Ausufernde Gewalt im Nordkaukasus

„Junge Welt“, 12.06.2009
Bewaffnete Kämpfe in autonomen Republiken Rußlands gewinnen an Intensität

In etlichen nordkaukasischen Autonomen Republiken der Russischen Föderation gewinnen die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Separatisten an Intensität. Erfaßt sind von diesem Krieg neben Tschetschenien auch Inguschetien und Dagestan. Dem jüngsten Angriff fiel am Mittwoch morgen die Vizevorsitzende des Obersten Gerichts Inguschetiens, Asa Gasgirejewa, zum Opfer. Unbekannte Täter hätten das Fahrzeug Gasgirejewas im Zentrum der Stadt Nasran beschossen, meldete die Nachrichtenagentur Ria-Nowosti. In einer ersten Stellungnahme äußerte Inguschetiens Präsident Junus-bek Jewkurow die Annahme, daß die Täter im Umfeld »tschetschenischer Terroristen« zu suchen seien.

Der Angriff ereignete sich nur einen Tag nach einer Visite des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in der Region, während der er die fortdauernde Gewalt verurteilte. Bislang sind in diesem Jahr allein in Ingusche­tien 13 Mitglieder der Sicherheitskräfte bei den Auseinandersetzungen getötet worden. Am Freitag vergangener Woche war in Dagestan der republikanische Innenminister Adilgerej Magomedtagirow bei einem Attentat ermordet worden. Ende Mai konnte ein Sprengstoffanschlag auf eine Ferngasleitung in Dagestan nur knapp verhindert werden.

Medwedew ließ am Dienstag in der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala eine Dringlichkeitssitzung des russischen Sicherheitsrates abhalten, bei der Gegenmaßnahmen zu der ausufernden Gewalt erörtert wurden. Bereits vor diesem spektakulären Attentat beschloß der russische Geheimdienst FSB Mitte Mai die Durchführung von Großoperationen gegen die in der dagestanischen ­Region Karabudachkent operierenden Rebellengruppen, die mit der Ausrufung eines »Antiterrorregimes« einhergehen. Laut RIA-Nowosti fallen hierunter verschärfte Ausweiskontrollen, ein eingeschränkter Verkehr, die Kontrolle von Telefongesprächen und sogar die »zeitweilige Evakuierung der Bevölkerung«.

Die Angriffe konterkarieren die Fortschritte, die Rußland bei der Aufstandsbekämpfung in Tschetsche­nien erringen konnte. In einer symbolträchtigen Geste ließ der Kreml Mitte April die Antiterroroperationen in Tschetschenien offiziell beenden. Tatsächlich gelang es dem moskautreuen Präsidenten Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, vermittels rücksichtsloser Brutalität und großzügiger Amnestieangebote, die Separatistenbewegung in Tschetschenien entscheidend zu schwächen und eine fragile Normalisierung in dem kriegsverwüsteten Land einzuleiten. Dennoch gehen auch in Tschetschenien die Auseinandersetzungen, bei denen allein im Mai bei Sprengstoffanschlägen etliche Polizisten getötet und verletzt worden, auf einer niedrigen Intensitätsstufe weiter: Die Sicherheitskräfte Tschetscheniens und Inguschetiens meldeten jüngst den Tod von zwölf Separatisten allein zwischen dem 16. und 27. Mai.

Während seiner Dagestan-Visite gab Dmitri Medwedew auch einen Überblick über die Verluste der russischen Staatsorgane. Demnach seien im Verlauf des vergangenen Jahres 75 Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden und 48 Zivilisten getötet worden. In diesem Zeitraum fanden – bei insgesamt 308 »terroristischen Verbrechen« – über 100 Sprengstoffanschläge im Nordkaukasus statt. Die Verluste der Separatisten bezifferte Medwedew auf 112 Mann. Der russische Staatschef machte auch die extreme Armut in der Region und die ausufernde Korrup­tion der regionalen Regierungsvertreter dafür verantwortlich, daß die islamistischen Rebellengruppen ihre Anziehungskraft nicht einbüßten.

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