Kuba-Beilage der „Jungen Welt“, 25.07.2007
Eine kurze Geschichte der Höhen und Tiefen kubanisch-russischer Beziehungen seit dem Zerfall der Sowjetunion
Der Juni 2002 darf getrost als der absolute Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Kuba und der aus der Konkursmasse der Sowjetunion hervorgegangenen Russischen Föderation bezeichnet werden. Während einer am 29. Juni 2002 gehaltenen Rede rechnete Fidel Castro mit der russischen Politik gegenüber der Karibikinsel ab: »Rußland, verbündet mit den Vereinigten Staaten, hat alle Übereinstimmungen gebrochen und Kuba verraten.« Er wolle keinen Anführer im besonderen beschuldigten, so Castro weiter, der Verrat sei eher eine Frucht der russischen Fehler und der schmerzvollen Art, in welcher Rußland die ideologische Schlacht gegen die westlichen Kapitalisten und Imperialisten verloren habe.
Wenige Monate vor dieser vernichtenden Kritik Castros sah es hingegen noch so aus, als ob die gemeinsam mit der Sowjetunion zusammengebrochenen engen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Kuba und Rußland wiederbelebt werden würden. Der seit Jahresanfang 2000 im Präsidentenamt befindliche Wladimir Putin schien ernsthaft um eine Verbesserung der bilateralen Kooperation mit Kuba bemüht zu sein. Als erster russischer RegierungsÂchef nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hielt sich Putin im Dezember 2000 zu einer viertägigen Staatsvisite auf Kuba auf. Der damalige russische Außenminister Igor Iwanow kam schon Ende September 1999 zu einem Arbeitsbesuch nach Kuba, bei dem vor allem die durch Rußland von der Sowjetunion geerbten kubanischen Schulden und die etwaige Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen debattiert wurden. Castro hoffte, bei dieser Gelegenheit wieder den für Kuba vorteilhaften Tauschhandel mit Rußland aufnehmen zu können. Bis 1989 konnte Kuba seinen Rohzucker zu besonders guten Konditionen in die SowjetÂunion exportieren, im Gegenzug erhielt die sozialistische Karibikinsel verbilligt Erdölprodukte.
Als dann Wladimier Putin am 14. Dezember 2000 in Havanna eine Erklärung zur Intensivierung der bilateralen Beziehungen unterschrieb, sprach Fidel Castro von einem »sehr wichtigen Dokument«, das Kuba neue Aussichten eröffnen würde. Schon damals betonten beide Politiker ihr Bekenntnis zu einer multipolaren Weltordnung und – vor dem Hintergrund des Tschetschenienkrieges – zu den Prinzipien staatlicher Souveränität und territorialer Integrität. Rußland verurteilte im Gegenzug »die andauernde Handels-, Wirtschafts- und Finanzblockade Kubas durch die Vereinigten Staaten«. Obwohl keine umfassenden russischen Wirtschaftsinvestitionen beschlossen wurden, unterzeichneten beide Seiten doch eine Reihe von Abkommen, die unter anderem der Intensivierung der bilateralen Beziehungen auf den Feldern der Justiz, des Gesundheitswesens und der Handelsbeziehungen dienen sollten. Vor allem gelang es Havanna, die Russische Föderation in einem Militärabkommen zur Aufrechterhaltung einer »engen Kooperation zwischen den Streitkräften beider Nationen« zu bewegen. Die Präsenz russischer Truppen auf Kuba wurde von Castro als eine Sicherung gegen etwaige militärische Übergriffe der USA angesehen.
Doch schon zehn Monate später, am 17. Oktober 2001, kündigte Putin den Abzug der letzten russischen Soldaten aus Kuba an. Die ehemals 20000 sowjetische Soldaten zählende Militärpräsenz der 80er Jahre war bis 2001 ohnehin auf 1500 Mann geschmolzen. Das russische Militärpersonal betrieb hauptsächlich eine Abhör- und Aufklärungsbasis, die nur 144 Kilometer südlich der amerikanischen Küste stationiert war und auch die kubanischen Nachrichtendienste mit wertvollen Informationen versorgte. Die ohne vorherige Absprache mit der kubanischen Regierung im russischen Fernsehen verkündete Entscheidung Putins löste wütende kubanische Proteste aus, und sie wurde in Washington mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. US-Präsident George W. Bush sah im russischn Rückzug aus Kuba ein Zeichen für die Verbesserung der amerikanisch-russischen Beziehungen. »Präsident Putin versteht, daß Rußland und Amerikan nicht mehr Feinde sind«, so Bush. Havanna sah sich aber nicht nur außerstande, die Abhörzentrale in Eigenregie zu betreiben, sondern auch der amerikanischen Bedrohung direkt ausgeliefert. Überdies verlor Kuba die Pachtzahlungen Rußlands für die Militärbasis, die sich immerhin auf 200 Millionen US-Dollar jährlich beliefen.
