Richtung Rivalität

Jungle World, 13.04.2023

China bindet sich enger an Russland und belastet damit die deutsch-chinesischen Beziehungen. Auf das China-Geschäft will die deutsche Industrie aber auf keinen Fall verzichten.

Dem exportorientierten deutschen Wirtschaftsmodell stehen womöglich schwere Zeiten bevor. Lange konnte die Bundesrepublik die Folgen der Krisen des 21. Jahrhunderts durch Exportüberschüsse buchstäblich aufs Ausland abwälzen. Doch Russlands Krieg gegen die Ukraine verhärtet derzeit die geopolitischen Fronten. Die USA und die Volksrepublik China, die beiden wichtigsten Absatzmärkte der deutschen Industrie, befinden sich auf Konfrontationskurs. Dieser Konflikt droht, deutsche Wirtschaftsinteressen zukünftig stärker zu beeinträchtigen.

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Deutsche Politiker und Wirtschaftsverbände führen derzeit eine öffentliche Debatte darüber, wie sich die Bundesrepublik und die EU gegenüber dem chinesischen Regime strategisch verhalten sollen. Soll die chinesische »Werkstatt der Welt« primär als Zulieferer und Absatzmarkt oder eher als wirtschaftlicher Konkurrent und politischer Gegner betrachtet und behandelt werden?

Schon vor vier Jahren hat die Europäische Kommission China widersprüchlich als einen »Partner, ökonomischen Konkurrenten und systemischen Rivalen« bezeichnet. Inzwischen entwickeln sich die Beziehungen immer mehr in Richtung Rivalität. Ende März forderte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Grundsatzrede eine Neuausrichtung der Beziehungen. Sie konstatierte eine »sehr bewusste Verschärfung der allgemeinen strategischen Haltung Chinas«. Das Land strebe einen systemischen Wandel der internationalen Ordnung an. Für die künftigen Beziehungen zwischen der EU und China werde »Chinas weitere Positionierung gegenüber Putins Krieg« ein entscheidender Faktor sein.

Die sich rasch zuspitzende geopolitische Konkurrenz zwischen China und den USA nötige die EU und insbesondere deren führende Wirtschaftsmacht Deutschland zu einem »delikaten Balanceakt«, schrieb Noah Barkin, der für den German Marshall Fund die europäisch-chinesischen Beziehungen beobachtet, in der Frühjahrsausgabe der von der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik herausgegebenen Zeitschrift Internationale Politik Quarterly (IPQ).

Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden übe auf Regierungen von EU-Staaten Druck aus, um sie in die antichinesischen Sanktionen der USA, vor allem im Hightech-Bereich, einzubinden. Die EU-Kommission nehme ­inzwischen das Konzept der »ökonomischen Sicherheit« ernst, das Techno­logietransfer gen China verhindern soll, so IPQ. Doch in der Bundespolitik herrschten vor allem Sorgen vor ökonomischen Einbußen, die eine verschärfter Kurs gegenüber der Volks­republik nach sich ziehen könnte, so dass die Bundesregierung lieber von »ökonomischer Belastbarkeit« als von »ökonomischer Sicherheit« spreche – und beispielsweise die Beteiligung chinesischer Konzerne an deutschen Infrastrukturvorhaben bislang kaum erschwere.

Doch das könnte sich ändern. Im März wurde publik, dass die Bundesregierung plant, den Einsatz chinesischer Komponenten beim Ausbau des 5G-Netzes in einigen Fällen zu untersagen. So soll eine zu große Abhängigkeit von China vermieden werden. Möglich ist ein solches Verbot, um »die öffentliche Ordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik« zu schützen.

Bereits im Februar wurde eine Studie des Kieler Wirtschaftsforschungsinstituts IfW in der Öffentlichkeit breit rezipiert, die der Bundesrepublik bei etlichen Hightech-Produkten und Rohstoffen eine hohe Abhängigkeit von China attestierte. Ein besonders hoher chinesischer Importanteil sei bei Laptops, Smartphones, Computerkomponenten, Medizinprodukten, Seltenen Erden und weiteren Rohstoffen gegeben, die vor allem für die Batterieproduktion benötigt werden. Viele der mehr als 200 Produkte und Rohstoffe, bei denen Deutschland auf chinesische Importe angewiesen sei, könnten kurzfristig nicht ersetzt werden, warnte das IfW unter Verweis auf mögliche militärische Eskalationen, weshalb die Studienautoren dringend eine »Strategie der Diversifizierung« forderten.

Die EU arbeitet derweil daran, sich für künftige Handelskriege besser zu wappnen. Die EU-Staaten und das Europäische Parlament hätten sich auf ein »Instrument gegen Zwangsmaßnahmen« geeinigt, teilte Ende März der Europäische Rat mit. Die Verordnung, die vorsieht, auf Sanktionen sofort mit Gegensanktionen zu reagieren, soll vor allem der Abschreckung dienen. Konkurrierende Länder sollten erst gar nicht auf die Idee kommen, protektionistische Maßnahmen gegen die EU oder einzelne Mitgliedstaaten zu er­lassen, weil sie sonst mit scharfen Gegenreaktionen zu rechnen hätten. ­Damit wolle man gegen »gegen wirtschaftliche Einschüchterung« durch Drittstaaten vorgehen, hieß es von der EU-Kommission. Die Verordnung richtet sich wohl vor allem gegen China, auch wenn dazu explizit nichts gesagt wird. Vor zwei Jahren hatte China Sanktionen gegen Litauen verhängt, weil das baltische Land die Eröffnung einer di­plomatischen Vertretung Taiwans unter dessen Staatsnamen zugelassen hatte.

