Warum Polen den stramm rechten PiS-Kandidaten, Karol Nawrocki, zum Staatsoberhaupt gewählt hat und die liberale Wende des Landes damit beendet ist
17. Juni 2025, ak 716
Polens neuer Präsident, Karol Nawrocki, scheint ein typisches Produkt der Ära Trump zu sein. Der 42-jährige Historiker mit einer bewegten Vergangenheit im Hooligan- und Rotlichtmilieu personifiziert die krisenbedingte Verrohung der politischen Sphäre, die auch das dauerboomende Polen erfasst hat. Während des Wahlkampfes stritt sich Polens Öffentlichkeit etwa darüber, ob der von der rechtspopulistischen PiS (Prawo i Sprawiedliwosc, Recht und Gerechtigkeit) unterstützte Präsidentschaftskandidat in seiner wilden Zeit als Türsteher selbst als Zuhälter tätig war oder »nur« Prostituierte vermittelt hatte. Dasselbe gilt für seine Ausfälle ins Rechtsextreme. Diese Enthüllungen haben seine stockkonservative und vielfach immer noch erzkatholische Wähler*innenschaft genauso wenig verschreckt, wie die evangelikalen Wählerinnen Trumps sich von dessen Eskapaden abschrecken lassen.
Im Gegenteil, es lässt sich gar argumentieren, dass Nawrockis offenes Zugehen auf den irrlichternden rechten Rand des politischen Spektrums Polens zu seinem Wahlsieg beigetragen hat. Kurz vor der Stichwahl gegen den liberalen Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski, die er hauchdünn mit einem Vorsprung von nur 370 000 Stimmen gewann, trat Nawrockis im Youtube-Kanal des drittplatzierten rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Slawomir Mentzen auf. Bei dieser Gelegenheit unterschrieb der ehemalige Boxamateur die politischen Postulate Mentzens, dessen wirrer Politmix aus Nationalismus, Chauvinismus und rechtsliebertärer Ideologie, die vom argentinischen Kettensägenpräsidenten Milei beeinflusst zu sein scheint, immerhin knapp 15 Prozent der Wähler in der ersten Präsidentschaftsrunde überzeugen konnte. Keine Steuererhöhung jeglicher Art, keine Euro-Einführung, kein Verzicht auf Atomwaffen, keine Ausweitung der Unterstützung der Ukraine – dem stimmte der künftige Staatschef Polens zu.
Bei der zweiten nennenswerten rechtsextremen Kraft handelte es sich quasi um die Reichsbürger Polens, die allen Ernstes die Wiedereinführung der Monarchie in Polen anstreben. Der Kandidat der monarchistischen Konföderation der Polnischen Krone, Grzegorz Braun, konnte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl mehr als 6 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Diese Neue Rechte konnte somit gemeinsam mit dem PiS-nahen Nawrocki (29,5%) schon in der ersten Toure der Präsidentschaftswahl mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereinen. Die drei Kandidaten der sozialdemokratischen Linken, deren Anhänger bei der Stichwahl in der Tendenz eher den Liberalen Trzaskowski wählten, kamen in der ersten Präsidentschaftswahlrunde nur auf knapp 11 Prozent.
Bei der Wahl zeigten sich überdies abermals die traditionellen soziogeografischen und sozialen Frontverläufe polnischer Innenpolitik, die das Land trotz lang anhaltenden Wirtschaftswachstums in ein liberales und konservatives Lager spalten: Die Großstädte und die wirtschaftlich avancierten Regionen im Westen wählten liberal, während die Peripherie und der Osten des Landes für den rechtskonservativen Kandidaten stimmten. Hier kommt immer noch das Erbe der Sozialpolitik der PiS zum Tragen, die ihre autoritäre Transformation Polens mit substanziellen Sozialprogrammen – vor allem der Einführung des Kindergeldes – begleitete. Diejenigen armen Bevölkerungsschichten Polens, die kaum vom Wirtschaftsaufschwung profitiert haben und sich folglich als zu kurz gekommen fühlen, wählten somit rechtskonservativ. Eine eindeutige Präferenz ist auch entlang der Geschlechter zu sehen – Männer haben eher den ehemaligen Amateurboxer gewählt, Frauen den liberalen Warschauer Bürgermeister. Der Unterschied betrug 10 Prozentpunkte.
