In Krisenzeiten haben rechte Deutungsansätze Hochkonjunktur
Neues Deutschland, 25.10.2017
Der tiefgreifende Krisenprozess, in dem sich das spätkapitalistische Weltsystem befindet, lässt sich nicht mehr ignorieren. Spätestens seit dem Krisenschub von 2007/08 scheint auch die Ohnmacht der kapitalistischen Krisenpolitik evident. Die Politiker sind nicht fähig, den eskalierenden inneren Widerspruch des Kapitals – die Verdrängung von Lohnarbeit aus dem Produktionsprozess – zu überwinden, der letztendlich eine ökonomisch überflüssige Menschheit und gigantische Schuldenberge fabriziert. Die Politik befindet sich folglich in einer Krisenfalle: Entweder wird die Zombieexistenz des Kapitalismus mittels fortgesetzter Verschuldung und abermaliger Blasenbildung verlängert bis zum nächsten großen Krach oder die obligatorische Sparpolitik führt in die sofortige Rezession.
Die politische Rechte in all ihren Schattierungen hat auf diesen Krisenprozess mit verstärkter Ideologieproduktion reagiert. Zumeist werden dabei die Krisenursachen auf eine in der Finanzsphäre verortete Verschwörung zurückgeführt. Konkret wird in der Szene einseitig vor den Folgen der gegenwärtigen Liquiditätsblase und der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank gewarnt. Hingegen wird die Zwangslage der Geldpolitik, die mit immer neuer schuldenfinanzierter Blasenbildung einen katastrophalen Konjunktureinbruch verhindert, ignoriert. Alle Übel scheinen nur aus unsolider Schuldenmacherei und Gelddruckerei herzurühren, die den Euro in Gefahr bringe – die inneren Widersprüche des Kapitals werden nicht wahrgenommen.
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Folglich hat sich eine regelrechte Krisenindustrie innerhalb der Neuen Rechten etabliert, die ihrer verängstigten Anhängerschaft entsprechende Produkte und Dienstleistungen andient. Rechte Geschäftemacher haben aus der aufkommenden Panik – auch in Wechselwirkung mit der Flüchtlingskrise – ein Geschäftsfeld gemacht. Zum einen ist es das »handfeste« Gold, das in der Szene als vermeintlich krisensichere Geldanlage gepuscht wird. Bis Anfang 2017 führte die als eurokritische »Professorenpartei« gegründete AfD einen Goldshop im Netz. Doch der zentrale Akteur ist das 2010 gegründete Unternehmen »Degussa Goldhandel« des Milliardärs August von Finck, der als einer der wichtigsten Financiers der AfD gilt. Dessen Chefvolkswirt Thorsten Polleit hält das anlagefreudige Publikum bei Veranstaltungen im rechten Milieu in einer Art »Grundpanik«, um den Absatz an Edelmetallen zu fördern. Das Handelshaus, das die Nutzungsrechte des Markennamens Degussa erworben hat, profitiert somit von der dumpfen Krisenangst, welche die von Finck mitfinanzierte Neue Rechte verbreitet.
Der rechte Kopp-Verlag wiederum kann als der publizistische Profiteur der anschwellenden, unverstandenen Krisenangst bezeichnet werden. In dessen Produkten wird die Krise oft mit dem alten rechten Kulturpessimismus aufgeladen. Immer wieder geht in den Publikationen des zweistellig wachsenden Verlags das Abendland unter, wobei zumeist äußere Krisenphänomene wie die Flüchtlings- oder Eurokrise in apokalyptische Bilder eines verlorenen Kulturkampfes getaucht werden (»Albtraum Zuwanderung«, »Kon-trollverlust«). Die Beschwörung des von dunklen Kräften gesteuerten Untergangs des Abendlandes wird im Verlagsprogramm durch eine Fülle von mitunter bizarr anmutenden Krisenratgebern ergänzt: von der Finanzvorsorge für den nächsten Krisenschub über das »Prepper-Handbuch« für den nackten Überlebenskampf bis hin zum »Krisenkochbuch«.
Das Milieu der Rechten, die mit solchen Büchern und entsprechenden Vorträgen die Illusion der Möglichkeit eines isolierten Überlebens in einer Systemkrise schüren, geht nahtlos in rechtsterroristische Strukturen über. Dies wurde bei den jüngsten Polizeieinsätzen gegen die sogenannten Prepper im Umfeld der AfD in Mecklenburg-Vorpommern evident, die sich auf das Überleben nach der angeblich nahenden Katastrophe vorbereiten. Diese in der US-Rechten entstandene, zuweilen militante Szene findet seit dem Krisenausbruch 2008 auch in der BRD verstärkt Anhänger. Sie treibt als eine Spielart des faschistischen »Extremismus der Mitte« den liberalen Konkurrenzzwang der isolierten Marktsubjekte ins krisenhafte Extrem: Die Konkurrenz wird bis ins militaristische, gar terroristische Extrem apokalyptisch gesinnter Einzelgänger oder Kleingruppen getrieben. Statt am Aufbau neuer solidarischer Strukturen zu arbeiten, verstärkt diese rechte Krisenideologie die im Kapitalismus gegebene Isolation der Individuen.