Veritable Systemkrise

„Junge Welt“, 20.01.2009

Durch Lohn- und Sozialabbau sowie Steuergeschenke an Unternehmen wuchs seit den 80er Jahren der Profit kräftig und sank die Massennachfrage. Die immensen Gewinne konnten daher kaum in der Realwirtschaft angelegt werden und führten zu Spekulationsblasen

Angesichts der im atemlosen Tempo voranschreitenden Implosion des in den letzten drei Dekaden errichteten, internationalen Finanzsystems ist allenthalben eine hektische Suche nach den Ursachen dieses Zusammenbruchs ausgebrochen, die oftmals in der mit neoliberaler Deregulierung und Liberalisierung einhergehenden Expansion der Finanzmärkte verortet werden.
Der vorliegende Text sieht hingegen bereits die Genese des Neoliberalismus – mitsamt der von den Finanzmärkten dominierten Ökonomie – als die Folge einer fundamentalen Krise des Kapitalreproduktion in der realen, warenproduzierenden Wirtschaft.

Der Aufstieg des neoliberalen, durch die Dominanz der Finanzmärkte geprägten Weltwirtschaftssystems – dessen Finanzüberbau gerade über uns zusammenbricht – resultierte aus der tiefgreifenden ökonomischen Krise der frühen 70er Jahre, die nahezu alle westlichen Industrie­länder erfaßt hatte. Diese Krise beendete eine seit den frühen Fünfzigern anhaltende Periode wirtschaftlicher Prosperität. Die führenden westlichen Wirtschaftsnationen verbuchten zwischen 1950 und 1970 ein rasantes ökonomisches Wachstum, das wesentlich zur Vollbeschäftigung, ja zum Arbeitskräftemangel in etlichen Industrieländern beitrug.

Dieses »Goldene Zeitalter« (Hobsbawm) des Kapitalismus fußte auf einer »inneren Kapitalexpansion« in den avancierten kapitalistischen Ökonomien, innerhalb derer zuvor ausgeklammerte Gesellschafts- und Lebensbereiche für die Kapitalverwertung erschlossen wurden. Durch die stürmisch voranschreitende wissenschaftlich-technische Entwicklung der Produktionsmittel boomten zwischen 1950 und 1970 beispielsweise die Haushaltsgeräteindustrie, die Nahrungsmittelkonzerne, die Unterhaltungselektronik und der zivile Flugzeugbau. Zudem erlebten die ersten Einzelhandelskonzerne und der Massentourismus ihren wirtschaftlichen Durchbruch. Neue Werkstoffe wie Kunstfasern oder Plastik führten zu einer weiteren Umwälzung bereits etablierter Industriezweige.

Im Zentrum dieses langanhaltenden, stürmischen Wachstums stand die Massenmotorisierung. Von der Autobranche ging der größte Impuls für die Massenbeschäftigung bis in die 70er aus. Das vorherrschende Produktionsprinzip bei den Fahrzeugherstellern wie auch in vielen anderen Gewerbezweigen war der Fordismus: Mittels Fließbandproduktion und unter intensivem Einsatz von Arbeitskraft und Maschinen wurden Massengüter hergestellt, die – dank relativ hoher Löhne – in ihren Produzenten zugleich ihre Konsumenten fanden. Begleitet wurde diese Expansionsbewegung des Industriekapitals auf den sich neu formierenden Märkten von der – zur Zeit eine scheinbare Renaissance feiernden – keynesianistischen Wirtschaftspolitik. Im Kern handelte es sich hierbei um einen nachfrageorientierten Politikansatz, der dafür Sorge zu tragen hatte, daß die massenhaft hergestellten Güter auch auf eine massenhafte kaufkräftige (staatliche wie private) Nachfrage trafen.

Tendenzieller Fall der Profitrate

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Die Profitrate für Deutschland bezieht sich auf Westdeutschland 1950 – 1990 und die Bundesrepublik 1991 – 2000. Angaben in Prozent (Quelle: IWF)

Für die nahezu alle westlichen Industrieländer spätestens seit 1973 erfassenden wirtschaftlichen Verwerfungen etablierte sich der Begriff der Stagflation – einer überhandnehmenden Inflation, die mit einer stagnierenden Ökonomie einherging. Die besagte Phase der »inneren Expansion« war ab den 70er Jahren abgeschlossen, so daß sich das rasante Wirtschaftswachstum des »Goldenen Zeitalters« angesichts erschlossener Märkte erschöpfte. Zudem erwies sich der immer enger mit der Industrie verzahnte wissenschaftlich-technische Fortschritt der Produktionsmittel als ein zweischneidiges Schwert: Konnten Produktivitätssteigerungen und neue Technologien bis in die 70er Jahre zur Erschließung neuartiger Märkte beitragen und immer mehr Arbeitsplätze schaffen, als durch Rationalisierungen in älteren Industrien wegfielen, so kippte diese Entwicklung ab 1973.

Ab diesen Zeitpunkt – dem letzten Jahr mit Vollbeschäftigung innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – kehrte die seit Jahrzehnten nicht mehr in den Industrieländern gekannte Massenarbeitslosigkeit zurück. Die immer schneller um sich greifende Rationalisierung und Automatisierung führte dazu, daß immer mehr Waren in immer kürzerer Zeit durch immer weniger Arbeitskräfte hergestellt werden konnten. Neue Industriezweige wie die Mikroelektronik und die Informationstechnik beschleunigten diese Tendenz in den kommenden Dekaden noch weiter, da die neuen Technologien weitaus weniger Arbeitsplätze schufen, als durch deren gesamtwirtschaftliche Anwendung wegrationalisiert wurden.

