Der Krisenprofiteur

german-foreign-policy, 16.08.2011
Vor dem heutigen Gipfeltreffen der deutschen Kanzlerin mit dem französischen Staatspräsidenten ist der Streit um die Einführung von EU-Staatsanleihen („Eurobonds“) eskaliert. Mit Hilfe von Eurobonds sollen die ausufernden Kreditkosten der von der Krise geschüttelten südlichen Eurostaaten eingegrenzt werden. Berlin verweigert sich bislang dem vor allem von Frankreich, Italien und Griechenland geforderten Instrument, weil es den mit ihm verbundenen Anstieg der Zinskosten für den eigenen Etat vermeiden will. Da ungewiss ist, ob der Euro ohne Eurobonds gerettet werden kann, deuten Regierungskreise inzwischen einen möglichen Kurswechsel an – bei Preisgabe zentraler Souveränitätsrechte der ärmeren Eurostaaten. Hintergrund sind Befürchtungen deutscher Wirtschaftskreise, ein Zusammenbruch des Euro könne nach einer Wiedereinführung der Deutschen Mark deren Aufwertung zur Folge haben – und damit massive Einbrüche bei den deutschen Exporten. Berechnungen zeigen, dass die Kosten der Eurobonds für den deutschen Staatshaushalt die jährlichen Leistungsbilanzüberschüsse – faktische Finanztransfers nach Deutschland – nicht annähernd erreichen.

Zum Kurswechsel bereit

Vor dem heutigen Gipfeltreffen der deutschen Kanzlerin mit dem französischen Staatspräsidenten sind die Auseinandersetzungen um die Einführung von EU-Staatsanleihen („Eurobonds“) eskaliert. Offiziell lehnt die Bundesregierung Eurobonds noch ab; der Widerstand gegen sie konzentriert sich jedoch vor allem auf FDP und CSU sowie den rechtskonservativen CDU-Flügel. So erklärt etwa Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), die Einführung von Eurobonds werde, da sie die Zinsen für alle Eurostaaten angleiche, „die Anreize für eine solide Haushalts- und Wirtschaftspolitik“ untergraben.[1] Der FDP-Politiker Oliver Luksic droht gar mit dem Koalitionsbruch: Lasse Berlin die Einführung von Eurobonds „und damit den finalen Schritt in Richtung dauerhafter und grenzenloser Schuldenhaftungsgemeinschaft“ zu, dann müsse „die FDP sich ernsthaft überlegen, ob (…) die Koalition (…) noch eine Zukunft haben kann“.[2] Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer erteilt den Eurobonds ebenfalls eine klare Absage: „Das werden wir jedenfalls als CSU nicht mittragen.“[3] Hingegen zeichnet sich Berichten zufolge in der CDU-geführten Bundesregierung „ein Umdenken“ ab. „Maßgebliche Mitglieder“ der Regierung seien „inzwischen bereit, eine Transferunion in den Süden, notfalls sogar Euro-Bonds zu akzeptieren“, heißt es in der Presse.[4]

Deutsche Handschrift

Der sich abzeichnende Politikwechsel der Bundesregierung entspricht ähnlichen Überlegungen in der deutschen Exportindustrie. Hochrangige Wirtschaftsvertreter fordern auch weiterhin vermehrte Sparanstrengungen der von der Pleite bedrohten Eurostaaten. So erklärt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben: „Es führt kein Weg daran vorbei: Die Staaten müssen ihre Reformen jetzt zügig voranbringen, in enger Abstimmung mit der Gemeinschaft, so wie dies mit bisheriger Beschlusslage vereinbart worden ist“.[5] Genau dies führte zuletzt Griechenland in den weiteren ökonomischen Zusammenbruch (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Mittlerweile plädiert mit dem Präsidenten des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner, erstmals ein bekannter Verbandsfunktionär für die Einführung von Eurobonds. Ohne die Euroanleihen drohe eine ökonomische Abwärtsspirale, die in eine globale Depression münden werde, warnt Börner und spricht sich für „Eurobonds mit deutscher Handschrift“ aus – Anleihen „mit strengen Auflagen“ für sämtliche beteiligten Eurostaaten, etwa die Einführung einer „Schuldenbremse“ nach deutschem Modell in der Verfassung und konsequente Sanktionen für „Schuldensünder“ inklusive Entzug des Stimmrechts innerhalb der EU.[7]

