Kapitale Ängste

Nachtrag: „Junge Welt“, 17.10.2006
US-Konzerne drohen chinesischer Regierung mit Investitionsrestriktionen

In China engagierte US-Konzerne sind seit Monaten bestrebt, die Einführung eines neuen Arbeitsrechts zu verhindern, das derzeit von der chinesischen Regierung entworfen wird. So lautet das Fazit eines am Freitag in New York von »Global Labor Strategies« (GLS) vorgestellten Reports. Bei GLS handelt es sich um eine von US-Gewerkschaftsveteranen gegründete Nichtregierungsorganisation, die sich um die weltweite Unterstützung und Koordination von Gewerkschaftskämpfen bemüht.
Besserer Kündigungsschutz

Laut dem Bericht der GLS drohten namhafte US-Konzerne wie Wal-Mart, Google, UPS, Microsoft, Nike, AT&T und Intel mit einer Verminderung ihrer Investitionen in China, sollte der derzeit diskutierte Entwurf des neuen Arbeitsrechts wie geplant im Mai 2007 in Kraft treten.

Die Lobbyvereinigung des in China tätigen US-Kapitals, die »American Chamber of Commerce« (ACC), sandte ein längeres Schreiben an die Regierung in Peking, in dem die Vorbehalte und Änderungswünsche der amerikanischen Unternehmen artikuliert wurden. Neben der in Schanghai ansässigen ACC, die 1300 US-Konzerne vertritt, haben sich auch das »US-China Business Council« und die 860 Unternehmen repräsentierende »European Chamber of Commerce« in längeren Schreiben an die chinesische Regierung gewandt. Laut der GLS drohten alle drei Verbände mit dem Abzug ausländischer Konzerne, sollten ihre Einwände nicht gebührend berücksichtigt werden.

Im Zuge der öffentlichen Diskussion des Gesetzentwurfes – ein Novum in der Geschichte der Volksrepublik – hat die chinesische Regierung laut offiziellen Angaben bereits über 200000 Kommentare erhalten, zumeist von Gewerkschaftsaktivisten, aber auch von US-Unternehmen, die sich für die Beibehaltung des Status quo aussprachen. Die geplanten Änderungen sind für chinesische Verhältnisse nahezu revolutionär. Laut Anita Chan, einer Expertin für chinesisches Arbeitsrecht, würden die Löhne für einheimische Wanderarbeiter um 50 oder mehr Prozent steigen. Alle Lohnabhängigen sollen nur noch mit Verträgen arbeiten dürfen, um die prekäre Beschäftigung einzudämmen. Zur Zeit haben nach Schätzungen 15 Prozent aller abhängig Beschäftigten in den Städten Chinas keinen Arbeitsvertrag, auf dem Land sollen es sogar 70 Prozent sein. Die Probezeiten für Neueingestellte sollen auf sechs Monate begrenzt werden. Die derzeit bei Unternehmen beliebte Praxis, sich die Einarbeitungszeit einer neuen Arbeitskraft von dieser als »Training« bezahlen zu lassen, wäre in Zukunft verboten. Da viele Arbeitsverträge in China zeitlich befristet sind, sollen bei deren Nichtverlängerung »Abbruchszahlungen« an die Entlassenen fällig werden. Ferner müßten laut Gesetzentwurf alle Beschäftigten nach einem Jahr automatisch in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Zudem sollen Entlassungen erschwert und besonders ältere Beschäftigte vor Kündigungen besser geschützt werden.

Auch die Interessenvertretung in den Betrieben soll neu geregelt werden. Die Beschäftigten sollen in kollektive Verhandlungen mit der Betriebsleitung über Lohn, Entlassungen, Arbeitssicherheit und ähnliches treten dürfen, indem sie sich an die staatlichen chinesischen Gewerkschaften wenden oder selbst Vertreter wählen. Diese Regelung stört die ausländischen Unternehmer besonders stark, da durch sie zumindest pro forma Betriebsgewerkschaften legalisiert würden. Überbetriebliche, unabhängige Gewerkschaften bleiben jedoch weiterhin verboten
Mehr Arbeiterproteste
Das bisherige Arbeitsrecht Chinas wird oft von Unternehmen gebrochen und gilt als »Papiertiger«, da es kaum Sanktionsmöglichkeiten gibt. Der neue Entwurf sieht hingegen empfindliche Strafen für Verstöße vor. Das Leitprinzip des zukünftigen Arbeitsrechts bestehe nicht darin, den Beschäftigtenschutz dramatisch zu steigern, sondern die »Kosten für dessen Übertretung zu erhöhen«, so ein Berater der chinesischen Regierung gegenüber der New York Times.

Peking befindet sich nicht nur seitens ausländischer Konzerne unter Druck, sondern auch durch die chinesische Arbeiterbewegung. Laut Robin Munro, Forschungsdirektor des »China Labour Bulletin«, sind Arbeiterproteste in China inzwischen an der Tagesordnung. »Wir haben in China eine Arbeiterbewegung. Sie ist nicht organisiert. Sie ist spontan und unvollständig. Aber das war die Arbeiterbewegung in westeuropäischen Ländern auch, bevor Gewerkschaften legalisiert wurden«, wird Munro von der GLS zitiert.

Sogar die offiziellen Statistiken chinesischer Behörden geben Munro recht: Vor zehn Jahren registrierte das Ministerium für Öffentliche Sicherheit jährlich 10000 größere, teilweise gewalttätige Proteste im ganzen Land. Im Jahr 2005 waren es bereits 87000 mit vielen Millionen Teilnehmern.

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