„Junge Welt“, 18.08.2011
Streik in Polens Regionalverkehr stört Bahnprivatisierung
Im polnischen regionalen Bahnverkehr standen am Mitwoch alle Signale auf Rot. An die 2700 Regionalzüge blieben wegen eines eintägigen Streiks in ihren Depots. Zu der Kampfmaßnahme hatten sich die Beschäftigen der Bahngesellschaft Przewozy Regionalne am vergangenen Mittwoch entschlossen. An die 300000 Pendler sollen Schätzungen zufolge von der Arbeitsniederlegung betroffen gewesen sein. Die Führung der Eisenbahnergewerkschaft kündigte bereits an, am 24. August abermals einen eintägigen Generalstreik durchzuführen, sollte ihre Forderung nach einer pauschalen Lohnerhöhung von 280 Zloty (circa 80 Euro) nicht erfüllt werden.
Die Gewerkschaften begründen ihr Vorgehen mit den Hungerlöhnen, mit denen die Bahnbeschäftigten über die Runden kommen müssen. So liegen die Einstiegsgehälter sogar für Lok- und Triebwagenführer bei circa 1500 Zloty (etwa 375 Euro). Die Verhandlungsführer der Przewozy Regionalne haben bislang eine Gehaltserhöhung von 120 Zloty zum 1. August und eine abermalige Anhebung der Löhne um 130 Zloty am Jahresanfang 2013 angeboten.
Im Vorfeld des Ausstandes fehlte es nicht an Drohgebärden seitens polnischer Regierungsvertreter: »Der Streik ist eine schlechte Lösung, es ist eine extremistische Aktion, die der Bahngesellschaft Schäden zufügt«, tönte der polnische Infrastrukturminister Cezary Grabarczyk. Aufgrund des Ausstandes werde es der Bahngesellschaft schwerer fallen, die Forderungen der Beschäftigen zu erfüllen: »Jeder weitere Streik verringert den Verhandlungsspielraum der Betriebsführung«, so Grabarczyk. Die Eisenbahner hatten bereits am 5. Juli für zwei Stunden die Arbeit niedergelgt.
Die Protestaktion kommt für die polnische Regierung tatsächlich zur Unzeit. Ist doch Warschau gerade darum bemüht, die EU-Vorgaben zur »Liberalisierung« des Schienenverkehrs umzusetzen, also den totalen Ausverkauf des sich teilweise noch in öffentlichem Besitz befindlichen Schienenverkehrs in Polen abzuschließen. Die Umstrukturierung der ehemaligen polnischen Staatsbahn PKP (Polskie Koleje Panstwowe), die 2001 in eine Aktiengesellschaft im Besitz des polnischen Staates umgewandelt worden war, in mehrere Subunternehmen ist bereits vollständig abgeschlossen. Die Bahngesellschaft Przewozy Regionalne wurde sogar aus dem Verbund der PKP gänzlich ausgegliedert und deren Aktien den 16 polnischen Woiwodschaften übertragen, die in Eingenregie Privatisierungen realisieren. So übernahm etwa eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn den Regionalverkehr in der Woiwodschaft Kujawien-Pommern.
In diesem Jahr sollen etliche Tochtergesellschaften der PKP verscherbelt werden, wie die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita am 3. August meldete. Derzeit wird die Privatisierung der Instandhaltungsgesellschaft (Przedsiebiorstwo Napraw Infrastruktury) der PKP abgeschlossen, bald wird die Gütersparte der polnischen Eisenbahn (PKP Cargo) veräußert, was rund drei Milliarden Zloty in den Haushalt spülen soll. Die Verkaufspläne konkretisieren sich auch in der Intercity-Sparte und beim Energieunternehmen der PKP.
Zudem sind bereits jetzt etliche nichtstaatliche Bahngesellschaften in Polen aktiv. Die mit dem Privatisierungswahn einhergehende Fragmentierung macht sogar Selbstverständlichkeiten wie den Fahrkartenkauf zu einer Herausforderung, da die Tickets der Privatgesellschaften oftmals nicht in den Bahnhöfen der PKP erworben werden können. Wenn in Polens regionalem Schienenverkehr die Züge stehen, dann ist das zumeist diesem Chaos zuzuschreiben. So verhinderte etwa der staatliche Schienennetzbetreiber im vergangenen Mai die Fahrt mehrerer Züge der Przewozy Regionalne, da diese Zahlungsrückstände hatte.