Moskauer Handelskeule

„Junge Welt“, 01.12.06

Streit um russisches Embargo für polnische Lebensmittel spitzt sich zu. Ab 2007 generelles Importverbot von EU-Tierprodukten angedroht

Der Streit um Einfuhrbeschränkungen für Fleischprodukte zwischen Rußland und der Europäischen Union (EU) gewinnt an Schärfe. Am 22. November teilte die Europäische Komission mit, daß Rußland in Zusammenhang mit der Aufnahme Rumäniens und Bulga­riens in die EU ein generelles Importverbot für tierische Erzeugnisse aus der gesamten westlichen Wirtschaftsgemeinschaft erwägt. Ein diesbezügliches Schreiben Rußlands ist in Brüssel bereits am 3. November eingegangen. Der Export tierischer Produkte aus der EU nach Rußland erreichte 2005 ein Volumen von 1,7 Milliarden Euro. Laut der Europäischen Kommission äußern russische Stellen im besagten Schreiben die Sorge, daß die hygienischen Bedingungen in der Fleischproduktion beider Länder mangelhaft seien und es keine Garantie gebe, daß diese Fleischerzeugnisse nicht über EU-Drittstaaten auf den russischen Markt gelangten.
Rachefeldzug vermutet
Die russische Seite forderte von Brüssel vor allen, ein Importverbot bulgarischer Fleischprodukte zu gewährleisten. »Sollten die notwendigen Vorkehrungen und Prozeduren eingeführt werden, um bulgarisches Fleisch zu isolieren, wären die Beschränkungen auf Fleischimporte aus der übrigen EU nicht notwendig«, so Rußlands Botschafter bei der EU. In einem Antwortschreiben nannte die Europäische Kommission das eventuelle Embargo Rußlands »gänzlich ungerechtfertigt«, da beide südosteuropäischen Länder mit einem Importverbot für Schweinefleisch in die gesamte EU belegt seien, das auch nach deren Beitritt 2007 aufrechterhalten werde. »Wir haben die Hoffnung, daß diese Maßnahmen die russische Seite befriedigen werden«, so Philip Tod, Mitarbeiter beim Verbraucherschutz- und Gesundheitsressort der Europäischen Kommission, gegenüber der Presse.

Querelen um Importbeschränkungen und -verbote für bestimmte Lebensmittel haben schon seit längerer Zeit die Beziehungen zwischen Rußland und dem EU-Mitglied Polen belastet. Von dem im November 2005 verkündeten Importstopp für polnische Fleischprodukte waren zehn Prozent der polnischen Fleischexporte betroffen. Das russische Landwirtschaftsministerium begründete das Verbot mit sich häufenden, »groben Verstößen gegen die Veterinärgesetze bei der Lieferung tierischer Erzeugnisse«. In polnischen Medien wurde dagegen gemutmaßt, daß mit diesen Embargo die antirussische und prowestliche Außenpolitik Polens abgestraft werden sollte.
BRD soll vermitteln
Einfuhrverbote sind eine beliebte Waffe Moskaus im geopolitischen Ringen auf dem postsowjetischen Terrain. Von einem russischen Lebensmittelembargo war die Ukraine nach der »orangen Revolution« betroffen, die Republik Moldawien durfte nach erfolgter Westorientierung keine alkoholischen Erzeugnisse mehr absetzen, und wenig später wurden auch georgische Weine von russischen Markt verbannt.

Um die russische Blockade bei den Fleischimporten zu durchbrechen, zieht Warschau nunmehr die Veto-Karte und blockiert die Aufnahme von Gesprächen zwischen der EU und Rußland über ein neues Partnerschaftsabkommen. Polen werde der EU das Mandat für die Aufnahme der Verhandlungen so lange verweigern, bis Rußland das seit einem Jahr gültige Importverbot aufhebe, heiß es in einer ofiziellen Verlautbarung aus Warschau. Ferner wird Rußland aufgefordert, die europäische Energiecharta zu unterschreiben, mit der Versorgungssicherheit garantiert werden soll. Der russische Präsident Putin bezeichnete diese Haltung Polens am 15. November als »glatte Erpressung«. Brüssel ist hingegen bemüht, den Konflikt zu entschärfen. So schlug der Vorsitzende der EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, am 24. November vor, das Verbot der Fleischlieferungen von Polen nach Rußland in direkten Gesprächen zu erörtern. Die EU betrachte das Verbot als »unangemessene Maßnahme» und bitte Rußland um seine Aufhebung, so der Chef der EU-Kommission. Entspechend zuversichtlich zeigten sich Barroso und Putin beim EU-Rußland-Gipfel in Helsinki, das neue Kooperationsabkommen bald verabschieden zu können.

»Wir können unserer gemeinsamen Zukunft nicht entgehen. Und wir werden die Verhandlungen so rasch wie möglich aufnehmen. Die Verzögerung hat keine Folgen für das Verhältnis zwischen der EU und Rußland«, so der um Deeskalation bemühte Barroso.

Zudem sollen laut einen Bericht der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza deutsche Diplomaten in dem Streit vermitteln. Angestrebt wird ein klassischer Deal: Rußland könnte die Importverbote für polnisches Fleisch aufheben, wenn Polen seine Blockadehaltung bei dem Kooperationsabkommen aufgibt. In dieser Richtung äußerte sich jedenfalls Angelika Schwall-Düren, Vizevorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, gegenüber der polnischen Zeitung. »Wir versuchen, die Vorbehalte Warschaus zu verstehen, doch es wäre schlecht, wenn die polnische Haltung die europäische Solidarität überstrapazierten würde«, so Schwall-Düren gegenüber Gazeta Wyborcza. Bekanntlich endet diese »europäische Solidarität« Deutschlands an der nächsten Gaspipeline.

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