„Junge Welt“, 28.07.2007
In der Slowakei fühlen sich Unternehmer wohl. Die neue Regierung stoppte zwar Privatisierungen, hielt aber sonst kaum Wahlversprechen
Als der slowakische Sozialdemokrat Robert Fico Mitte Juli 2006 gemeinsam mit populistischen und nationalistischen Parteien eine Regierung bildete, erntete er europaweit Kritik. Fico versprach, das »neoliberale Experiment« seines Amtsvorgängers Mikulas Dzurinda zu beenden und einen modernen Sozialstaat in dem 5,5 Millionen Einwohner zählenden Land zu errichten. Die Slowakei galt zuvor als neoliberaler Musterknabe, der mit niedrigsten Steuern und kaum vorhandenen Arbeitsrechten ausländische Direktinvestitionen anzulocken wußte. Dies führte zu einem kräftigen Wirtschaftswachstum – zuletzt von 8,2 Prozent im Jahr 2006. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes stieg auf umgerechnet 95 Milliarden US-Dollar (unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität). Die gesellschaftliche Spaltung zwischen Arm und Reich wurde vertieft. Der monatliche Durchschnittslohn liegt bei ca. 600 Euro – für die, die einen regulären Job haben.
Westliche Anleger scheinen keine Angst vor Ficos vor einem Jahr verkündetem »modernen Sozialstaat« zu haben. Die ausländischen Direktinvestitionen in der Slowakei stiegen im ersten Halbjahr 2007 auf 700,3 Millionen Euro. Im gesamten vergangenen Jahr wurden nur 607 Millionen Euro an Zuflüssen verzeichnet, so daß mit einer Verdopplung der Investitionstätigkeit rund um Bratislava gerechnet werden kann. Auch das EU-Statistikamt Eurostat geizt nicht mit Lob für die einst EU-weit gescholtene Regierung Fico. »Ausgezeichnet« nannte die Behörde die Steuerquote der Slowakei, die nur bei 29,3 Prozent des BIP liege und sich somit auf demselben Niveau wie die Rumäniens (28 Prozent) und Litauens (28,9) bewege. Der Anteil der staatlichen Einnahmen am BIP liegt im EU-Durchschnitt sonst bei 39,6 Prozent.
Diesen Spitzenplatz beim europäi-schen Steuerdumping behauptet die jetzige Regierung durch den Bruch von Wahlversprechen. Gewählt wurde Fico vor allem dank seiner Ankündigung, die Einheitssteuer von 19 Prozent auf alle privaten und gewerblichen Einkünfte abzuschaffen. Sie sollte durch ein progressives Steuersystem ersetzt werden. Die sogenannte Flat-Tax, die auch eine Mehrwertsteuer von 19 Prozent bedeutet, blieb jedoch weitgehend unangetastet. Lediglich für Medikamente wurde ein ermäßigter Verbrauchssteuersatz eingeführt. Die im Wahlkampf angekündigten »Millionärssteuern« und Sonderabgaben für Banken und Monopolunternehmen wurden ebenfalls nicht realisiert. Einzig eine Steuerfreipauschale auf alle Einkommen über 1500 Euro wurde abgeschafft.
Die von Eurostat gelobten Unternehmenssteuern und der damit einhergehende Investitionsboom führten indes keineswegs zu einer spürbaren Entlastung auf dem slowakischen Arbeitsmarkt. Wie dasselbe EU-Statistikamt Anfang Juli melden mußte, bildet die Slowakei inzwischen mit offiziell 10,8 Prozent das Schlußlicht bei der Arbeitslosenquote, die EU-weit durchschnittlich bei sieben Prozent liegt. Besonders gravierend ist laut Eurostat die Jugendarbeitslosigkeit in dem Land, die 27 Prozent beträgt. Betroffen hiervon seien »gering qualifizierte Arbeitskräfte« und die häufig diskriminierten Angehörigen der slowakischen Roma.
Von dem während des Wahlkampfs oft beschworenen »europäischen Sozialstaat« ist wenig zu sehen. Immerhin schaffte Ficos Regierung die verhaßten Gebühren für Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte ab, die mit umgerechnet 1,50 Euro am Tag zu Buche schlugen. Wohl dank dieses einen gehaltenen Wahlversprechens gilt Fico als einer der beliebtesten Politiker der Slowakei – zumindest den einschlägigen Umfragen zufolge. Zu einer Rücknahme der »Gesundheitsreform« der Vorgängerregierung, die eine umfassende Privatisierung einleitete, konnten sich die slowakischen Sozialdemokraten hingegen nicht durchringen. Wie in andren osteuropäischen Ländern wurde auch in der Slowakei die restriktive Haushaltspolitik mit dem für 2009 geplanten Beitritt zur Eurozone begründet.
Als eines der »wichtigsten Vorhaben« dieses Jahres bezeichnete der ehemalige Gewerkschafter Fico das am 1. September in Kraft tretende Arbeitsgesetz, das substantielle Verbesserungen für die Lohnabhängigen bringen sollte. Ausgehend von dem neoliberalen Kahlschlag der Amtsvorgänger, mildern die neuen Regelungen tatsächlich die Probleme ein wenig. Von dem angestrebten »europäischen Niveau« sind sie aber noch weit entfernt. Die neuen Regelungen bringen unter Anderem längere Kündigungsfristen und höhere Abfindungszahlungen mit sich. Die Überstunden werden auf 400 pro Jahr begrenzt. Zudem müssen befristete Arbeitsverträge nach drei Jahren in eine Festanstellung münden. Auf heftige Unternehmerkritik stößt vor allem die Vorschrift, ab 250 Mitarbeitern einen Betriebsrat freizustellen. Nach Schätzungen von Wirtschaftsverbänden wird das neue Arbeitsrecht die Personalkosten in der Slowakei um sagenhafte 0,57 Prozent erhöhen. Da verwundert es nicht, daß Unternehmensvertreter gegenüber dem österreichischen Wirtschaftsblatt bemerkten, sie befürchteten kaum »negative Auswirkungen« der neuen Regelungen, da »eine Änderung der Flat-Tax viel gravierender« wäre.
Auf beeindruckende Weise hielt die Regierung Fico hingegen bei dem angekündigten Privatisierungsstopp Wort. Seit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch die Sozialdemokraten wurde kein einziger, größer Verkauf von Staatseigentum eingeleitet. Zudem konnte Bratislava einige von der neoliberalen Vorgängerregierung initiierte Vorhaben erfolgreich torpedieren. So gelang es der Österreichischen Bundesbahn nicht, die slowakische Gütereisenbahn zu erwerben. Und der Airport Wien bemühte sich erfolglos, den Flughafen Bratislava zu übernehmen.