„Junge Welt“, 15.05.2007
Die Kaukasusrepublik Armenien hat sich ein neues Parlament gewählt
Diesmal waren sich alle einig. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erklärte am Sonntag, daß die am vergangenen Samstag in Armenien abgehaltene Parlamentswahl »weitgehend internationalen Standards entsprochen« habe. Ähnlich äußerten sich auch die Beobachterdelegationen der »Gemeinschaft Unabhängiger Staaten« (GUS) und Rußlands – nur die Opposition sprach noch am Samstag von »Wahlfälschungen« und massivem »Stimmenkauf«. An die 2500 Anhänger dreier Oppositionsparteien, denen der Sprung über die Fünfprozent-Hürde nicht gelang, versammelten sich am Sonntag zu einer Kundgebung in ÂEriwan, um gegen die angeblichen Ungereimtheiten zu protestieren.
Der Opposition bleibt auch kaum noch eine andere Option, da die regierungs- und präsidentennahen prorussischen Kräfte ihr eine vernichtende Niederlage an der Wahlurne zufügten. Die Republikanische Partei des Regierungschefs Sersch Sarkisian kam auf auf 32,9 Prozent der Stimmen. Auf Platz zwei landete mit 14,7 Prozent die regierungsnahe Partei »Blühendes Armenien« des Millionärs und ehemalige Wrestling-Weltmeisters Gagik Zarukjan. Die einstige Regierungspartei Armenischer Revolutionärer Bund landete mit 12,8 Prozent auf Platz drei. Nur zwei Oppositionsgruppierungen kamen hingegen überhaupt über die Fünfprozenthürde: Die Partei »Land des Rechts« erreichte 6,8 Prozent, die Partei »Erbe« 5,8 Prozent.
Die Parlamentswahl galt als ein wichtiger Stimmungstest für Regierungschef Sarkisian, der als Kronprinz des Präsidenten Robert Kotscharjan gilt. Die Kaukasusrepublik Armenien gilt als der wichtigste Verbündete der Russischen Föderation in der strategisch ungemein wichtigen kaspischen Region. Innenpolitisch warb Präsident Kotscharjan für die Beibehaltung des neoliberalen »Reformkurses«, der unter Anleitung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds eingeschlagen wurde.
Der Sieg des Regierungslagers relativiert sich aber, wenn man bedenkt, daß mit 57 Prozent nur gut die Hälfte der armenischen Wähler überhaupt zur Abstimmung ging. Trotz einer Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts (BSP) von konstant mehr als zehn Prozent seit 2002 lebt noch immer ein knappes Drittel der Bevölkerung in Armut. Das BSP je Einwohner Armeniens hat sich zwar im gleichen Zeitraum nahezu verdoppelt, doch sind dies 2006 immer noch magere 2364 US-Dollar. Selbst unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität zum Dollarraum erhöht sich der entsprechende Wert nur auf ca. 4200 US-Dollar. Dabei liegt die offizielle Armutsgrenze laut dem armenischen statistischen Amt bei gerade mal umgerechnet 45 US-Dollar, an die fünf Prozent der Bevölkerung müssen sogar mit weniger als 29 US-Dollar auskommen, was laut Statistik nicht mehr ausreicht, um genügend Lebensmittel zu erwerben.
Kaum ein anderes Land hat über längere Sicht einen so hohen Preis für seine im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion erworbene Unabhängigkeit gezahlt wie Armenien. Der Krieg mit Aserbaidschan führte zum Zusammenbruch der Wirtschaft des Staates, und noch immer sind die Grenzen zur Türkei und Aserbaidschan für den Warenverkehr geschlossen. Hierdurch hat Armenien mit einem permanenten Handelsbilanzdefizit zu kämpfen, allein 2005 betrug es 800 Millionen US-Dollar bei einem BSP von 4,8 Milliarden US-Dollar (ohne Berücksichtigung der Kaufkraftparität).