Erholung in Belarus

Publiziert am 10.01.06 in „junge welt“

Hohe Wachstumsraten und kaum Erwerbslosigkeit kennzeichnen die Ökonomie der osteuropäischen Republik. Kooperation mit Rußland als Garant

Die wirtschaftliche Kooperation mit Rußland ist für Belarus ein Erfolgsgarant und wird weiter vertieft. Am Wochenende trafen in Minsk der belorussische Präsident Alexander Lukaschenko und hochrangige Vertreter des russischen Staatskonzerns Gasprom zu Sondierungsgesprächen zusammen. Man werde noch enger zusammenarbeiten, und das zum gegenseitigen Vorteil, hieß es offiziell. Während die Nachbarrepublik Ukraine ab 1. Januar eine saftige Erhöhung des Gaspreises auf de facto 96 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter zu verkraften hat (offiziell wurde sogar von 230 Dollar gesprochen), wird Belarus von Gasprom zum Vorzugspreis von 46 Dollar mit dem Brennstoff beliefert. »Umsonst« ist diese Vorzugsbehandlung allerdings nicht. Minsk erklärte sich im Gegenzug bereit, das gesamte Pipelinesystem des Landes auf 46 Jahre an Gasprom zu verpachten.

Großer Bruder

Rußland bleibt ohnehin der mit Abstand wichtigste Wirtschafts- und Handelspartner von Belarus. Etwa 50 Prozent des gesamten Außenhandels werden mit dem mächtigen Nachbarn abgewickelt. Doch insbesondere die belorussischen Exporte in den EU-Raum nahmen in jüngster Zeit deutlich zu; sie machen inzwischen ein Drittel des Handelsvolumens von Belarus aus. Es sind vor allem Produkte der gut ausgebauten, petrochemischen Industrie, die im Westen Absatz finden. Meist werden dabei russische Rohstoffe weiterverarbeitet und gen Westen exportiert. Die Lieferungen von Produkten der ölverarbeitenden Industrie in die Niederlande nahmen zwischen 2004 und 2005 um 180 Prozent zu, die nach Deutschland stiegen um 120 Prozent. So konnten die belorussischen Exporte – bei einer ausgeglichenen Handelsbilanz – innerhalb von fünf Jahren um das 2,5fache auf 13 Milliarden US-Dollar steigen.

Die gute Konjunktur für Produkte aus der Petrochemie ist westlichen Kritikern der Republik Belarus ein Dorn im Auge. Laut neoliberaler Theorie kann nicht sein, was nicht sein darf: Das Land hat Wachstumsraten aufzuweisen, die in der BRD kaum noch vorstellbar sind. Dabei werden 70 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) von staatlichen Unternehmen erwirtschaftet. Die Regierung in Minsk betreibt eine aktive Lohnpolitik. Durch staatliche Investitionen werden neue Wirtschaftszweige aufbaut oder angeschlagene Unternehmen gestützt. Der Deutschen Welle zufolge sollen die Wachstumsraten des Landes von elf Prozent im Jahr 2004 und etwa acht Prozent 2005 allein auf externe Faktoren wie die hohe Nachfrage nach petrochemischen Produkten zurückzuführen sein. Dies würde es angeblich Lukaschenko ermöglichen, ein Haushaltsüberschuß zu erwirtschaften und Löhne und Renten pünktlich auszuzahlen.

Das kleine Wirtschaftswunder zwischen Brest, Gomel und Witebsk ist dennoch keine Schimäre. So kommt selbst die Weltbank in ihrem Länderbericht nicht umhin, die Stimulation der Binnennachfrage als einen wichtigen Faktor des Wirtschaftsaufschwungs in Belarus zu benennen: Zwischen 2000 und 2005 sei der belorussische Durchschnittslohn von umgerechnet 80 auf 250 US-Dollar gestiegen. Die staatlichen, zentral geplanten Investitionen müßten das nahezu vollständige Fehlen von ausländischen Investitionen kompensieren. Der Anteil externer Kapitalanlagen an den Gesamtinvestitionen habe 2004 deutlich unter zehn Prozent gelegen. Dennoch sei es dem Land gelungen, die wichtigsten Großbetriebe aus der Sowjetzeit zu retten und zu modernisieren, die Anfang der 90er Jahre noch vor der Pleite standen.

Inzwischen beschäftigen zum Beispiel der Hausgerätehersteller Atlant, die Gorizont-Fernsehwerke oder der LKW-Produzent MAZ Zehntausende Arbeiter. Diese Betriebe exportieren ihre Produkte hauptsächlich in den postsowjetischen Raum und schreiben schwarze Zahlen. Die Arbeitslosenquote in Belarus lag im Dezember 2005 bei 1,5 Prozent. Auch die Einkommensunterschiede in der Bevölkerung sind längst nicht so ausgeprägt wie in Rußland oder Polen. So müssen sich die besserverdienenden 20 Prozent der Weißrussen mit dem Vierfachen dessen begnügen, was die schlechtbezahltesten 20 Prozent erhalten. In Polen kassiert das obere Fünftel das Sechsfache.

Neue Ziele

Ende des Jahres hatte auch die belorussische Regierung Bilanz gezogen und einen ehrgeizigen wirtschaftspolitischen Perspektivplan bis 2010 vorgelegt. Demzufolge konnte zwischen 2001 und 2005 das BSP um 42 Prozent gesteigert werden. In Relation zu 1996 hätte es sich gar verdoppelt, und bis 2010 soll es verdreifacht werden. Die russisch- belorussische Integration soll weiter forciert werden. Ein gemeinsamer Haushalt sowie eine Währungsunion sind angedacht.

Allerdings müssen diese Erfolgszahlen im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der belarussischen Wirtschaft in der ersten Hälfte der 90er Jahre gesehen werden. Damals wurde dem Land eine ökonomische »Schocktherapie« verpaßt, worauf die Wirtschaftsleistung um nahezu die Hälfte sank. Noch im Jahre 2000 erreichte das Bruttosozialprodukt nur 89 Prozent des Standes von 1990. Erst im vergangenen Jahr konnten die Folgen von fünf Jahren ungehemmter »Wirtschaftsliberalisierung« zu Beginn der 90er Jahre überwunden werden.

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