„Junge Welt“, 14.05.2007
Polen: Großteil des Durchleuchtungsgesetzes verfassungswidrig
Das polnische Verfassungsgericht hat am Freitag einen Großteil der Bestimmungen das sogenannten »Lustrationsgesetzes« für verfassungswidrig erklärt. Mit dem maßgeblich von der rechtskonservativen Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) initiierten Gesetzespaket sollten ganze Berufsgruppen auf eine eventuelle Zusammenarbeit mit den Sicherheitsdiensten der Volksrepublik Polen »durchleuchtet« werden. Sowohl Präsident Lech Kaczynski als auch sein Zwillingsbruder, Regierungschef Jaroslaw Kaczynski, sehen in dem Kampf gegen ein nebulöses, aus ehemaligen Sicherheitsdiensten und liberalen sowie postkommunistischen Eliten zusammengesetztes »System« den Kernpunkt ihrer politischen Agenda, die zur »Gesundung« des polnischen Staates führen soll.
Um diese von der PiS-Führung halluzinierten »kommunistischen Seilschaften« zu enttarnen und auszuschalten, sollten ganze Berufsgruppen gezwungen werden, »Lustrationserklärungen« zu unterschreiben, in denen verbindlich Auskunft über eine eventuelle Zusammenarbeit mit Sicherheitsdiensten der Volksrepublik Polen erteilt wird. Mehrere Journalisten, Wissenschaftler und bekannte Politiker wie Bronislaw Geremek oder Tadeusz Mazowkiecki lehnten diese Nötigung zur Selbstdenunziation ab, die sozialdemokratische SLD hatte beim Verfassungsgericht Beschwerde gegen das Gesetz eingelegt.
Die polnischen Verfassungshüter griffen bei ihrer Urteilsbegründung zu ungewöhnlich scharfen Formulierungen in Richtung der Regierung, die noch vor kurzem die Rolle des Verfassungsgerichts öffentlich in Frage stellte. »Lustration ist keine Rache«, sie dürfe nur zur »Verteidigung der Demokratie« angewendet werden und müsse die Menschenrechte respektieren, erklärte der Vorsitzende des Gerichts, Jerzy Stepien. Das Tribunal erklärte die Durchleuchtung aller Wissenschaftler, Journalisten und Unternehmer für verfassungswidrig. Die von der PiS geplanten, im Internet zugänglichen Listen von ehemaligen Agenten wird es ebenfalls nicht geben. Die Regierung wird nun auch niemanden mehr mit dem Verlust eines öffentlichen Postens bedrohen können, der sich weigert, die »Lustrationserklärung« zu unterschreiben.
Lech Kaczynski erklärte am Wochenende, daß er »nichts Neues hinzuzufügen« habe. Am Mittwoch noch hatte Polens Präsident im Falle einer Ablehnung des Gesetzes gedroht, die Archive des »Instituts der nationalen Erinnerung« – des polnischen Gegenstücks zur Birthler-Behörde – ausnahmslos der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.