„Junge Welt“, 02.04.2007
Ausbau der wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China bekräftigt. Doch Moskau will nicht nur einfach Rohstofflieferant sein
Die dreitägige Rußlandvisite des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao in der vergangenen Woche wurde vom Westen mit kaum verhohlenen Unbehagen verfolgt. Die in ein pompöses Rahmenprogramm eingebetteten Gipfelgespräche konzentrierten sich auf die Ausweitung der wirtschaftlichen Kooperation zwischen beiden Großmächten. In den Hauptstädten Westeuropas weckt die forcierte Annäherung zwischen Peking und Moskau Ängste vor einer zunehmenden Konkurrenz um die Rohstoffe Rußlands, die eine immer größer werdende Rolle bei der Versorgung der EU spielen. Nach Angaben des Föderalen Zollamtes in Moskau ist der russisch-chinesische Warenumsatz im Jahr 2006 um 43 Prozent auf 28,64 Milliarden US-Dollar gewachsen. Während des Gipfeltreffens wurden Wirtschaftsabkommen im Gesamtwert von 4,3 Milliarden US-Dollar abgeschlossen.
Die bislang veröffentlichten Ergebnisse des Gipfels müßten in Brüssel jedoch für Entspannung sorgen: Wie es scheint, ist Rußland bemüht, möglichst viele Optionen beim Rohstoffexport offenzuhalten. China und Rußland verpflichteten sich zwar zu einer »bilateralen, langfristigen strategischen Kooperation« im Energiesektor, doch die konkreten Projekte fallen hinter die vollmundigen Deklarationen zurück. Am Dienstag hatte der staatliche russische Ölkonzern Rosneft mit dem chinesischen Unternehmen Unipec einen Vertrag über die Erhöhung der Öllieferungen um drei Millionen Tonnen jährlich unterzeichnet. Weitere Lieferverträge wurden mit dem Ölunternehmen Tatneft abgeschlossen. Zudem drängt Peking auf den schnellen Bau einer Ölpipeline, die russisches Erdöl von den Ölfeldern Sibiriens nach China transportieren soll. Rußland hat sich hingegen entschieden, eine Pipeline im Fernen Osten bis zum Pazifischen Ozean zu bauen, um möglichst viele potentielle Kunden mit Erdöl beliefern zu können. Inzwischen soll ca. ein Viertel der 2800 Kilometer langen Leitung fertiggestellt sein, Rußland hält eine Abzweigung in Richtung China für realisierbar. Zur Zeit führt China russisches Öl per Bahn ein.
Moskau will aber nicht nur als Rohstoff- und Energielieferant fungieren. Anfang Februar verkündete Präsident Wladimir Putin einen neuen Wirtschaftskurs, der zu einer Diversifizierung der russischen Ökonomie führen soll. Es sei an der Zeit, die Abhängigkeit vom Rohstoffexport zu überwinden und sich auf »wissenschaftsintensive Produktionsbereiche« umzustellen, so Putin. Nach Ansicht der Wirtschaftsexpertin Julia Zepljajewa werden die Versuche, Industriezweige jenseits des Rohstoffsektors zu fördern, die Endphase der Wirtschaftspolitik Putins bestimmen. Putin befinde sich in einer Situation, wo das Problem der Diversifizierung dringend gelöst werden müsse, so die Leiterin der Analyse-Abteilung der ING Bank gegenüber der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Es gehe nur darum, welche Bereiche der Kreml auswählen werde: Die Verteidigungsindustrie, die Hochtechnologie-Branche oder andere Sektoren.
Mit dem wachsenden Einfluß des Staates in vielen Wirtschaftsbereichen verfügt Rußlands Machtzentrum inzwischen auch über die Mittel, um die Diversifizierung direkt und schnell einzuleiten. Ausgehend von der Renationalisierung im Energiesektor baute der Kreml seinen Einfluß in den Bereichen der Ökonomie aus, die als »strategisch relevant« definiert wurden: in Teilen der Schwerindustrie, der Fahrzeugproduktion, der Rüstungsindustrie oder dem Flugzeugbau. »Nationale Champions«, staatliche gelenkte oder beeinflußte Großkonzerne, sollen in die Lage versetzt werden, auf dem Weltmarkt zu expandieren und den westlichen Multis Konkurrenz zu machen, wie RIA-Nowosti berichtet: Eine starke staatliche Unterstützung könne einzelne Wirtschaftssparten zu weltweiten »Spitzenreitern« machen.
Selbst die russischen Unternehmervertreter schlagen Töne an, die hierzulade als extremistisch gebrandmarkt würden. Boris Titow, Vorsitzender des russischen Unternehmerverbandes Delowaja Rossija, will die Erfahrungen des »New Deal«, der Wirtschaftspolitik von US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den 30er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, im heutigen Rußland realisiert sehen. Titow sieht das Verhältnis von privatem Unternehmertum und Staat als eine »sehr wichtige Komponente« der Wirtschaftspolitik Roosevelts. »Wir waren der Meinung, daß der Markt alles regeln wird. Als Ergebnis bekamen wir nicht den Markt, sondern wilden Kapitalismus, … der zur Krise 1998 führte«, so Titow gegenüber RIA-Nowosti. Nach Ansicht des Lobbyisten bemühe sich der Staat nach dieser Krise zu Recht, die Wirtschaftsprozesse zu regeln: Die Rolle des Staates »muß in dem Ausschalten von Mißständen in der Wirtschaft, in der Stimulierung der Wirtschaftsentwicklung und in der Marktregelung bestehen«.
Diversifizierung hin und her – die meisten der 21 zwischen China und Rußland während des Gipfeltreffens geschlossenen Verträge haben die Kooperation im Rohstoffsektor zum Thema. Neben den erhöhten Ölexporten soll Rosneft verstärkt Kerosin an China liefern. Beide Länder vereinbarten ferner eine enge Kooperation bei der »Holzveredelung«, da inzwischen ganze Wälder Rußlands als Bauholz nach China exportiert werden. Chinesische Unternehmen wollen im Gegenzug eine PKW-Fabrik in Tartastan errichten und ein Großhandelszentrum in Moskau aufbauen. Obwohl der Export nach Rußland nur ca. zwei Prozent des chinesischen Exportvolumens ausmacht, dominieren chinesische Waren in etlichen russischen Marktsegmenten, wie Elektronik, Textilbranche oder Spielzeug. Einzig in der Rüstungsindustrie ist Moskau bislang in der Lage, technisch hochwertige »Waren« an China zu liefern – das Reich der Mitte zählt zu den besten Kunden der russischen Militärindustrie.