„Junge Welt“, 16.04.2008
Scheidender russischer Präsident übernimmt Vorsitz der Kremlpartei »Einiges Rußland«
Am zweiten Tag ihres Kongresses konnten sich die Delegierten der wichtigsten staatsnahen Partei der Russischen Föderation, »Einiges Rußland«, über prominenten Besuch freuen. Sowohl der scheidende Präsident Wladimir Putin wie auch sein designierter Nachfolger Dmitri Medwedew hatten auf dem Parteitag ihren großen Auftritt vor begeisterten Anhängern. Bei dieser Gelegenheit nahm Putin den Posten des Vorsitzenden von »Einiges Rußland« an, der ihm bereits in der vergangenen Woche von dem bisherigen Parteichef Boris Gryslow angeboten worden war. Die 573 Delegierten wählten Wladimir Putin einstimmig zu ihrem Vorsitzenden. Dmitri Medwedew erklärte hingegen, er halte eine offizielle Mitgliedschaft in »Einiges Rußland« für »verfrüht«.
Ungebrochene Popularität
Bislang war auch Wladimir Putin offiziell nicht Mitglied der Partei, die aufgrund ihrer absoluten Loyalität zum scheidenden Staatsoberhaupt bei Beobachtern als »Präsidentenpartei« ohne eigenes politisches Profil gilt. Der ungebrochenen Popularität Putins, der weiterhin enorme mediale Präsenz genießt, verdankt »Einiges Rußland« in erster Linie das hervorragende Ergebnis bei den letzten Parlamentswahlen. Im März konnte sich die Kremlpartei mit 63,5 Prozent die Zweidrittelmehrheit sichern. Zudem stellt das »Einige Rußland« die meisten Regionalgouverneure in der russischen Föderation.
Der regierungsnahe Fernsehsender »Russia Today« hatte in einer ersten Einschätzung nach der Wahl russische Kommentatoren zitiert, die auf Veränderungen in der politischen Machtstruktur hinweisen, welche eine »Verschiebung Rußlands von der präsidialen zur parlamentarischen Demokratie« mit sich bringen könnten. Putin wurde unlängst von Medwedew auch offiziell aufgefordert, den Posten des Premiers zu übernehmen, den er schon einen Tag nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt, am 8. Mai, antreten soll.
Putins Parteivorsitz bei »Einiges Rußland« könnte als zusätzliche Absicherung gegenüber möglichen Alleingängen Medwedews fungieren, der als Staatsoberhaupt über eine enorme Machtfülle verfügt. Der Präsident braucht die Zustimmung des Parlaments, will er den Premier entlassen. Spekuliert wird in der russischen Öffentlichkeit auch über mögliche Verfassungsänderungen, die eine Beschneidung der Befugnisse des Staatschefs mit sich brächten. Die für Präsident Boris Jelzin nach seinem Putsch gegen den Obersten Sowjet maßgeschneiderte Verfassung der Russischen Föderation räumt dem Staatsoberhaupt nahezu absolutistische Machtmittel ein.
Warnung Medwedews
Bereits vor dem Amtsantritt Medwedews wurde die Kontrolle über die sogenannten Regionalen Bevollmächtigten, die im Auftrag des Kreml die Aufsicht über die Regionen der Russischen Föderation führen, vom Präsidenten auf den Premier übertragen. Medwedew wird von einem Teil der Putinschen Machtbasis, von den aus dem Geheimdienst FSB, dem Innen- und dem Verteidigungsministerium hervorgegangenen sogenannten Silowiki, entschieden abgelehnt. Die in viele einträgliche Positionen bei russischen Staatsunternehmen vorgerückten Silowiki favorisierten eine dritte Amtszeit Putins oder einen bloßen Platzhalter aus ihren Reihen auf dem Präsidentensitz, der bis zu einer Wiederwahl Putins dieses Amt innehalten sollte.
Medwedew warnte jüngst öffentlich davor, die »neue Konfiguration der Macht« in Frage zu stellen, in der er als Präsident und Putin als Premier zusammenarbeiten würden. Auf seiner Homepage sprach er davon, daß »einige Leute« versucht sein könnten, seine Präsidentschaft anzugreifen.