„Junge Welt“, 30.04.2009
Die polnische Regierung setzt in der Krise weiter auf neoliberale Dogmatik. Trotz Desorientierung der großen Gewerkschaften organisiert sich Arbeiterwiderstand. Ein Gespräch mit Dariusz Zalega
Dariusz Zalega Ist Chefredakteur der linken Wochenzeitung Trybuna Robotnicza (Arbeitertribüne), die von der Freien Gewerkschaft »Sierpien 80« (»August 80«) herausgegeben wird.
F: In den westlichen Medien wird oft die Meinung geäußert, daß Polen, verglichen mit anderen Ländern Osteuropas, bislang bei der Krise relativ glimpflich davonkam. Die Agentur Fitch-Rating behauptet in einer Anfang April veröffentlichten Analyse sogar, Polen sei gegenüber den Krisenfolgen »am wenigsten verletzbar« in ganz Osteuropa. Sind das nicht allzu optimistische Annahmen?
Die Regierung verschließt sich vor der Wirklichkeit und behauptet, daß man mit dieser Krise nicht übertreiben solle. Der bekannte neoliberale polnische Professor Janusz Czapinski forderte Regierungschef Donald Tusk auf, öffentlich zu erklären, daß es in Polen überhaupt keine Krise gebe. Aber außerhalb dieser schamanenhaften Beschwörungen wissen alle, daß die Krise da ist. Sie hat bereits etliche Branchen in Polen erfaßt, was zu Massenentlastungen, zum Einfrieren der Löhne oder gar zu Lohnkürzungen führte. Die privaten Rentenfonds – eine der beiden Säulen des polnischen Rentensystems – haben auf den Aktienmärkten Milliarden von Zloty der künftigen Rentner verloren. Leute, die Kredite aufnahmen – insbesondere für den Hausbau – haben immer größere Probleme mit deren Bedienung. Die Umsätze der Handelsfirmen fallen, der Export sackt ab. Die Preise für Grundnahrungsmittel gehen in die Höhe, wie auch für Strom. Im März waren bereits 1,758 Millionen Arbeitslose registriert, daß sind 11,2 Prozent aller Erwerbsfähigen. Von Massenentlassungen sind auch die Journalisten betroffen, die bislang größtenteils vom Neoliberalismus fasziniert waren, wie beispielsweise in den Zeitungen, die zu deutschen Konzernen wie Springer oder der Verlagsgruppe Passau gehören. Aus einer Analyse der Boston Consulting Group geht hervor, daß polnische Firmen in Krisensituationen öfter als ausländische Unternehmen zu Entlassungen greifen, um auf diese Weise schnelle und leichte Einsparungen zu realisieren.
Die liberale Regierung hat noch vor kurzem eine massive Kampagne geführt, um die polnischen Arbeitsmigranten zur Rückkehr zu bewegen. Aber die, die zurückkommen, finden keine Arbeitsangebote. Polen hat praktisch auch keine Kontrolle über sein Bankensystem, welches sich überwiegend in den Händen ausländischer Firmen befindet. So verschlechtern sich die Möglichkeiten, Kredite zu erhalten. Zusammenfassend kann man festhalten, daß die Regierung eine gegen die Krise gerichtete Propaganda des Erfolgs betreibt, aber niemand wirklich weiß, was passieren wird. Dessen ungeachtet sind die polnischen Eliten weiterhin geblendet von ihrem Neoliberalismus. Man kann bei ihnen auch ein gewisses Überlegenheitsgefühl gegenüber den Regierungen des Westens herausspüren, die ja nach neoliberaler Ansicht zu sehr in die Wirtschaft intervenieren.
F: Versuchen diese – wie Sie sagten – »neoliberal verblendeten Eliten«, die Krisenfolgen auf die Arbeiterschaft abzuwälzen?
Sowohl Regierung als auch Unternehmen versuchen, die Krise zu instrumentalisieren, um weitere Projekte der Liberalisierung des Arbeitsrechts und der Beschränkung der Arbeiterrechte durchzusetzen. Zudem hat die Regierung in diesem Jahr die Anzahl der Steuersätze verringert. Früher gab es drei Steuersätze zu 19, 30 und 40 Prozent, jetzt gibt es nur noch zwei mit 18 und 32 Prozent. Die Regierung hat das mit der Notwendigkeit der Beibehaltung eines Massenkonsums in Krisenzeiten begründet, obwohl der Haushalt dadurch um mindestens acht Milliarden Zloty belastet und die Mehrheit der Polen nur um circa 200 Zloty jährlich entlastet wird. Aber sobald jemand mehr als 10000 Zloty im Monat verdient, dann hat er eine jährliche Steuerersparnis von 7000 Zloty. Daran sieht man, wessen Interessen die Regierung von Donald Tusk vertritt, der sich übrigens keine Sorgen darüber macht, daß das von ihm propagierte Einfrieren der Löhne die Massennachfrage in Polen noch weiter abwürgt.