Preisgabe der Haushaltssouveränität

Eine mögliche Kursänderung ähnlich der von Börner formulierten Konzeption deutet der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble inzwischen vorsichtig an. Er „schließe Eurobonds aus“, erklärt Schäuble, allerdings nur, „solange die Mitgliedsstaaten eine eigene Finanzpolitik betreiben und wir die unterschiedlichen Zinssätze benötigen, damit es Anreize und Sanktionsmöglichkeiten gibt, um finanzpolitische Solidität zu erzwingen.“[8] „Tiefgreifende strukturelle Reformen“ innerhalb der Eurozone könnten hingegen einen Sinneswandel in der Bundesregierung herbeiführen, heißt es in der Presse unter Verweis auf Regierungskreise.[9] Hinweise, worin solche „strukturellen Reformen“ bestehen könnten, gibt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der inzwischen ebenfalls Eurobonds befürwortet. Die Länder, die Euroanleihen in Anspruch nähmen, „müssten auch einen Teil ihrer eigenen Souveränitätsrechte für ihre Haushalte abgeben und einer Kontrolle unterwerfen“, wird Gabriel zitiert.[10] Berlin nutzt damit die Zuspitzung der Schuldenkrise, um die Umformung der EU gemäß deutschen Hegemonialinteressen weiter voranzutreiben (german-foreign-policy.com berichtete [11]).

Der Druck wächst

Als treibende Kraft hinter dem Vorhaben, Eurobonds einzuführen, gilt Frankreich. Französische Banken, die weitaus stärker als deutsche Kreditinstitute in der verschuldeten südlichen Peripherie der Eurozone exponiert sind, erlitten beim jüngsten Krisenschub enorme Kurseinbrüche und Bonitätsabwertungen, da keinesfalls sicher ist, dass sie eventuelle Abschreibungen verkraften können. Zudem musste Paris entschieden Gerüchten entgegentreten, wonach Frankreich – ähnlich den USA – mit dem Verlust seines Spitzenbonitätsrankings (AAA) zu rechnen habe. Dies würde die Kreditaufnahme für das ökonomisch stagnierende Land enorm verteuern. „Die Bündelung der Schulden der Eurostaaten wird sicher nicht ausreichen, um die Schuldenkrise zu lösen, doch ohne diesen Schritt wird die Eurozone kaum überleben“, umriss die französische Wirtschaftspresse den Pariser Standpunkt.[12] Damit schließt sich Frankreich den Forderungen nahezu aller südeuropäischen Eurostaaten an. Bislang hat vor allem Italien auf die Einführung europäischer Anleihen gedrängt: „Wir wären nicht da, wo wir jetzt sind, wenn wir Euro-Bonds gehabt hätten“, kritisierte zuletzt Finanzminister Giulio Tremonti die harte Haltung Berlins.[13] Auch in Griechenland werden Eurobonds favorisiert, da die rasant eskalierende Schuldenkrise inzwischen die Finanzzusagen des letzten Krisengipfels gefährdet. Die Interessenkonvergenz zwischen Rom, Athen, Madrid und Paris führt nun dazu, dass der Druck auf Berlin wächst.

Aufwertung als Katastrophe

Dabei hat Berlin trotz eventueller Mehrkosten durch die Eurobonds ein vitales Eigeninteresse am Fortbestehen der Eurozone, das möglicherweise nur um den Preis einer Einführung ebendieser Eurobonds zu haben ist. Die deutschen Exporte würden bei Wiedereinführung der Deutschen Mark binnen „weniger Monate deutlich abstürzen“, weil die Mark sofort aufwerten würde, warnt etwa der Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn: „Bei einer Aufwertung von nur zehn Prozent würden die Exporte auf Dauer um vier bis fünf Prozent zurückgehen. Die zu erwartende Aufwertung würde aber wohl ein Vielfaches dessen sein. Das wäre dann eine wirtschaftliche Katastrophe.“ Ähnlich urteilt der Ökonom Michael Burda von der Berliner Humboldt-Universität: „Die wieder eingeführte D-Mark könnte innerhalb weniger Monate um 50 Prozent aufwerten.“ Dies würde „den deutschen Mittelstand mit einem Schlag auslöschen.“[14]

