Publiziert am 06.02.06 in „junge welt“
Polens Opposition hält ein Jahr lang still. Staatsangestellte auf kommunistische Vergangenheit durchleuchtet
Eine informelle »Koalition der Angst« sei am vergangenen Donnerstag in Warschau geschmiedet worden. So zumindest kommentierten am Freitag und Samstag etliche politische Beobachter der polnischen Medien die aktuelle Lage: Die schon sicher geglaubten Neuwahlen waren durch die Unterzeichnung einer »Stabilitätsvereinbarung« zwischen der regierenden rechtskonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) und den »Oppositionsparteien« LPR (Liga der Polnischen Familien) und Samoobrona (Selbstverteidigung) in weite Ferne gerückt.
Laut der Stabilitätsvereinbarung verpflichten sich die rechtsradikale LPR und die populistische Samoobrona, die Minderheitsregierung der PiS über ein Jahr hindurch bei allen anstehenden Abstimmungen im polnischen Parlament mit der nötigen Mehrheit zu versorgen. Eine Liste mit über 150 Gesetzentwürfen wurde im Zuge der Verhandlungen um die Vereinbarung ausgehandelt, die nun im Verlauf dieses Jahres »abgearbeitet« werden soll. Im Gegenzug wird Präsident Lech Kaczynski (PiS) keine Neuwahlen ausrufen, bei denen die LPR höchstwahrscheinlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und die Samoobrona bis zur Hälfte ihrer Parlamentssitze verloren hätte. Die potentiellen Verlierer einer Neuwahl ermöglichen es nun der PiS, alle Regierungsämter und Machtpositionen zu monopolisieren, obwohl sie es bei den vergangenen Wahlen auf gerade mal 26 Prozent der Stimmen brachte.
Viele der im Zuge der Stabilitätsvereinbarung ausgearbeiteten Gesetzentwürfe sehen einen Ausbau staatlicher Machtbefugnisse vor. Ein »Zentrum zur Überwachung der Medien« soll diese auf ihre politische Zuverlässigkeit prüfen. Zugleich wird das »Zentrale Antikorruptionsbüro« weiterhin mit den Überresten der sozialdemokratischen SLD aufräumen. Derweil soll die »Kommission der Wahrheit und Gerechtigkeit«, ein in Permanenz tagender parlamentarischer Untersuchungsausschuß, mit weitgehenden exekutiven Vollmachten ausgestattet werden. Desweiteren sollen die Biographien von Personen, die eine »öffentliche Funktion« ausüben, auf eventuelle Zusammenarbeit mit dem sozialistischen Machtapparat vor 1989 durchleuchtet werden. Dazu zählen neben Staatsbediensteten auch Bank- und Firmenchefs sowie Journalisten. Eine umfassende Entlassungs- und Beförderungswelle kündigt sich an.
Die von der Samoobrona eingebrachten Gesetzesvorschläge wurden größtenteils an einen Vermittlungsausschuß überwiesen. Demnach wird es in Polen auch zukünftig keine Arbeitslosenunterstützung oder Besteuerung internationaler Handelskonzerne geben. Immerhin wurde die Anpassung der Renten an die Inflationsrate in die Stabilitätsvereinbarung aufgenommen.
Einen Ausblick auf die von der PiS angestrebte »Vierte Polnische Republik« konnte man bei der Unterzeichnung der Stabilitätsvereinbarung erhalten, zu der nur Vertreter des erzkonservativen, katholischen Fernsehsenders »Trwam« zugelassen waren. Der Chef der PiS, Jaroslaw Kaczynski, bedankte sich bei dieser Gelegenheit bei der katholischen Geistlichkeit für ihre »Vermittlungsdienste«. Als daraufhin die restlichen Medienvertreter eine anschließende Pressekonferenz im Parlament boykottierten, erschallte aus den PiS-Reihen prompt die Forderung nach deren »Bestrafung«.