Billig war gestern

„Junge Welt“, 15.04.2008
Belegschaft der zu Renault gehörenden Dacia-Werke in Rumänien erkämpft nach dreiwöchigem Streik höhere Löhne

Einer der größten Arbeitskämpfe der jüngsten rumänischen Geschichte ging am Freitag zu Ende. Seit dem 24. März hatte sich ein Großteil der 13000 Autobauer der rumänischen Dacia-Werke im Ausstand befunden. Die Belegschaft, deren Werk 1999 von dem französischen Konzern Renault übernommen worden war, forderte spürbare Gehaltserhöhungen, die Einführung eines Weihnachtsgeldes sowie eine Gewinnbeteiligung.

Das im südrumänischen Pitesti gelegene Dacia-Werk produziert dank der landesüblichen Elendslöhne einen der wichtigsten Verkaufsschlager des französischen Autokonzerns, den unschlagbar günstigen Dacia Logan. Der fünftürige, geräumige PKW kann in Rumänien für umgerechnet 5000 Euro erworben werden, in Westeuropa werden diese Billigautos ab 7200 Euro feilgeboten. Der Logan findet inzwischen reißenden Absatz. So stieg die Produktion in dem Dacia-Werk von 121000 Einheiten in 2006 auf 230000 Fahrzeuge im vergangenen Jahr, wobei für 2008 nochmals mit einer Produktionssteigerung auf 350000 PKW gerechnet wird. Der Logan ist bereits für 15 Prozent des Konzernabsatzes verantwortlich.

Den Preis für dieses Schnäppchen zahlen die rumänischen Arbeiter: Vor dem Streik verdienten die Autobauer bei Dacia nach Angaben der Werkleitung monatlich umgerechnet 500 Euro brutto, so daß nach Abzug aller Steuern und sonstigen Abgaben im Schnitt 280 bis 300 Euro übrig blieben. Ein knappes Viertel der Belegschaft mußte sich sogar mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 160 Euro netto begnügen. Einem Dacia-Pressesprecher zufolge liegt das Lohnniveau im Werk bereits »20 Prozent über dem Durchschnitt« der rumänischen Autobranche. Das erste Angebot des Unternehmens belief sich auf Gehaltserhöhungen von umgerechnet 31 Euro, während die Gewerkschaften deutliche Zuwächse von rund 150 Euro forderten.

Die Betriebsleitung spielte bei dem verbissen geführten Arbeitskampf auf Zeit und hoffte insbesondere, dank des repressiven rumänischen Streikrechts den Arbeitskampf gerichtlich verbieten zu können. Mehrere Male versuchte das Management erfolglos, die Produktion durch den Einsatz von Streikbrechern wieder in Gang zu setzen. Laut rumänischem Arbeitsrecht muß die Mehrheit einer Belegschaft einen Arbeitskampf aktiv mittragen, ansonsten gilt dieser als »illegal«. Das Management argumentierte folglich bei dem juristischen Tauziehen, daß nur eine Minderheit den Ausstand unterstütze. Doch die Gewerkschaften konnten schließlich nachweisen, daß nahezu 10000 der 13000 Beschäftigten hinter dem Streik stehen. Erst nach dieser Niederlage vor Gericht zeigte sich Renault kompromißbereit.

Am Freitag stimmten über 70 Prozent der Belegschaft einem verbesserten Angebot der Betriebsleitung zu, das eine Lohnerhöhung von umgerechnet 83 Euro vorsieht, die rückwirkend zum 1. Januar 2008 fällig wird. Zudem folgt ab dem 1. September eine weitere Gehaltssteigerung von 16 Euro monatlich. Schließlich gelang es den Gewerkschaften, eine Gewinnbeteiligung für das Jahr 2007 zu erkämpfen, die sich auf nochmals 249 Euro pro Arbeiter belaufen wird. Das hauptsächlich aus privaten Sicherheitsdiensten bestehende Aufsichtspersonal sowie das Management des Unternehmens erhalten hingegen Lohnerhöhungen von lediglich 15 Prozent. Grob gerechnet konnte die Belegschaft nach einem dreiwöchigen Streik ihre Lohnforderungen zu über zwei Dritteln durchsetzen.

Diese Einkommenszuwächse sind für die Beschäftigten auch bitter nötig, erlebt doch Rumänien seit dem Beitritt zur EU einen massiven Inflationsschub, der durch die globale Preis­explosion bei Lebensmitteln zusätzlich verstärkt wird. Vielfach erreichen die Preise bereits westeuropäisches Niveau. Die offizielle Teuerungsrate beläuft sich gegenwärtig auf 7,3 Prozent, doch durch das sehr niedrige Lohnniveau trifft die rasante Inflation bei den Lebensmitteln die Bürger Rumäniens besonders hart. Nahezu 50 Prozent ihrer Einkünfte müssen die Rumänen im Schnitt für Nahrungsmittel aufwenden.

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