Regierungskrise in Permanenz

Publiziert am 28.01.06 in „junge welt“

Polen: Rechtskonservative PiS baut Machtpositionen konsequent aus. Haushaltsstreit könnte als Vorwand für Neuwahlen dienen

Obwohl der Haushalt für 2006 in der Nacht vom Dienstag zu Mittwoch vom polnischen Parlament nach wochenlangen Auseinandersetzungen gebilligt wurde, könnte die rechtskonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) der Zwillingsbrüder Lech und Jaroslaw Kaczynski dennoch versucht sein, schnellstmöglich Neuwahlen auszurufen. Die PiS stellt gegenwärtig eine Minderheitsregierung und war bei der mehrmals gescheiterten Abstimmung über den Haushalt auf die Stimmen der rechtsradikalen »Liga der Polnischen Familien« (LPR), der Bauernpartei PSL und der populistischen »Samoobrona« (Selbstverteidigung) angewiesen.

Laut polnischer Verfassung muß der Haushalt bis zum 1. Februar dem Präsidenten, also Lech Kaczynski, zur Unterschrift vorgelegt werden, ansonsten hat dieser die Möglichkeit, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Nach dem Willen der PiS soll der Haushalt nun am kommenden Montag dem Senat vorgelegt werden, um weitere »Korrekturen« an dem Papier vornehmen zu können. Wenn dies tatsächlich geschähe, wäre der verfassungsgemäße Termin nicht mehr zu halten.

Die PiS befindet sich momentan in einem Umfragehoch, sie würde einigen Prognosen zufolge bei Neuwahlen sogar die absolute Mehrheit im Parlament erringen können. Etliche Parteien, wie die LPR und die PSL, kämen höchstwahrscheinlich nicht mehr in den Sejm. Zunutze käme der PiS die bisherige Politik der Regierung: Seit ihrem Amtsantritt hat die Minderheitsregierung von Premier Marcinkiewicz (PiS) nur mit sozialen Wohltaten geglänzt, von Einschnitten in die Überreste der sozialen Sicherungssysteme nahm sie bislang Abstand. Dank einer »Reform« des Landesrundfunk- und Fernsehrats (KRRiT) verfügen die Konservativen zudem über enormen Einfluß auf die Massenmedien. Der KRRiT, der auf fünf Mitglieder reduziert wurde, bestimmt die Aufsichtsräte für die staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, die für die Programmgestaltung zuständig sind. Die Mitglieder des Rats werden nach dem neuen Mediengesetz der PiS vom Parlament, dem Senat und dem Präsidenten bestimmt, der auch den Vorsitzenden ernennt. All diese Insititutionen sind von der PiS dominiert. Des weiteren wurden den katholischen Medien, wie dem »Radio Maryja« und dem Fernsehsender »Trwam«, besondere Privilegien zuteil: Da diese erzkonservativen Sender als »gemeinnützig« gelten, werden ihnen ihre Lizenzen kosten- und problemlos verlängert, private Betreiber hingegen müssen nach Ablauf ihrer Sendeberechtigungen nun Milliardenbeträge auf den Tisch legen, um weiter arbeiten zu können.

Darüber hinaus führte die PiS eine gewaltige »Säuberungswelle« im Staats- und Verwaltungsapparat durch. Der Vorstand des staatlichen Gasversorgers PGNiG wurde ausgewechselt, 17 Botschafter Polens abberufen und die Kontrolle über Justiz und Sicherheitsdienste verstärkt – Polens Innenminster Zbigniew Ziobro (PiS) ist in Personalunion zugleich Generalstaatsanwalt. Betroffen sind vor allem Mitglieder der ehemals regierenden sozialdemokratischen »Vereinigung der Demokratischen Linken« (SLD), die auch aus leitenden Positionen der polnischen Sozialversicherungsanstalt (ZUS) verdrängt wurden. Die Parlamentarier der PiS werden einer eisernen Disziplin unterworfen. So dürfen sie laut einer parteiinternen Richtlinie Pressekontakte nur nach vorheriger Absprache mit der Parteiführung haben.

Unter verstärktem Druck stehen ebenfalls die Überreste der polnischen Gewerkschaftsbewegung, in der nur noch etwa 15 Prozent der polnischen Lohnabhängigen organisiert sind. Seit der Machtübernahme durch die PiS mehren sich Entlassungen von Gewerkschaftsfunktionären in privaten und staatlichen Betrieben.

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