Die Versicherungsbranche konnte überdies vor Gericht durchsetzen, nur für die Sturmschäden – und nicht für die Folgen der Überflutung – aufkommen zu müssen. Viele Stadtteile von New Orleans gleichen immer noch Geisterstädten. Die Häuser sind dem Verfall preisgegeben, die Infrastruktur nicht instandgesetzt. Die Stadt wird von einer hohen Kriminalitätsrate geplagt und verfügt nur über ein rudimentäres Gesundheitswesen. Selbst das Deichsystem um die Stadt wird erst 2011 fertiggestellt sein, wobei es selbst dann einem Hurrikan der Stärke fünf nicht gewachsen sein wird.
Es sind aber vor allem die ursprünglich die Bevölkerungsmehrheit stellenden schwarzen Einwohner von New Orleans, die oftmals weiterhin in provisorischen Unterkünften leben müssen. Ein Drittel der früheren Einwohnerschaft ist noch immer nicht zurückgekehrt. Allein in Mississippi leben noch etwa 13000 Menschen in Wohnwagensiedlungen, die von der ob ihrer Inkompetentz berüchtigten Katastrophenbehörde FEMA aufgebaut wurden. Während in den touristisch interessanten Stadtteilen eine wirtschaftliche Erholung stattfindet, ist das verarmte Schwarzenviertel »Lower Ninth Ward«, das vollständig überflutet wurde, nach wie vor kaum bewohnt.
Linke Aktivisten beschuldigen zudem die Stadtverwaltung, die durch die Überflutungen verursachten Verwüstungen zum Anlaß zu nehmen, ungeliebte Bevölkerungsschichten loszuwerden. So wurden nur einige wenige der 77000 Mietwohnungen instandgesetzt, die vor »Katrina« vor allem von sozial benachteiligten Einwohnern bewohnt wurden. Nach Angaben des Stadtteilaktivisten Jay Arena haben die herrschenden Eliten der Stadt den Hurrikan als eine Gelegenheit gesehen, den öffentlichen Wohnungsbau endgültig zu zerstören und somit die »ethnische Demographie« und den Klassencharakter der Stadt zu ändern. Am deutlichsten brachte der republikanische Kongreßabgeordnete Richard Baker die Genugtuung der Stadtelite über die Zerstörungen zum Ausdruck, die »Katrina« der afroamerikanischen Community zufügte: »Wir haben endlich mit dem öffentlichen Wohnungsbau in New Orleans aufgeräumt. Wir konnten es nicht tun, aber Gott tat es«.