„Junge Welt“, 26.06.2009
Regierungspartei putscht gegen öffentlich-rechtliches Fernsehen in Polen
Noch am Mittwoch sah es so aus, als ob die von der rechtsliberalen Regierungskoalition Polens forcierte Reform der öffentlichen Medien unter Dach und Fach wäre. Um ein angedrohtes Veto des Präsidenten Lech Kaczynski zu überstimmen, einigte sich die Regierung unter Premier Donald Tusk (Bürgerplattform PO) mit der oppositionellen sozialdemokratischen Vereinigung der Demokratischen Linken (SLD) auf einen Kompromiß. Dieser sah – neben einer Neustrukturierung der Aufsichtsräte – die Abschaffung der Fernsehgebühren und eine direkte Finanzierung des polnischen Fernsehens TVP aus dem Staatshaushalt vor. Tusks neoliberale PO mußte aber sowohl ihren Koalitionspartnern von der gemäßigten Bauernpartei PSL wie auch der SLD Zugeständnisse in Form einer Mindestfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien machen.
Laut Gesetzesentwurf sollte TVP jährlich mindestens eine Summe von 880 Millionen Zloty (ca. 200 Millionen Euro) zur Verfügung stehen. Doch kurz vor einer eigentlich routinemäßigen Ablehnung von Änderungsvorschlägen des polnischen Oberhauses, des Senats, am eigentlich schon verabschiedeten Gesetzespaket berief Tusk seine Fraktion überraschend zu einer geschlossenen Dringlichkeitssitzung ein. Hier eröffnete der polnische Regierungschef seinen Fraktionskollegen, daß sie entgegen den Absprachen mit ihren Koalitionspartnern und den Sozialdemokraten für die Änderungsvorschläge des Senats an dem Mediengesetz zu stimmen haben und damit die Einführung eben dieser Mindestfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien zu kippen.
Dieser überraschende Coup des polnischen Ministerpräsidenten sorgte für allgemeine Empörung. Der berühmte polnische Fernsehenjournalist Tomasz Lis erklärte in einem Interview, daß dieses Gesetzespaket die öffentlichen Medien vernichten werde. Ohne Finanzgarantien werden die Vorsitzenden der öffentlichen Medienanstalten zu Bittstellern der Politiker, warnte Lis, selbst TVP könne direkt abhängig werden von den Regierenden: »Ihr wollt Geld, dann tut das, was wir sagen.«
Die einflußreiche liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza, die für gewöhnlich zu den treuesten Unterstützern der PO zählt, hatte für dieses parlamentarische Manöver nur Kopfschütteln übrig. Tusk habe all jenen Kritikern Argumente geliefert, die »die Bürgerplattform beschuldigen, sie wolle in Wahrheit die öffentlichen Medien liquidieren.« Zudem sei nun die gesamte Medienreform in Gefahr, warnte das liberale Leitmedium am Donnerstag.
Tatsächlich konnte die Bürgerplattform diesen parlamentarischen Putsch nur durchführen, weil die härtesten rechtskonservativen Kritiker der Medienreform sich vornehm zurückhielten. Die PO überstimmte hierbei ihre Koalitionspartner und die SLD mit 185 zu 78 Stimmen, während die 145 Abgeordnete zählende Fraktion der rechtskonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit‘ (PiS) sich der Stimme enthielt. Das Kalkül der Konservativen ist einfach: Nun werden die hintergangenen Sozialdemokraten das Veto des polnischen Präsidenten gegen dieses Gesetz unterstützen und somit die gesamte Medienreform zu Fall bringen.
Dies würde bedeuten, daß die rechtskonservativen und rechtsradikalen Seilschaften in Polens öffentlichen Medien weiterhin bestehen blieben. Der Sender TVP bliebe dann ein Fernsehen des derzeitigen kommissarischen Direktors Piotr Farfal, der noch vor wenigen Jahren im antisemitischen Hetzblatt Szczerbiec publizierte und in der Nazipartei »Nationale Wiedergeburt Polens« (NOP) aktiv war, schrieb die Wyborcza.