Zu den neuen Waffen der EU für Handelskriege sollen Exportbeschränkungen und Strafzölle gehören. Zudem soll die EU den Zugang zu ihren Finanzmärkten einschränken und den Schutz geistigen Eigentums aufheben können. Auch die USA werden dabei als potentieller Gegner bei Handelskonflikten wahrgenommen. Handelspolitik werde immer öfter als »politische Waffe« eingesetzt, klagte der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange (SPD), im Handelsblatt. Man suche zwar nicht die Konfrontation, aber man müsse die »eigenen wirtschaftlichen Interessen verteidigen« können – auch gegenüber »unserem großen Verbündeten USA«, betonte Lange.

Eine ambivalente Haltung zu China findet sich auch bei deutschen Konzernen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte Anfang April eine Neuverhandlung des Investitionsabkommens CAI zwischen der EU und China. Das Abkommen war nach jahrelangen Verhandlungen 2021 vom EU-Parlament auf Eis gelegt worden, nachdem China EU-Parlamentarier mit Sanktionen belegt hatte. Seit 2020 habe sich »in China und dem Rest der Welt viel verändert«, hieß es nun vom BDI, eine »Neubewertung« des Vertrags sei deshalb notwendig, bevor man über eine verspätete Ratifizierung nachdenke. China habe mit seiner Haltung zu »Russlands Angriffskrieg« viel »Vertrauen in Deutschland und Europa verspielt«.

Gleichzeitig werden die wirtschaftlichen Verflechtungen enger. Wegen der Lieferschwierigkeiten im Zuge der ­Covid-19-Pandemie und wegen der drohenden Möglichkeit eines militärischen Konflikts um Taiwan war in jüngster Zeit oft die Rede davon, dass deutsche Firmen sich unabhängiger von chinesischen Vorprodukten machen wollten. Doch die Skepsis deutscher Einkaufsmanager ­gegen China sei weitgehend verflogen, meldete das Handelsblatt Ende März. Aktuellen Umfragen des Einkaufsmanager-Verbands zufolge planen 56 Prozent der befragten Unternehmen, ihre Importe aus der Volksrepublik auszuweiten. Im vergangenen Jahr erreichten die Investitionen deutscher Firmen in China mit 11,5 Milliarden Euro einen neuen Höchstwert.

Zugleich bemühte sich die Bundesregierung bei einer Regierungskon­sultation Mitte März in Tokio um eine Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Japan, das von manchen als Alternative zur Volksrepublik angesehen wird. Rund 20 Prozent der in der Region tätigen deutschen Unternehmen gaben dem Handelsblatt zufolge in einer Umfrage an, Japan als »Ausweichstandort« ins Auge zu fassen.

Der deutsche Chemiekonzern BASF konzentriert sich hingegen voll und ganz auf die Volksrepublik. Zehn Mil­liarden Euro will der Konzern in den nächsten Jahren in ein neues Werk in Zhangjiang zu investieren. Gleichzeitig plant BASF ein Stellenabbauprogramm, dem insgesamt 2 600 Arbeitsplätze zum Opfer fallen sollen – insbeson­dere am deutschen Standort Ludwigshafen. »China repräsentiert schon heute mehr als 40 Prozent des globalen Chemiemarkts und bleibt in dieser ­Dekade der größte Wachstumsmarkt in der Chemie«, begründet der BASF-Manager Hans-Ulrich Engel die Konzernstrategie.

Der Konzern investiere in China, weil ihn das »in einer multipolaren Welt resilienter macht«, schrieb der BASF-Vorstandsvorsitzende Martin ­Brudermüller im Februar an die Aktionäre. In der »Tagesschau« verwies er ­außerdem auf die hohen Energiepreise in der EU nach Kriegsausbruch. Unter Verweis auf die BASF-Totalverluste in Russland räumte Brudermüller ein, dass auch in China ein solcher geopolitisch bedingter Totalausfall möglich wäre. Dies würde aber bedeuten, dass »das gesamte weltweite Wirtschafts­system nicht mehr funktioniert«, dann wäre ohnehin »plötzlich alles anders«.

Wie ambivalent das Verhältnis der EU zur Volksrepublik China inzwischen ist, kam vergangene Woche bei dem gemeinsamen Besuch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in Peking zum Ausdruck. Ma­cron sprach zunächst davon, dass die europäische Industrie vor »Risiken« geschützt werden müsse, aber zugleich dürfe sich die EU »nicht distanzieren und abgrenzen«. Es gebe keine »unausweichliche Spirale« der Spannungen zwischen dem Westen und China, beteuerte der französische Präsident. In Macrons Gefolge befand sich eine hochrangige Wirtschaftsdelegation.

Von der Leyen, die wegen ihrer harten Haltung gegenüber China in der Zeitschrift Focus als »deutsches Fangirl« der USA beschimpft wurde, entschloss sich hingegen, am Donnerstag vergangener Woche vor den Gesprächen mit Ministerpräsident Li Qiang und Staats- und Parteichef Xi Jinping der US-amerikanischen Botschaft in ­Peking einen Frühstücksbesuch abzustatten.

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