In der trilateralen Kommission, in der sich Vertreter der größten Gewerkschaften, der Unternehmerverbände und der Regierung finden, entstand zudem das Projekt eines Antikrisenpaktes. Vorgesehen sind in diesem Zusammenhang umfassende Flexibilisierungen der Arbeitszeiten, dank derer die Unternehmer im Endeffekt weniger für Überstunden zu zahlen hätten. Was verlangt dieses Antikrisenpaket von den Unternehmern? Nichts! Das ist noch nicht alles. Das Busineß wollte sich nicht mal darauf einlassen, in den Staatsbetrieben die Entlohnung des Managements an die durchschnittliche Vergütung der Arbeiterschaft im Betrieb zu koppeln.
F: Wie sieht es in den Betrieben aus, nutzt dort das Kapital die Krise aus?
Viele Firmen nutzen bereits jetzt die Krise zur Durchführung von »Restrukturierungen« – also für Entlassungen und zur Schließung »unrentabler« Betriebe. Oft stimmen die eingeschüchterten Gewerkschafter auch Lohnkürzungen um bis zu 15 Prozent zu, wobei diese Zugeständnisse häufig nicht mal mit Beschäftigungsgarantien einhergehen. In einem zum Konzern Mondi gehörenden Betrieb in Swiec, unweit der Grenze zu Deutschland, haben die Gewerkschafter trotz einer Verdoppelung der Produktivität keinerlei Lohnforderungen gestellt. Erst nachdem die Betriebsführung ihnen jegliche Sozialleistungen streichen wollte, haben sie angefangen zu protestieren. Ähnlich war es im Hüttenwerk KrólewÂska in Chorzow, wo trotz üppiger Gewinne und guter Auftragslage die Krise sofort als Vorwand diente, Massenentlassungen durchzuführen. Es gibt unzählige solcher Beispiele.
F: Wie reagieren die Gewerkschaften auf diese Entwicklung? Leidet die Mobilisierungsfähigkeit unter der Krise?
Die großen, in der trilateralen Kommission vertretenen Gewerkschaftszentralen – wie die Solidarnosc und die sozialdemokratische OPZZ – wissen jetzt eigentlich nicht, was sie machen sollen. Einerseits geben sie sich kämpferisch. Sie verbreiten Parolen, daß sie für die Arbeiterrechte kämpfen werden. Aber später unterschreiben sie Vereinbarungen, die diese Rechte abschaffen. Die Solidarnosc will zudem die Proteste gegen die Krise nutzen, um die Popularität der Partei der Kaczynski-Brüder vor den Europawahlen zu heben.
Auf der Ebene der einzelnen Betriebe können aber die gewerkschaftlichen Strukturen der OPZZ wie auch der Solidarnosc in der Stunde der Gefahr durchaus erfolgreich mobilisieren. Dies gelang beispielsweise in der Möbelfabrik Forte in Przemysl, wo die Gewerkschafter eine Betriebsbesetzung organisierten, um die Produktionsmaschinen vor etwaigem Abtransport durch den Unternehmer schützen, der diesen Standort schließen will. Dennoch führt die Bürokratisierung der großen Gewerkschaften dazu, daß sie kaum in der Lage sind, eine erfolgversprechenden Strategie für die Zeiten der Krise auszuarbeiten. Erschwerend kommt die verbreitete Kungelei der großen Gewerkschaften mit den Betriebsleitungen hinzu, wie beispielsweise im Fall der Solidarnosc und der Supermarktkette Tesco.
F: Und wie sieht es mit den kleineren, radikalen Gewerkschaften in Polen aus, wie etwa Ihrer linken Gewerkschaft »August 80«?
In dieser Phase bemühen sich die radikalen Arbeiterorganisationen, vor allem die freie Gewerkschaft »August 80«, in die Offensive zu gehen. Wir haben hierbei auch Erfolge vorzuweisen: Während der jüngsten Tarifauseinandersetzung im Bergbau erklärten die Unternehmer öffentlich, daß die anderen Gewerkschaften unter dem Druck von »August 80« gezwungen waren, ihre Forderungen ebenfalls zu radikalisieren. Letztendlich haben die Bergleute den Kampf um die Lohnerhöhungen gewonnen, indem sie einen Generalstreik in den Minen androhten. »August 80« organisierte bereits zwei Demonstrationen unter der Parole »Wir zahlen nicht für eure Krise« – eine in Katowice und die zweite in Warschau. An den Protesten nahmen Arbeiter aus verschiedenen Branchen Teil: dem Gesundheitssektor, dem Bergbau, dem Schiffsbau und dem Hüttenwesen. Für den 22. Mai organisieren wir eine ähnliche Demonstration in Warschau. Inzwischen warnen die großen polnischen Medien aufgrund solcher Aktionen vor der »Gefahr eines linken Populismus« in Polen.