Publiziert am 7.01.06 in „junge welt“
In der »Vierten Republik«setzt die neue, konservative Regierung Polens wirtschaftlich auf neoliberale Kontinuität. »Soziale Wohltaten« nichts als Kosmetik
Während des Wahlkampfes im Herbst 2005 thematisierte die nun regierende, rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) der Gebrüder Kaczynski vor allem soziale Probleme. Mit einer geschickten Kampagne, die unter der Parole »solidarisches Polen« lief, schafften es die Konservativen, den Liberalen der Bürgerplattform (PO) am Wahltag die entscheidenden Prozentpunkte abzunehmen. Noch im Wahlkampf hatte die PiS versprochen, daß der Staat eine aktivere Rolle in der Wirtschaft spielen werde. Ein großangelegtes, staatliches Wohnungsbauprogamm sollte drei Millionen neue Wohnungen schaffen und die Arbeitslosigkeit deutlich senken. Beträchtliche Investitionen zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur wurden versprochen, um für weitere staatliche Nachfrage und zusätzliche Wachstums- und Beschäftigungsimpulse zu sorgen. Im Laufe der Legislaturperiode sollte die Halbierung der derzeit offiziell bei knapp 18 Prozent liegenden Arbeitslosigkeit angestrebt werden.
Zu den Akten gelegt
Dieses Wahlkampfprogramm scheint nun, da die PiS die Minderheitsregierung stellt, zu den Akten gelegt worden zu sein. Regierungschef Kazimierz Marcinkiewicz hält inzwischen eine Senkung der Arbeitslosigkeit nur durch gesteigertes Wirtschaftswachstum für möglich. Von Wohnungsbau- und anderen Konjunkturprogrammen spricht man in Regierungskreisen kaum noch. Statt dessen werden billige, symbolische Projekte für die Öffentlichkeit aufgebauscht, wie die Erhöhung des »Mutterschaftsgeldes«, einer einmaligen Zahlung von 1000 Zloty (für einen Euro erhält man 3,8 Zloty). Desweiteren werden von der PiS Gelder für eine Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs und die Ausweitung der Schulspeisung bewilligt. Insbesondere die letzte Maßnahme scheint auch dringend geboten, da in einigen östlichen Regionen Polens bis zu 30 Prozent der Kinder unter Mangelernährung leiden.
Diese laut debattierten und von der liberalen PO heftig bekämpften Sozialmaßnahmen werden den Staatshaushalt mit knapp 500 Millionen Zloty belasten. Eine von der PiS angestrebte Senkung des Spitzensteuersatzes von 40 auf 32 Prozent schlägt hingegen mit über sechs Milliarden Zloty zu Buche, also mit dem Zwölffachen dessen, was die Konservativen sich an sozialer Symbolik leisten wollen. Finanziert werden diese Steuerausfälle unter anderem durch eine elfprozentige Erhöhung der »Elektrizitätssteuer« und durch eine Anhebung der Gaspreise um zwölf Prozent. Steuergeschenke an Spitzenverdiener und Kapital werden somit wie gehabt durch die steuerliche Belastung des Massenkonsums finanziert.
Die wirtschaftspolitische Kontinuität in Polen wird insbesondere daran deutlich, daß die neue Regierung den von der alten, sozialdemokratischen Administration ausgearbeiteten Haushaltsentwurf für 2006 dem Parlament vorlegte, lediglich ergänzt um besagte geringfügige »Sozialmaßnahmen«. »Während der Wahlkampagne versprach die PiS einen grundlegenden Wandel in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, nun haben wir einige Ergänzungen«, witzelte der Sozialdemokrat Jerzy Szmajdzinski (SLD) bei der Haushaltsdebatte Ende Dezember. Für das kommende Jahr geht die Regierung von einem Wirtschaftswachstum von fünf Prozent aus. Im abgelaufenen Jahr wuchs Polens Wirtschaft um etwa 3,5 Prozent. Insbesondere die bessere Ausnutzung von Fördermaßnahmen der EU soll laut Marcinkiewicz die Wirtschaft ankurbeln. Von den 12 Milliarden Euro, die für Polen von der EU vorgesehen sind, konnten bisher nur 114 Millionen tatsächlich ausgezahlt werden.
Alle Ressorts, mit Ausnahme des Innen- und Justizministeriums, müssen Kürzungen hinnehmen. »Dies zeigt die Prioritäten dieser Regierung. Wichtig ist aber Brot für die Bevölkerung, und nicht der Aufbau eines Polizeistaates. Gebraucht werden neuen Fabriken, und nicht neue Gefängnisse«, so Jaroslaw Kalinowski von der Bauernpartei PSL.
Hohe Verschuldung
Der Staat will sich auch 2006 kräftig verschulden. Die Haushalteeinnahmen sollen sich auf 194 Milliarden Zloty belaufen, die Ausgaben auf 225 Milliarden. Diese Verschuldung, insbesondere bei westlichen Kreditgebern, erreicht somit neue Höchststände. Finanzministerin Teresa Lubinska (PiS) erklärte im Zuge der Haushaltsdebatte, daß 2006 die Staatsverschuldung 52,3 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts (BSP) betragen werde. Für den Schuldendienst müsse Polen 27,7 Milliarden Zloty aufbringen, das etwa Fünfzigfache dessen, was an Finanzmitteln für die neuen, sozialen »Wohltaten« der Regierung geplant ist. In der hohen Verschuldung finden sich wohl auch die Gründe für die wirtschaftspolitische Kontinuität in Polen. Die Kreditgeber regieren über Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds IWF längst in Polen mit. Die Vergabe weiterer Kredite zur Finanzierung des polnischen Haushaltsdefizits wird von einer entsprechenden Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik abhängig gemacht. Die konservativen Erbauer der »Vierten Polnischen Republik«, die alles anders machen wollten, müssen zumindest wirtschaftspolitisch alles beim alten belassen.