Verwaiste Botschaft
In den folgenden Jahren kamen die Kontakte zwischen Moskau und Havanna fast zum Erliegen, die ehemalige sowjetische Botschaft – ein Gebäude von 20 Stockwerken – stand als diplomatische Vertretung der Russischen Föderation weitgehend leer. Etliche der wichtigsten, von der Sowjetunion auf Kuba initiierten ökonomischen Entwicklungsprojekte konnten nicht abgeschlossen werden. So wurden das Atomkraftwerk in Juragua, die Ölraffinerie in Cienfuegos oder das in der Nähe von Las Camarioca gelegene Nickelwerk dem Verfall preisgegeben. Die kubanische Regierung weigerte sich, die Rückzahlung ihrer auf 20 Milliarden US-Dollar angewachsenen Schulden gegenüber Moskau auch nur zu diskutieren. Die ökonomischen Verheerungen, die der Zerfall der Sowjetunion auf Kuba anrichtete, würden laut Havanna die Schulden bei weitem übersteigen.
Eine verstärkte Annäherung zwischen den ehemaligen Bündnispartnern findet erst seit Ende 2006 statt. Im Gefolge einer Phase politischer und ökonomischer Stabilisierung ist Rußland bestrebt, sich wieder als globaler Akteur auf der Weltbühne zu profilieren und auch die hegemoniale Position der USA in der westlichen Hemisphäre zu untergraben. Rußland und Kuba halten gleichermaßen am schon im Dezember 2000 proklamierten Ziel einer »multipolaren Weltordnung« fest. Im September 2006 reiste der russische Premier Michail Fradkow nach Havanna, um nach Gesprächen mit Ricardo Alarcón, den Präsidenten der kubanischen Nationalversammlung, Kuba einen erneuten Kredit in Höhe von 355 Millionen US-Dollar zu gewähren. Schon im Dezember 2006 besuchte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Kislijak Kuba, um ein Protokoll zur Intensivierung der Konsultationen der Außenministerien beider Staaten zu unterzeichnen. Als Alarcón seinerseits im November 2006 in Rußland weilte, dankte er bei einer Rede vor der russischen Duma den Abgeordneten für ihre eindeutige Verurteilung des US-amerikanischen Embargos der Karibikinsel.
Nationale Interessen
Im Unterschied zur sozialistischen Bruderhilfe der Sowjetunion achtet Moskau bei den Beziehungen zu Kuba darauf, auch eigene nationale Interessen wahrzunehmen. Der besagte, von Moskau gewährte Kredit hat eine Verzinsung von vier Prozent. Er soll primär zur Modernisierung kubanischer Infrastruktur aufgewendet werden, wobei ausschließlich russische Güter, Ausrüstungen und Fachleute mit dieser Finanzspritze Moskaus zu erwerben sind. Russische Unternehmen und Staatskonzerne nahmen 2006 auch an der Internationalen Industriemesse in Havanna teil, unter ihnen der Maschinenbauer Sojus, der Fahrzeughersteller GAZ und der staatliche Waffenexporteur Rosoboronexport. Russische Stellen machten bei dieser Gelegenheit deutlich, daß sie keine Bedenken hätte, auch modernste Waffensysteme an Kuba zu liefern, sollte der Karibikstaat in der Lage sein, diese zu bezahlen. Zudem sollen verstärkt russische Touristen nach Kuba gelockt werden. 2006 machten bereits 27000 russische Bürger Urlaub auf Kuba, doch geplant ist, diesen Touristenzustrom auf bis zu 100000 Personen jährlich zu erhöhen.
Dennoch nimmt sich die Neubelebung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Havanna und Moskau im Vergleich zur miliardenschweren Kooperation zu Sowjetzeiten relativ bescheiden aus. Der bilaterale Handel zwischen beiden Ländern erreichte 2005 ein Volumen von gerade mal 186 Millionen US-Dollar – Kuba befindet sich damit unter den Ländern Lateinamerikas auf dem siebten Platz der russischen Handelsstatistik.
Der Kreml verfolgt bei seiner jüngsten Annäherung an Havanna nicht nur wirtschaftliche Interessen. Die gegenwärtige Schwächeperiode der im »Antiterrorkampf« versinkenden USA ausnützend, hofft man in Moskau, die eigenen Ambitionen in der westlichen Hemisphäre realisieren zu können. Die in den letzten Jahren auf dem Kontinent an die Macht gekommenen linken Regierungen sehen in Rußland ein willkommenes Gegengewicht zu den USA. Mit Venezuela schloß Rußland zum Beispiel einen spektakulären Rüstungsdeal ab – und wozu das dicht an Nordamerika gelegene Kuba zukünftig noch gut sein könnte, das erklärte am 7.März der russische Militärexperte Wiktor Baranets der Komsomolskaja Prawda: »Um wieviel klarer wäre es für die Russen und Amerikaner, wie auch für die gesamte NATO, wenn wir (Rußland – die Red.) eine symmetrische, sehr einfach zu verstehende Antwort auf das Raketenschild geben würden – sagen wir, indem wir unsere eigene Raketenabwehranlagen auf dem Gebiet befreundeter Staaten wie Kuba oder Venezuela errichten.«