„Junge Welt“, 29.05.2009
Washington, Moskau und Warschau pokern weiter um Hochrüstung oder Abrüstung
Zwischen Polen und den USA gibt es immer noch keine greifbaren Ergebnisse in den Verhandlungen um die Stationierung einer US-amerikanischen Raketenabwehr. Die Vereinigten Staaten üben sich in Hinhaltetaktik. Vor wenigen Tagen erklärte die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton, daß ihre Regierung dabei sei, »den strategischen Wert der Raketenabwehr abzuwägen«. Den Grund für diese »Abwägungen« der Obama-Administration nannte am 21. Mai die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza, der zufolge die Frage des osteuropäischen Raketenschutzschildes bei den derzeit laufenden nuklearen Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Rußland eine gewichtige Rolle spiele.
Derzeit bemühen sich Washington und Moskau um ein Nachfolgeabkommen zu dem bald auslaufenden START-Vertrag von 1991, der die Reduzierung der nuklearen Trägersysteme sowie Sprengköpfe der damaligen Supermächte regelte. Rußland nimmt die in Polen und Tschechien geplante Raketenabwehr als eine Bedrohung seines nuklearen Abschreckungspotentials wahr und opponiert entschieden gegen dieses Vorhaben. Folglich erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow am 21. Mai, daß die nun laufenden russisch-amerikanischen Verhandlungen unbedingt »die Frage des Raketenschutzschilds einschließen« müßten.
Ohnmächtig mußte Polens Außenpolitik mit ansehen, wie der im vergangenen August abgeschlossene Stationierungsvertrag längst zur Verhandlungsmasse beim Abrüstungspoker der Großmächte mutierte. Dabei hatte Warschau bei Vertragsunterzeichnung eine dauerhafte Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau riskiert, das umgehend damit drohte, seine Atomraketen auf die Raketenabwehr in Nordpolen auszurichten. Eine Entschädigung für diesen Konfrontationskurs gegenüber Rußland sollte Polen in Form umfassender amerikanischer Militärhilfe erhalten, doch blieben diese Versprechungen bislang sehr vage.
Laut einem Bericht der polnischen Zeitung Rzeczpospolita vom 21. Mai soll allerdings bis Jahresende eine Batterie des US-amerikanischen Luftabwehrsystems »Patriot« in Polen stationiert werden. Demnach erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums, dies habe »Präsident Barack Obama persönlich bei einem Treffen mit Premier Donald Tusk zugesagt«. Auf entsprechende Journalistennachfragen stellte der Sprecher ausdrücklich fest, daß die Verlegung der Patriot-Batterie unabhängig von der Stationierung von zehn Abwehrraketen des Raketenschildes in Nordpolen erfolgen werde. Gegenüber der Financial Times konkretisierte Polens Vizeverteidigungsminister Stanisaw Komorowski, daß dieses Patriot-System noch vor Ende 2009 in Polen stationiert werden könne.
Für die russische Zeitung Wremja Nowosti deutet sich bereits ein Deal an, bei denen die polnische Regierung im Austausch für das Patriot-System auf die Aufstellung der Raketenabwehr verzichtet: So habe Polens Premier zu verstehen gegeben, daß er auf das von Rußland vehement abgelehnte Projekt verzichten könnte, falls »Warschau zuvor amerikanische Luftverteidigungssysteme in Kampfausführung« erhalte.
Doch genau an einer Kampfausführung des Patriot-Systems scheint es den neuesten Berichten zufolge zu hapern. Wie die Gazeta Wyborcza am 22. Mai unter Berufung aus »Quellen aus Washington« meldete, sollen die über 100 Patriot-Raketen ohne Sprengköpfe in Polen stationiert werden und nur »reinen Schulungszwecken« dienen. Die Obama-Administration bemühe sich derzeit, jegliche Schritte zu unterbinden, die Moskau »reizen« würden, so zitierte die Wyborcza ihre Washingtoner Quelle.
Der polnischen Außenpolitik scheint dieser Kompromiss aber unzureichend zu sein. Am 26. Mai erklärte der polnische Verteidigungsminister Bogdan Klich, sich dafür einzusetzen, dass die in Polen zu stationierenden Patriot-Raketen nicht nur Schulungszwecken, sondern auch ‚der Luftverteidigung des Landes‘ dienten.