„Junge Welt“ vom 19.07.06
Erste Ansätze der slowakischen Regierung, die neoliberalen Reformen der vergangenen Jahre zu revidieren, stoßen auf heftige Kritik im In- und Ausland
Robert Fico ist ein einsamer Mann. Seine erste Auslandsvisite mußte der neue Premier der umstrittenen, aus Sozialdemokraten und radikalen Nationalisten gebildeten slowakischen Regierung bei dem scheidenden tschechischen Regierungschef Jiri Paroubek abhalten – vor allem deshalb, weil keine andere Regierung der EU eine Einladung an Fico ausgesprochen hatte. Paroubek mitsamt seinen tschechischen SoÂzialdemokraten (CSSD) bilden die einzige sozialdemokratische Strömung der EU, die sich mit der neuen slowakischen Regierung solidarisierte und allen Versuchen, Fico zu isolieren, eine klare Absage erteilte.
Beide Seiten betonten auf einer Pressekonferenz am Wochenende die ausgezeichneten bilateralen Beziehungen zwischen den Nachfolgestaaten der 1993 aufgelösten Tschechoslowakei. Vereinbart wurde eine Intensivierung der wirtschaftlichen Kooperation bei der Erschließung ehemals von der Tschechoslowakei belieferte Märkte in Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien. Bratislava und Prag wollen nun gemeinsam an den »guten Ruf der tschechoslowakischen Produkte« in diesen Ländern anknüpfen, wie Paroubek sich ausdrückte. Eine ähnliche Kooperation soll auch in der Tourismusbranche initiiert werden. Daneben werden tschechische und slowakische Fernsehstationen auch Sendungen in der Sprache des Nachbarlandes ausstrahlen, um die »Annäherung der Sprachen« zu fördern.
»Linkspopulist« im Visier
Diese Unterstützung seiner tschechischen Genossen hat Robert Fico auch dringend nötig. Die deutschen, französischen und belgischen Sozialdemokraten brachen den Kontakt zu seiner Smer-Partei sofort nach Bekanntgabe der Koalitionsbildung ab. Auf der gesamteuropäischen Ebene wurde die Suspendierung der Smer aus der »Europäischen Sozialistischen Partei« eingeleitet. Der Vorsitzende der Christdemokraten in Ungarn, Zsolt Semjen, hat die Europäische Union aufgefordert, »Schritte« gegen die slowakische Regierung einzuleiten. Die slowakischen – größtenteils in deutschen Besitz befindlichen – Medien feuern aus allen Rohren auf den Premier, und auch österreichische Zeitungen haben sich auf den »Linkspopulisten« (Die Presse) Fico eingeschossen – und das aus gutem Grund. Denn die slowakische Regierung läßt ihrer Ankündigung, laufende oder geplante Privatisierungen zu überprüfen, jetzt Taten folgen.
Unmittelbar betroffen ist eine Tochterfirma der Österreichischen Bundesbahn, die Rail Cargo Austria (RCA), die den Zuschlag für die staatliche slowakische Gütereisenbahn Cargo Slovakia schon sicher glaubte. Nun ließ Robert Fico verlauten, daß ein solcher Verkauf einer »Katastrophe« für die Slowakei gleichkäme und schloß eine Privatisierung der slowakischen Güterbahn definitiv aus. Zittern muss auch der Flughafen Wien, der kurz vor den Wahlen noch die Flughäfen Bratislava und Kosice erwerben konnte. Fico spricht in diesem Zusammenhang von einem »großen Fehler«. Der slowakische Premier möchte den Vertrag mit dem Flughafen Wien am liebsten stornieren, doch rechtlich besitzt er kaum noch Spielräume. Einzig eine negative Beurteilung des Verkaufs durch die slowakische Wettbewerbsbehörde gäbe Fico eine Handhabe gegen den Deal. Außerdem hat der neue Premier angekündigt, daß der Staat die Mehrheit an zehn strategisch wichtigen Unternehmen im Energie- und Verkehrssektor behalten werde. Neben der Cargo Slovakia sind sechs Wärmekraftwerke und drei Stromnetzbetreiber von dieser Entscheidung betroffen.
Euro hat Priorität
Ihre Besorgnis artikulierten auch Österreichs Finanzkreise. Die neue slowakische Regierung plant die Einführung einer zusätzlichen Steuer für Banken. Davon wären vor allem die österreichischen Geldinstitute betroffen, die in der Slowakei den Markt dominieren. Die österreichische »Erste Bank« hat mit der Slovenska Sporitelna den Marktführer im Privatkundengeschäft erworben, die Raiffeisen International mit der Tatra Banka das drittgrößte Institut des Landes. Auf eine höhere Besteuerung müssen sich auch marktbeherrschende Unternehmen und Monopole einstellen, wie die Gasindustrie oder Stromproduzenten, die derzeit hohe Gewinne erwirtschaften. Zudem sollen eine »Millionärssteuer« von 25 Prozent erhoben und erstmals Dividenden und Spekulationsgewinne besteuert werden. Mit der angestrebten Senkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente und Güter des täglichen Bedarfs wird de facto der Einheitssteuersatz von 19 Prozent, die sogenannte »Flat Tax« abgeschafft. Schließlich plant die Regierung Fico eine Reform des liberalisierten Arbeitsrechts, mit der die Rechte der Lohnabhängigen gestärkt werden sollen.
Doch es gibt auch erste Anzeichen, daß sich die Regierung dem Druck partiell beugen wird. So kündigte Fico am Wochenende nach einem Treffen mit Nationalbankchef Ivan Sramko an, daß die für Anfang 2009 geplante Einführung des Euro absolute Priorität habe, auch wenn aufgrund der Erfüllung der Maastricht-Kriterien einige soziale Wahlversprechen auf der Strecke bleiben würden. Offensichtlich ist dem Premier die durch Kapitalabflüsse ausgelöste Talfahrt der slowakischen Krone, die nur durch mehrmalige Stützungskäufe der Nationalbank gebremst werden konnte, in die Glieder gefahren.