„Junge Welt“, 16.05.2007
Kasachstan schert aus der Reihe der Staaten aus, die eine Ölpipeline ohne russische Beteiligung errichten wollen
Im digitalen Zeitalter müssen Politiker nicht unbedingt direkt vor Ort sein, um Wirkung zu erzielen. Rußlands Präsident Wladimir Putin brachte es auch so fertig, während seiner jüngsten Zentralasienreise einer rund 5000 Kilometer weiter westlich tagenden, illustren Runde die Stimmung massiv zu vermiesen. Im südpolnischen Krakow trafen sich am 10. und 11. Mai die Präsidenten Litauens, Polens, der Ukraine, Georgiens und Aserbaidschans, um den Bau einer von Odessa über das ukrainische Brody bis nach Gdansk verlaufenden Pipeline zu besprechen. Über diese Pipeline sollen zentralasiatische Energieträger an Rußland vorbei in die EU gelangen. Die Staatschefs der fünf Länder verabschiedeten zwar eine entsprechende Deklaration, doch die Abwesenheit des kasachischen Präsidenten entwertet dieses Ereignis beträchtlich. Er hatte kurzfristig seine Teilnahme am Gipfel abgesagt.
Nursultan Nasarbajew traf sich statt dessen am 10. Mai mit seinem russischen Amtskollegen Putin in Astana, um gemeinsam mit ihm in die turkmenische Hafenstadt Turkmenbaschi aufzubrechen, in der am 12. Mai ein trilateraler Gipfel mit dem turkmenischen Präsidenten Gurbanguly Berdimuhammedow stattfand. Diese offensichtlich als Gegenveranstaltung zum Treffen in Krakow konzipierte Zusammenkunft kulminierte in der Ankündigung einer neuen Pipeline, die turkmenisches Erdgas über Kasachstan und das russische Pipelinesystem nach WesteuÂropa transportieren soll. Mit dem Bau der neuen Erdgasleitung soll in der zweiten Jahreshälfte 2008 begonnen werden. Bis 2014 kann Rußland nun mit einer Zunahme des Gasimports aus Zentralasien von 60 auf 90 Milliarden Kubikmeter im Jahr rechnen. Derzeit kauft der russische Gasmonopolist Gasprom turkmenisches Erdgas für 100 US-Dollar je 1000 Kubikmeter auf, um es für ca. 250 an Westeuropa zu verkaufen.
Die geplante Gasleitung soll am Ostufer des Kaspischen Meeres in Richtung Rußland verlaufen und wäre somit um einiges kostengünstiger zu realisieren als das westliche Konkurrenzprojekt, das auf dem Grund des Kaspischen Meeres zentralasiatische Energieträger bis nach Aserbaidschan und Georigen schaffen will. Hiernach könnten sie über das Schwarze Meer der Odessa-Gdansk-Pipeline zugeführt werden. Mit dem am Samstag getroffenen Abkommen seien »die technologischen, rechtlichen und ökologischen Risiken so groß«, daß es unmöglich sei, einen Finanzier für dieses westliche Konkurrenzprojekt zu finden, erklärte der russische Energieminister Wiktor Christenko während einer Pressekonferenz in Turkmenbaschi. Es sei denn, so Christenko weiter, es handele sich um einen »politischen Investor«, dem die Menge des durch seine Pipeline fließenden Erdgases egal sei.
Inwieweit die fünf Staaten, deren Vertreter in Krakow tagten, mitsamt ihren Förderern aus EU und USA bereit sind, als solch ein »politischer Investor« aufzutreten, wird sich erst im Herbst zeigen. Der Krakower Energiegipfel kündigte an, beim nächsten Treffen in der litauschen Hauptstadt Vilnius im Oktober 2007 das Konsortium aus der Taufe zu heben, das die Odessa-Gdansk-Pipeline realisieren soll. Dazu sind auch ranghohe EU-Vertreter eingeladen. Bis dahin soll eine Expertengruppe der Energieministerien aller fünf Länder »Analysen« erstellen, wie die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita berichtete. Denn zur Zeit fehlt es der Odessa-Gdansk-Pipeline an verbindlichen Zusagen für Öllieferungen. Sollten diese ausbleiben, könnte das Projekt doch noch begraben werden. Selbst der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew mußte zugeben, daß es noch »zu früh« sei, um über verbindliche Garantien zu reden.
Doch noch sieht man in Warschau, Kiew und Vilnius durchaus Chancen, beim zentralasiatischen Energiepoker zum Zuge zu kommen. Wie die russische Tageszeitung Kommersant am 14. Mai meldete, sei mit dem Abkommen zwischen Rußland, Kasachstan und Turkmenistan nur eine »neue Runde im Pipelinekrieg« eingeläutet worden. Denn Präsident Putin sei es nicht gelungen, seine zentralasiatischen Partner vom Projekt einer vom Westen geplanten, transkaspischen Pipeline abzubringen. Die Präsidenten Turkmenistans und Kasachstans erklärten am Samstag vielmehr, weiterhin über eine alternative Pipelineroute für kasachisches Erdöl und turkmenisches Erdgas auf dem Grund des Laspischen Meeres »diskutieren zu wollen«. Bis zum Oktober dürfte auf die russische und westliche Diplomatie in Zentralasien also noch einiges an Lobbyarbeit zukommen. Insbesondere Kasachstan war in der Vergangenheit bemüht, einen Zugang zum Weltmarkt jenseits der russischen Transitwege zu erlangen. Auch, um bessere Preise für seinen wichtigsten Rohstoff zu erzielen. Das Einlenken des kasachischen Staatschefs Nursultan Nasarbajew ist nach Ansicht von Beobachtern den Zugeständnissen und Angeboten Rußlands in anderen Wirtschaftssektoren zuzuschreiben. Bekannt ist bisher, daß Kasachstan an einem Projekt zur Uran-Wiederaufarbeitung in Ostsibirien beteiligt werden soll. Schon im März dieses Jahres wurde zudem publik, daß Rußland zwei Atomkraftwerke in Kasachstan errichten wird.