„Junge Welt“ vom 05.08.06
Viktor Janukowitsch wird Premierminister
Am Donnerstag wurde die seit über vier Monaten in der Ukraine schwelende, politische Krise beendet. Vertreter der prorussischen »Partei der Regionen«, der Sozialistischen Partei, der ukrainischen Kommunisten und der westlich orientierten Partei »Unsere Ukraine« des Präsidenten Viktor Juschtschenko unterzeichneten einen »Nationalen Einheitspakt«, der die programmatische Grundlage der zukünftigen Regierungspolitik bilden soll. Einzig der Wahlblock Julia Timoschenkos verweigerte die Unterschrift unter dieses Dokument und kündigte an, in die Opposition gehen zu wollen. Bis zum 2. August hatte Präsident Juschtschenko laut Verfassung Zeit, entweder der Kandidatur seines Erzrivalen, des an Rußland orientierten Viktor Janukowitsch, zum Premier zuzustimmen oder Neuwahlen auszurufen. Die neu geformte Koalition, die Janukowitsch zum Premier vorschlug, bestand aus seiner »Partei der Regionen«, den Sozialisten und Kommunisten.
Kein NATO-Beitritt
Seit dem 27. Juli verhandelten die Parteien Juschtschenkos und Janukowitschs über eine mögliche »große Koalition«. Juschtschenkos Ziel war es dabei, Janukowitsch die Regierungsgewalt zu überlassen, ihn aber gleichzeitig auf eine westliche orientierte Politik zu verpflichten und die Kommunisten aus der Regierung zu drängen. Diese Zielsetzung konnte Juschtschenko nur teilweise erreichen: Die Kommunisten sind in der Koalition der nationalen Einheit vertreten. Zudem sind viele der 27 programmatischen Eckpunkte im Nationalen Einheitspakt vielseitig interpretierbar. So wird wird die ukrainische Kooperation mit der NATO befürwortet, von einem Beitritt ist aber keine Rede mehr. Der Einheitspakt unterstützt auch das Streben der Ukraine nach Beitritt in die Welthandelsorganisation und die Europäischen Union, doch zugleich will man Teil der Russischen Freihandelszone werden, die auch Kasachstan und Belarus umfaßt. Ukrainisch gilt als offizielle Landessprache, aber sie ist nicht mehr die einzige – auch hier mußte Juschtschenko Zugeständnisse an die in der Ostukraine beheimatete, russischsprachige Wählerschaft Janukowitschs machen.
So nimmt es kaum Wunder, daß Janukowitsch sich kurz vor Unterzeichnung des Pakts großherzig und versöhnlich zeigte: »Wenn wir auf uns zugehen, so ist es sehr wichtig, nicht zu zählen, wer einen und wer zwei Schritte macht, wer der Sieger und wer der Verlierer ist« – so sprechen echte Sieger. Juschtschenkos Entschluß, der Kandidatur Janukowitschs zum Premier zuzustimmen und sich an der Koalition zu beteiligen, stößt im eigenen, westukrainischen Lager auf Widerstand und Mißtrauen: »Wir hätten sonst die Ukraine entlang des Dnjepr teilen müssen«, so die Rechtfertigungsversuche des Präsidenten während einer Fernsehansprache an die Nation.
Zerfällt »Unsere Ukraine«?
Der Vizerektor der Lemberger Katholischen Universität, einer Hochburg der prowestlichen Kräfte, blieb aber unbeeindruckt: »Der Fakt, daß â€ºUnsere Ukraine‹ der neuen Koalition beigetreten ist, deutet darauf hin, daß es bei den nächsten Wahlen diese Partei nicht mehr geben wird«, so Miroslaw Marijnowitsch gegenüber der Nachrichtenagentur REGNUM. Dimitrij Wjidrin, Mitglied des Wahlblocks von Julia Timoschenko, spricht von einem taktischen Sieg und einer strategischen Niederlage Juschtschenkos und der westlich orientierten Kräfte: »Juschtschenko verschaffte sich eine Atempause für die Sommerperiode, aber zugleich verlor er die Möglichkeit, auf die Ausformung der Exekutive und Legislative noch Einfluß zu nehmen.«
Teile der russischen Presse sind hingegen in Jubellaune. Der Kommersant sprich von »Niederlagen« des ukrainischen Präsidenten und gar einer »Kapitulation« des orangen prowestlichen Lagers.