Banken auf der Kippe

„Junge Welt“, 19.09.2011
Gegenseitiges Mißtrauen, Liquiditätsengpässe und milliardenschwere Altlasten: Wieso die ­europäische Staatsschuldenkrise auch eine der Finanzmärkte ist

Am vergangenen Donnerstag war es mal wieder soweit: Die Notenbanken kündigten Freigeld für alle an, die es sich leisten können – was die Aktienmärkte mit der üblichen flüchtigen Liquiditätsrallye belohnten. Die Zentralbanken der Euro-Zone, der USA, Großbritanniens, Japans und der Schweiz kamen überein, den klammen kontinentalen Finanzhäusern US-Dollar zu einem festen Zinssatz in unbegrenzter Höhe zu leihen. Zwischen Oktober 2011 und März 2012 werden Europas Banken bei drei Tendern so viel Dollars von den sogenannten Währungshütern erhalten, wie sie wollen. Diese Kredite werden eine Laufzeit von drei Monaten haben – und einen sehr niedrigen Zinssatz. Derzeit können die Institute sich bei der Europäischen Zentralbank (EZB) nur für einen Zeitraum von einer Woche zu einem hohen Zinssatz in der US-Währung refinanzieren. Dennoch haben sie sich rund 575 Millionen Dollar unter diesen ungünstigen Konditionen geliehen. Ähnlich verhält es sich bei den kurzfristigen Ausleihungen bei der EZB in Euro, die zuletzt auf 3,14 Milliarden angeschwollen waren.

Die konzertierte Aktion der Zentralbanken wurde notwendig, weil die EU-Banken knapp an Dollars waren. Für gewöhnlich refinanzieren sich Geldinstitute beim sogenannten Interbankenhandel, doch das gegenseitige Ausleihen stockte in den zurückliegenden Wochen und wies steigende Zinssätze aus. Dieses »Austrocknen« des Interbankenhandels stellt einen Indikator für zunehmendes Mißtrauen der Banken untereinander dar, wie es die Finanzmärkte auch nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers 2009 gelähmt hatte. Derzeit ziehen sich vor allem strategische US-Investoren wie Geldmarktfonds aus der Euro-Zone zurück, wodurch auch der aktuelle Dollarengpaß ausgelöst wurde. Laut der Financial Times Deutschland (FTD) haben die zehn größten US-Geldmarktfonds ihr Engagement bei europäischen Banken im Juli um 47 Prozent reduziert.

Das steigende Mißtrauen unter den Finanzmarktakteuren, wie auch die Absetzbewegungen von US-Investoren deuten darauf hin, daß auch im globalen Kasino zuweilen die Realität Einzug halten kann. Auf den »Märkten« setzt sich offenbar die Erkenntnis durch, daß die Staatsschuldenkrise Europas in einer Krise des europäischen Finanzsystems münden wird. Es waren ja vor allem die Geldhäuser und sonstige Finanzmarktakteure, die die rasch anschwellenden Schuldenberge nicht nur in der Euro-Zone finanzierten, und die bei einer Staatspleite Griechenlands mit in den Abgrund gerissen werden könnten. Sollte Athen Bankrott gehen, dürften auch weitere südeuropäische Staaten in die Pleite treiben. Ein Zusammenbruch oder auch nur eine Kreditklemme des Finanzsystems würde schwerste wirtschaftliche Verwerfungen nach sich ziehen.

Deswegen beginnt in Europas Hauptstädten bereits das große Rechnen: Bei einer griechischen Pleite müßten – neben den dortigen Finanzinstituten – vor allem die französischen Geldkonzerne BNP Paribas (fünf Milliarden Euro) und Société Générale (2,7 Milliarden), die deutsche Commerzbank (drei Milliarden), die Deutsche Bank (1,5 Milliarden) und die britische Royal Bank of Scotland (1,2 Milliarden) herbe Verluste hinnehmen. Insgesamt hatten sich aber vor allem französische Finanzhäuser stark in Südeuropa exponiert, während deutsche Banken ihr Engagement rechtzeitig reduzierten. Die Bundesregierung spiele bereits die Bankenrettung im Fall einer Pleite Athens durch, meldete die FTD am Donnerstag, da in solch einem Fall »viele Großbanken sofort Geld« bräuchten: »Nach einer Insolvenz des Landes drohe eine Ansteckung anderer Staaten wie Italien.« Dieses Übergreifen würde »auch deutsche Banken in Bedrängnis bringen«.

Dieser Einheit von Banken- und Staatsschuldenkrise trug der jüngste Vorschlag der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) Rechnung: Der Einfachheit halber sollen künftig die Mittel, die im Rahmen des umgebauten EU-Rettungsfonds EFSF an pleitebedrohte Staaten fließen, gleich an die Banken überwiesen werden. Der 725 Milliarden Euro umfassende Rettungsfonds würde im Endeffekt direkt die Milliardenabschreibungen sozialisieren, die im Gefolge eventueller Staatspleiten auf die Finanzbranche zukämen – anstatt den Umweg über die Staatshaushalte Athens, Lissabons oder Dublins zu nehmen, wie es bisher üblich ist.

Dabei ist ein nicht unerheblicher Teil der seit Krisenausbruch rasant ansteigenden Verschuldung auf die staatlichen Rettungsaktionen zur Stabilisierung der Finanzmärkte ab 2008 zurückzuführen. EU-weit sind rund vier Billionen Euro an Staatshilfen zwischen Oktober 2008 und März 2010 an den Finanzsektor geflossen, wobei rund drei Viertel dieser Summe Staatsgarantien sind. Von diesen wurden letztendlich 994 Milliarden Euro in Anspruch genommen.

In Deutschland bezifferte die Bundesregierung im Mai 2010 den Anstieg der Staatsverschuldung aufgrund der Maßnahmen zur Bankenrettung auf 98,6 Milliarden Euro. Die Bundesbank kam hingegen im April 2011 auf die Kleinigkeit von insgesamt 241 Milliarden Euro, die auf »umfangreiche Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung« zurückzuführen seien. Revolten gegen diese Maßnahmen, wie sie jetzt von Politikern der FDP, der CSU und Teilen der CDU im Fall etwaiger Griechenland-Hilfen initiiert werden, die Milliardengeschenke für Ackermann und Co. darstellen, blieben bislang aus.

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