Entscheidend für den hauchdünnen Wahlsieg des rechtskonservativen Kandidaten der autoritären altrechten PiS dürfte aber das Wahlverhalten der polnischen Jungwähler gewesen sein. Die Altersgruppe von 18 bis 29 wählte eindeutig rechts, wobei Nawrocki eher deren zweite Wahl war. Polens Jungwähler votierten in der ersten Präsidentschaftsrunde überwiegend für den rechtslibertären Mentzen, während der Sozialdemokrat Sandberg auf den zweiten Platz unter den 30-jährigen kam. Die älteren Jahrgänge wählten eher liberal, was auf einen Generationenwechsel verweist, da früher die Rentner und Älteren eher die PiS favorisierten. Hiermit geht auch ein wandel rechter Ideologie einher: Der moralische Konservatismus, das katholische Moment geht langsam zurück, ebenso wie die damit verbundene polnische Opfermythologie (Polen als Jesus der Völker), während rechtslibertäre Wahngebilde, wie sie von Musk und Milei Kettensägenschwingend propagiert werden, auf den Vormarsch sich befinden. Der Rassismus und Chauvinismus der polnischen Rechten gewinnt zudem – hier ganz dem deutschen Vorbild folgend – eindeutig eine wohlstandschauvinistische Komponente, die vor allem gegenüber dem Osten und Migranten zum Tragen kommt.
Somit hat eine Mischung aus einer erfolgreichen rechten Mobilisierung, die traditionelle wie auch neuerechte Strömungen erfasste, sowie die weiter gegebene sozialen Spaltung Polens der Rechten zum Comeback verholfen. Substanzielle Teile der polnischen Bevölkerung blieben ausgeschlossen vom Boom der letzten Jahre, wobei die liberalen Kräfte um Tusk in ihrer Wirtschaftspolitik eher an die untergegangene FDP erinnern, sodass in den ärmeren Bevölkerungsschichten auch keine Erwartungen auftraten, dass sich daran etwas ändern würde – trotz sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung.
Der knappe Wahlsieg Nawrockis droht somit die liberale Kehrtwende Polens zu einer bloßen Episode verkommen zu lassen. Seit ihrem knappen Sieg bei den Parlamentswahlen bemühte sich die Koalition aus liberalen und Sozialdemokraten weitgehend vergeblich, den autoritären Umbau des Staatsapparates zu revidieren, den die autoritäre PiS nach ungarischem Vorbild während ihrer Herrschaft forcierte. Der Präsident Polens verfügt über substanzielle Machtbefugnisse: Er ernennt den Regierungschef, ist Oberkommandierender der Streitkräfte im Kriegsfall – und er hat vor allem ein Vetorecht bei der Gesetzgebung, das nur durch eine Mehrheit von 60 Prozent der Parlamentsstimmen aufgehoben werden kann. Der scheidende PiS-nahe Präsident Duda konnte somit die Staatsreformen der liberalen Regierung erfolgreich blockieren, da Premier Tusk nicht über die notwendige Mehrheit im Sejm zur Vetoaufhebung verfügt. Daran wird sich auch jetzt nichts ändern, sodass Tusk mit einem Misstrauensvotum auf die Niederlage des liberalen Präsidentschaftskandidaten reagierte. Der PiS Führer Kaczynski hat bereits den Rücktritt Tusks gefordert.
Der sich nun intensivierende Machtkampf zwischen Nationalkonservativen und Liberalen wird auch einen außenpolitischen und europäischen Fallout nach sich ziehen. Die PiS und Nawrocki sehen zwar weiterhin in Russland einen geopolitischen Konkurrenten und eine militärische Gefahr, doch sind sie zugleich auch gegenüber der Ukraine sehr viel skeptischer als Tusk. Der EU- und NATO-Beitritt des östlichen Nachbarlandes wird genauso abgelehnt, wie eine weitergehende militärische Unterstützung für Kiew. Deutschland sieht der künftige Präsident eher als einen geopolitischen Konkurrenten, während die USA Trumps durchaus Vorbildcharakter genießen. Die Formierung einer konsistenten europäischen Politik gegenüber den eurasischen oder atlantischen Machtblöcken, gegenüber Russland, China und den imperialen USA, wird so weiter erschwert.
Rechte Postdemokraten wie der ungarische Staatschef Orban träumen nach dem Sieg Nawrockis bereits von einer mittelosteuropäischen Rechtsallianz, die das als liberal verschriene Brüssel herausfordern und eine autoritäre Transformation Europas durchsetzen könnte. Bis dahin wird aber wohl noch etwas Zeit vergehen, da Polens Präsident kaum direkten Einfluss auf die Außenpolitik des Landes nehmen kann. Mehr als blockieren und die De-Orbanisierung des Landes sabotieren wird dem neuen Präsidenten kaum bis zur nächsten Parlamentswahl möglich sein – und eventuell könnte dies sogar reichen.