„Junge Welt“, 27.07.2007
Seit dem 11. September 2001 wurde Demokratie in den USA systematisch ausgehöhlt
Als US-Präsident Bush am 20. Juli eine Verfügung unterschrieb, die ausdrücklich Folter bei Verhören von Terrorverdächtigen verbot, schien dies – oberflächlich betrachtet – einem späten Sieg grundlegender zivilisatorischer Standards gleichzukommen. Genau besehen handelte es sich hierbei eher um eine PR-Maßnahme, mit der das außenpolitische Renommee der jetzigen US-Regierung aufpoliert werden sollte. Im Kleingedrucken der PräsiÂdialverfügung wird weiterhin die Möglichkeit offengehalten, ausländischen »feindlichen Kämpfern« den Schutz der Genfer Konvention zu verwehren. Zudem wird unter Verschluß gehalten, welcher Art die »Verhörmethoden« sind, die weiterhin erlaubt sein sollen.
Diese rein kosmetische Änderung, die erlaubte »Verhörpraktiken« zum Staatsgeheimnis deklariert, kann nicht über die substantielle Aushöhlung bürgerlicher Rechte und Freiheiten in den USA hinwegtäuschen. Seit den Anschlägen des 11. September wurden die Befugnisse der Exekutive und des Repressionsapparats dermaßen ausgebaut, daß de facto grundlegende Standards bürgerlicher Demokratie in den Vereinigten Staaten nicht mehr gegeben sind. Die einzige Supermacht der Welt steht auf der Kippe: Ein weiterer brutaler Anschlag würde genügen, um den jahrelangen, schleichenden Demokratieabbau des Landes in eine ausgewachsene Diktatur münden zu lassen.
Am 9. Mai dieses Jahres unterzeichnete Präsident Bush eine Direktive zur »Nationalen und Landessicherheit«, die dem Präsidenten beim Eintreten eines »Katastrophalen Notfalls« die Möglichkeit einräumt, am US-Kongreß vorbei mit Sondervollmachten zu regieren – hiermit wäre die Gewaltenteilung aufgehoben. Die Definition eines solchen Notfalls bleibt vage und für Interpretationen offen, da in der Direktive von allen Vorfällen die Rede ist, die zu massenhaften Todesfällen oder schweren Störungen der öffentlichen Ordnung führen. Im Gegensatz zu früheren Regelungen, soll nun der Präsident entscheiden, wann ein solcher nationaler Notstand beendet ist. Der Präsident darf somit nach seiner alleinigen Einschätzung, ohne Einspruchsmöglichkeit des US-Kongresses, zum Beispiel Kriegsrecht in den Vereinigten Staaten ausrufen – und nur er selbst kann entscheiden, wann es wieder aufgehoben wird.
Doch auch ohne Kriegsrecht ist von bürgerlichen Rechten und Freiheiten in den USA nach nahezu zwei Amtszeiten der Bush-Regierung nicht viel übrig. In den ehemals als »Land der Freien« titulierten USA können Sicherheitsorgane schon längst E-Mails und Telefongespräche aller Bürger abfangen, deren Kontobewegungen ausspähen, in Häuser einbrechen und Wanzen einrichten oder Online-Durchsuchungen in Computern durchführen. Demonstrationen müssen außerhalb der Seh- und Hörweite von Präsident und Vizepräsident stattfinden – und sie dürfen nicht mit »größeren öffentlichen Ereignissen« zusammenfallen. Die Bibliotheken und Büchereien des Landes sind verpflichtet, Sicherheitsorganen Auskunft über das Lese- und Kaufverhalten ihrer Kunden zu geben, ohne diese darüber aufklären zu können. Auch in den USA gibt es die berüchtigte Vorbeugehaft, nur das US-Bürger viel länger festgehalten werden können. Der »Military Comissions Act« vom 17. Oktober 2006 ermöglicht es nun sogar, Amerikaner selbst zu »feindlichen Kämpfern« zu erklärt und danach monatelang in Isolationshaft zu halten – ohne daß diese dagegen Rechtsmittel einlegen können.