Realistisches Seminar

„Junge Welt“, 15.05.2007

Berliner Polizei sprengte gewaltfreies Aktionstraining des sozialistischen Jugendverbandes ’solid. Netzwerk plant massenhafte Blockaden der Zufahrtsstraßen zum G-8-Gipfel

Die Berliner Polizei hat am Sonntag nachmittag ein Deeskalationsseminar des sozialistischen Jugendverbandes ’solid massiv gestört. Nach Polizeiangaben wurden in der Lichtenberger Grünanlage Parkaue etwa 20 Personen dabei beobachtet »wie diese Vorgehensweisen gegen Polizisten im Einsatz trainierten. Es wurden offensichtlich Sitzblockaden und direkte Angriffe gegen andere, die eine Personenkette bildeten, geübt.« Die Polizei nahm die Personalien der Beteiligten auf. Nach Auskunft der Veranstalter hielten die Beamten die Jugendlichen fast eine Stunde lang fest, außerdem seien zwei Mobiltelefone beschlagnahmt worden, heißt es in einer am Montag verbreiteten Mitteilung des Verbandes. Zu dem »Aktionstraining zu Formen zivilen Ungehorsams« gehörten Rollenspiele, bei denen Konfliktsituationen bei Demonstrationen, Sitzblockaden und ähnlichen Aktionen geübt werden sollten.

Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Gesine Lötzsch, verurteilte am Montag das Vorgehen der Polizei. Lötzsch, zu deren Wahlkreis Berlin-Lichtenberg gehört, war am Sonntag nachmittag nach Beginn der Polizeimaßnahmen von den Jugendlichen um Hilfe gebeten worden. Die Aktion »paßt in die Linie, gerade jüngere Menschen einzuschüchtern, um sie vom Protestieren abzuhalten«, sagte die Abgeordnete am Montag gegenüber jW. Ihre eigene Partei müsse sich im Berliner Senat klar positionieren, es sei »geboten, daß sich die Koalitionspartner auf eine Linie verständigen«, so die Abgeordnete. Denn: »Ich denke nicht, daß das eine Aktion war, die sich das Polizeirevier vor Ort ausgedacht hat.«
Umgang mit der Repression war auch das Thema der »Block G8«-Pressekonferenz am Sonntag in Hannover. Sprecher des Netzwerks betonten, daß es angesichts der aktuellen Verschärfung besonders wichtig sei, dem Konstrukt entgegenzutreten, vom Widerstand gegen das G-8-Treffen gehe eine »terroristische Gefahr« aus. Man sei auch deswegen bemüht, eine breite Öffentlichkeit mit dem auf zivilem Ungehorsam und passivem Widerstand aufbauenden Aktionskonzept der Kampagne vertraut zu machen, die inzwischen von über hundert Gruppen, Organisationen und Parteien getragen wird.
Die Pressesprecherin der Kampagne, Lea Vogt, bezeichnete die bestehende, von den G-8-Staaten maßgeblich geformte Weltordnung als nicht hinnehmbar. Angesichts von Hunger, Kriegen, Umweltzerstörung und sozialer Ausgrenzung sein die mit den geplanten Blockaden einhergehenden Regelverstöße mehr als nur legitimiert, so Vogt. Konkret wollen die Aktivisten alle Zufahrtswege zu dem abgesperrten Areal um Heiligendamm blockieren. Man hoffe, so den Ablauf des Gipfeltreffens empfindlich zu stören, da ein Großteil der Logistik und Versorgung des G-8-Treffens über den Landweg abgewickelt werden soll, erklärten die Aktivisten. Man wolle »Sand im Getriebe des Gipfels« sein, wie ein Kampagnenteilnehmer feststellte. Ein weiteres, wichtiges Ziel der Kampagne sei es zudem, möglichst viele Menschen zu überzeugen, den »Schritt zum zivilen Ungehorsam« zu wagen.
Schon seit längerer Zeit organisiert »Block G8« bundesweit Aktionstrainings, bei denen interessierte Einzelpersonen oder Gruppen den mit einer Straßenblockade einhergehenden Ablauf einstudieren können. Aktivisten faßten dieses Konzept unter den Stichworten »Bewegen, Blockieren Bleiben« zusammen: Man werde versuchen, ohne Gewaltanwendung an den Sicherheitskräften vorbei auf die Zufahrtsstraßen zu gelangen, diese dann blockieren und die Blockaden möglichst lange aufrechterhalten – im Idealfall über die Dauer des gesamten Gipfels hinweg.
Als nächste größere Aktion planen G-8-Gegner unter dem Motto: »Jetzt erst recht – Repression und Kriminalisierung des Protests entgegentreten« eine bundesweite Demonstration vor der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am kommenden Sonnabend.

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