Obama-Ohrfeige

„Junge Welt“, 15.08.2011
US-Berufungsgericht erklärt Gesundheitsreform für verfassungswidrig. Genugtuung bei Republikanern

Das wichtigste innenpolitische Reformvorhaben des demokratischen US-Präsidenten Barack Obama hat am vergangenen Freitag eine empfindliche juristische Niederlage erlitten. Ein Berufungsgericht erklärte das Kernelement der umfassenden Reform des amerikanischen Gesundheitswesens für verfassungswidrig. Verantwortlich dafür, so befanden zwei von drei Richtern am 11. Berufungsgericht in Atlanta, sei der im Gesetz verankerte allgemeine Zwang zum Abschluß einer privaten Krankenversicherung.

Der Kongreß habe mit der Regelung des »individuellen Mandats«, das bis 2014 alle US-Bürger zum Abschluß eines Krankenversicherungsvertrages bewegen soll, seine Kompetenzen überschritten, erklärten die Richter in ihrer Urteilsbegründung: Dieses »ökonomische Mandat« stelle eine »neue und potentiell schrankenlose Aneignung von Autorität« durch den Kongreß dar, bei der »Amerikaner verpflichtet werden, ein teures Krankenversicherungsprodukt zu erwerben«, für das sie bis an ihr Lebensende zu zahlen hätten. Die Richter in Atlanta erklärten Obamas Gesetz damit zur unzulässigen Subventionierung der amerikanischen Krankenversicherungsbrache, der Millionen neue Kunden zugeführt werden sollten. Umfassende staatliche Subventionen sollten die Aufnahme verarmter US-Bürger für die Krankenversicherungskonzerne rentabel machen.

Während Politiker der Republikaner, die ein komplettes Scheitern der Gesundheitsreform zum Ziel haben, diese richterliche Entscheidung begrüßten, zeigte sich das Weiße Haus in einer ersten Stellungnahme enttäuscht: »Einzelne Personen, die keine Krankenversicherung erwerben, treffen damit eine wirtschaftliche Entscheidung, die sich auf uns alle auswirkt«, argumentierte die Präsidentenberaterin Stephanie Cutter. Wenn diese rund 32 Millionen unversicherten US-Bürger eine medizinische Erstversorgung in der Notaufnahme eines Krankranhauses erhalten, dann müßten hierfür derzeit die Steuerzahler die Kosten tragen, so Cutter.

Das jüngste Gerichtsurteil findet sich in einer Reihe mit ähnlich spektakulären und sich zumeist einander widersprechenden Richtersprüchen, bei denen die Gesundheitsreform als Ganzes verworfen oder zur Gänze als rechtskonform befunden wurde. Gegen die Gesundheitsreform haben bereits 26 Staaten juristische Schritte eingeleitet. Diese verbissene juristische Auseinandersetzung scheine auf einen »Showdown für den Obersten Gerichtshof« der Vereinigten Staaten zuzusteuern, schlußfolgerte das Nachrichtenmagazin Christian Science Monitor.

Auch innerhalb der von Obama maßlos enttäuschen US-amerikanischen Linken löste der Richterspruch von Atlanta eine gewisse Genugtuung aus. Das »Individuelle Mandat war schon immer eine schlechte Idee«, erläuterte John Nichols, Washington-Korrespondent des linksliberalen Blattes The Nation in einem Kommentar: Anstatt die Gesundheitsversorgung »als ein Recht« anzuerkennen, hätten der Kongreß und die Obama-Administration eine Reform »zusammengeschustert«, die den Mißbrauch und die hohen Kosten des profitorientierten Versicherungssystems beibehalte und »diese Versicherungsunternehmen auch noch mit einer Garantie staatlicher Gelder« belohne.

Der effektivste Weg zur Einführung einer allgemeinen und bezahlbaren Krankenversicherung bestehe in der Ausweitung des öffentlichen Gesundheitsprogramms Medicare, bei dem US-Bürger über 65 Jahre eine Krankenversicherung erhalten, kommentierte der Ökonom und Kodirektor der progressiven Denkfabrik Center for Economic and Policy, Mark Weisbrot. Die privaten Versicherungskonzerne würden Hunderte von Milliarden jährlich für Marketing und administrative Aufwendungen verschwenden, erläuterte Weisbrot, dieses Verhalten sei von Unternehmen zu erwarten, »die ihren Profit durch die Versicherung Gesunder und den Ausschluß Kranker maximieren«. Der Ökonom Paul Krugman wiederum verwies auf die langfristige Kostendivergenz zwischen dem öffentlichen Medicare-Programm, dessen Kosten zwischen 1969 und 2009 inflationsbereinigt um 400 Prozent zulegten, und den Preissteigerungen bei privaten Krankenversicherungen, die um 700 Prozent im selben Zeitraum explodierten. Dabei gelte es zu berücksichtigen, das ein großer Teil der Kostensteigerungen bei Medicare auf die überteuerten Arzneimittelpreise und sonstige Dienstleistungen des privaten Gesundheitssektors in den USA zurückzuführen sein, bemerkte Weisbrot.

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