100 zu 47

Tatsächlich ist die Eurozone wegen der ausbleibenden Aufwertung der deutschen Währung längst zu einer Transferunion geworden, die stetig Geld transferiert – nach Deutschland. Die schwächeren südeuropäischen Volkswirtschaften können die Exportoffensiven der deutschen Industrie aufgrund des Euro nicht durch die Abwertung ihrer Währungen abwehren.[15] Über zwei Drittel seiner Handelsüberschüsse erwirtschaftet Deutschland innerhalb der Eurozone – mittlerweile mehr als 100 Milliarden Euro jährlich. Von der Einführung des Euro als Bargeld bis zum zweiten Quartal 2010 konnte die Bundesrepublik gegenüber den übrigen Euroländern einen Leistungsbilanzüberschuss von insgesamt über 672 Milliarden Euro erzielen; dies gleicht im Endeffekt einem gewaltigen Vermögenstransfer nach Deutschland. Die deutschen Überschüsse bilden zugleich die Defizite, unter denen die Staaten Südeuropas nun zusammenbrechen. „Kein Land kann einen chronischen Handelsüberschuss pflegen, ohne dass andere Länder Defizite anhäufen,“ erläuterte zuletzt George Soros.[16] Die höheren deutschen Zinslasten im Falle einer Einführung von Eurobonds werden auf gut 47 Milliarden Euro jährlich geschätzt; sie liegen damit noch weit unter den jährlichen Bilanzüberschüssen und bedeuten daher keine wirkliche Gefahr für die deutsche Exportindustrie.

Wieder Großmacht

Wie Deutschland durch die Krise seine Dominanz über die EU stärken konnte, hat jüngst der bekannte US-Dienst Stratfor ungeschminkt beschrieben. Wie Stratfor urteilt, habe kein Staat „mehr von Europa profitiert als Deutschland“. Die Eurozone bilde dabei für die deutschen Eliten das Vehikel, mit dem sie auf der „globalen Bühne“ agieren könnten – „ohne die Wiederbelebung des Militärs, die in Europa Panik verbreitet“ hätte. Im Verlauf der aktuellen Krise habe Berlin seine Möglichkeiten erweitert, „andere EU-Staaten zu beeinflussen – speziell solche mit finanziellen Schwierigkeiten“. Die Bundesrepublik könne mit Hilfe der EU-Spardiktate bereits jetzt „große Mengen an nationaler Souveränität“ anderer Eurostaaten „usurpieren“. Deutschland befinde sich erneut an der Schwelle zur Großmacht. Zwar bedeute dies „kaum, dass nun die Regeneration der Wehrmacht kurz bevorstünde“; doch nötige der deutsche Aufstieg dazu, die „Architektur Europas und Eurasiens“ radikal „umzudenken“. Frankreich etwa verliere rapide „die Kontrolle über Europa“. Paris habe die Europäische Union mit der Absicht geformt, das deutsche Großmachtstreben einzudämmen. Nun scheine jedoch, urteilt Stratfor, das „französische Horrorszenario eines zügellosen Deutschland“ wieder möglich.[17]

[1] „Euro-Bonds wären nicht gut für Deutschland“; www.welt.de 15.08.2011
[2] Eurobonds: FDP-Politiker droht mit Koalitionsbruch; newsticker.sueddeutsche.de 15.08.2011
[3] Europäer drängen Merkel zu Euro-Bonds; www.spiegel.de 14.08.2011
[4] Schäuble knüpft Geld für EU an radikale Reformen; www.welt.de 14.08.2011
[5] Deutsche Wirtschaft fordert Eurobonds; www.handelsblatt.com 15.08.2011
[6] s. dazu Aus der Krise in die Krise
[7] Deutsche Wirtschaft fordert Eurobonds; www.handelsblatt.com 15.08.2011
[8] Keine Rettung um jeden Preis – Dr. Wolfgang Schäuble im Gespräch mit dem Spiegel; www.bundesfinanzministerium.de 15.08.2011
[9] Schäuble knüpft Geld für EU an radikale Reformen; www.welt.de 14.08.2011
[10] Gabriel fordert gemeinsame Staatsanleihen; www.stern.de 14.08.2011
[11] s. dazu Teilsieg für Deutsch-Europa
[12] Des euro-obligations ou rien! lecercle.lesechos.fr 09.08.2011
[13] Italien bittet, Schäuble blockt; www.manager-magazin.de 14.08.2011
[14] Rückkehr zur D-Mark brächte Katastrophe; www.welt.de 13.08.2011
[15] s. dazu Die deutsche Transferunion
[16] Three steps to resolving the eurozone crisis; www.ft.com 14.08.2011
[17] Peter Zeihan, Marko Papic: Germany’s Choice: Part 2; www.stratfor.com 26.07.2011

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