„junge Welt“, 04.12.06
Estland will die Sowjetunion per Gesetz mit Nazi-Deutschland gleichstellen
Die Totalitarismusideologie soll in Estland in Gesetzesform gegossen werden. Die estnische Regierung beschloß kürzlich, einen neuen Straftatbestand auf den parlamentarischen Weg zu bringen, demzufolge die öffentliche Darstellung von Symbolen der SowjetÂunion wie Nazideutschlands gleichermaßen unter Strafe gestellt wird. Gemäß dem Gesetzesvorschlag soll die öffentliche Darstellung von »historischen Symbolen« der NSDAP, der SS, aber auch von Hammer und Sichel und anderer Sowjetsymbole strafrechtlich verfolgt werden. Der Gesetzesvorschlag der Regierung muß noch vom Parlament gebilligt werden. Wer die illegalisierten Symbole zeigt, soll mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden.
Die russische Politik und Öffentlichkeit reagierte empört auf diese jüngste Initiative der baltischen Republik, die die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen beiden Ländern weiter belasten dürfte. Das russische Außenministerium bezeichnete den Gesetzentwurf als empörend. »Die estnische Obrigkeit verfolgt weiterhin ihre blasphemischen Versuche, die Geschichte umzuschreiben. Sie stellt die Verbrechen der Nazis auf dieselbe Ebene wie die Errungenschaften der Sowjetbürger, die entscheidenden Anteil an der Befreiung Europas vom Faschismus hatten«, hieß es in einer äußerst scharf gefaßten Erklärung.
In Estland lebt eine starke russische Minderheit, die etwa ein Drittel der 1,3 Millionen zählenden Gesamtbevölkerung ausmacht. Die russischen Veteranen und deren Unterstützer feierten auch in Estland bisher den Siegestag über den Faschismus, indem sie sowjetische Fahnen schwenkend durch die Straßen zogen. Diese Tradition würde nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes illegal werden. Der russischen Minderheit in Estland wird selbst nach dem Beitritt des Landes zur EU die rechtliche Gleichstellung mit den Esten verweigert. Viele Russen können die estnische Staatsbürgerschaft oder eine Arbeitserlaubnis nicht erhalten, zudem gibt es in Estland kaum Möglichkeiten, eine Schulbildung in Russisch zu absolvieren.
Die ehemals mit dem deutschen Faschismus kollaborierenden Esten, die sich in SS-Formationen am Vernichtungskrieg im Osten beteiligten, können sich hingegen ihrer Anerkennung als nationale »Freiheitskämpfer« sicher sein. Das russische Außenministerium protestierte mehrere Male vergebens bei der EU, als ehemalige estnische SS-Kämpfer unter Polizeischutz öffentliche Paraden abhielten.