Dieser qualitative Sprung innerhalb der Verbindung von Produktivkraftentwicklung und Massenbeschäftigung – die ab den 70er Jahren beständig erodierende Verausgabung »abstrakter Arbeit« (Marx) innerhalb der industriellen Kapitalverwertung – ließ die der kapitalistischen Wirtschaftsweise immanenten Widersprüche voll aufbrechen. Der Neoliberalismus trat ab den 80er Jahren gerade mit dem Anspruch an, diese Krisentendenzen zu »überwinden«. Zentral war hierbei der tendenzielle Fall der Profitrate, der sich vollends durchsetzte, als die besagte Phase stürmischer Marktexpansion abgeschlossen war und sich die kapitalistische Konkurrenz auf den gesättigten neuen Märkten auswirkte (siehe Grafik). Wie von Marx im »Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate« (MEW 25, S. 221ff.) dargelegt, läßt die beständige Produktivitätssteigerung durch den Einsatz neuartiger Produktionsmittel (Automatisierung) den Anteil des konstanten Kapitals (Maschinerie) im Verwertungsprozeß steigen und den des variablen Kapitals (Arbeitskraft) sinken. Ein Unternehmen, das durch die Einführung neuer Produktionstechniken mehr Waren in kürzerer Zeit mit weniger Arbeitskräften herstellen kann, erwirtschaftet Extraprofite, da es für seine Produktion weniger als die durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit aufwenden muß, die ja die tatsächliche Wertgröße einer Ware bestimmt (siehe MEW 23, S. 49ff.). Sobald aber der Einsatz der neuartigen Produktionsmittel sich gesamtwirtschaftlich durchgesetzt hat, sinkt die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die zur Herstellung der betreffenden Ware aufgewendet werden muß. Die Extraprofite unseres »innovativen« Unternehmens schmelzen also mit der Zeit dahin.

Da im Produktionsprozeß verausgabte Lohnarbeit (variables Kapital) die Quelle des Mehrwerts bildet, geht diese »Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals« (Marx) bei gleichbleibenden Aufwendungen für das besagte variable Kapital mit einem Fall der Profitrate einher. Der (nun geschrumpfte) Anteil des variablen Kapitals innerhalb des Produktionsprozesses teilt sich bekanntlich in notwendige Arbeitszeit (Lohn) und Mehrarbeit (Mehrwert) auf – die Relation zwischen diesen beiden Elementen des variablen Kapitals konstituiert die Mehrwertrate.

Profit wandert in Finanzmärkte

Hier setzten die neoliberalen »Reformen« der »Reaganomics« von US-Präsident (1981 – 1988) Ronald Reagan und des »Thatcherism« der englischen Regierungschefin (1979 – 1990) Margaret Thatcher an. Sie zielten darauf ab, die sinkende Profitrate durch die Erhöhung der Mehrwertrate zu sanieren. Durch das Absenken der Kosten für die »Ware Arbeitskraft« konnte der Anteil der notwendigen Arbeitszeit am variablen Kapital verkürzt, derjenige der Mehrarbeit verlängert werden. Die Profitraten in den USA konnten sich tatsächlich merklich erholen, wobei dies auf Kosten der amerikanischen Arbeiterklasse geschah. So stagnieren seit der Reagan-Ära die realen, inflationsbereinigten Löhne der US-Bevölkerung. Heute verdienen sie faktisch weniger als 1973.

In dieser objektiv gegebenen Krise des Verwertungsprozesses des Kapitals in den 70er Jahren findet sich auch die Ursache für die überhandnehmende Inflation jener Zeit: Konfrontiert mit weiterhin erhobenen Gewerkschaftsforderungen nach substantiellen Lohnerhöhungen, gingen die Unternehmen dazu über, die Mehrausgaben für die Gehälter auf die Preise ihrer Waren draufzuschlagen. Eine Art lohnpolitischer, die Inflation antreibender Wettlauf setzte ein, in dem Gewerkschaften ihre Lohnforderungen an die immer schneller galoppierende Inflation anzupassen trachteten. Erst die neoliberalen Regierungen brachen den Gewerkschaften im angelsächsischen Raum das Rückgrat und setzten fortan auf den Monetarismus.

In unserem Zusammenhang sind vor allem die Folgen dieser mit Lohndumping, Sozialabbau und Outsourcing einhergehenden neoliberalen Politik von Relevanz. Die von den Neoliberalen eingeleiteten Reformen brachten bald die ihnen immanenten, unüberwindlichen Widersprüche zum Vorschein. Die stagnierenden Löhne, die Steuergeschenke an Wohlhabende und der Sozialabbau ließen tatsächlich bald die Profite und die Vermögen kräftig wachsen, doch zugleich sank die Massennachfrage. Zu den Warenbergen, die keine Käufer fanden, gesellten sich Berge von Kapital, das kaum in der weiteren Warenproduktion profitable Investitionsmöglichkeiten finden konnte. Es drohten somit klassische Überproduktions- und Überakkumulationskrisen. Abhilfe schuf hier der seit den 80er Jahren immer weiter expandierende und fortwährend deregulierte Finanzsektor, der zu einer regelrechten finanziellen Explosion ansetzte, für die sich schnell im angelsächsischen Raum der Begriff »Financialisation of capitalism«, Finanzialisierung des Kapitalismus, etablierte.

Auf scheinbar magische Weise löst die Finanzialisierung dieses spätkapitalistische Dilemma. Die wild wuchernden Finanzmärkte nehmen das überschüssige Kapital auf, die während der Boomphasen diverser Spekulationsblasen generierten Gewinne sorgen hingegen für kaufkräftige – aber auch fiktive, kreditfinanzierte – Nachfrage, die stimulierend auf die Warenproduktion wirkt. Es sind also gerade die im spekulativen Fieber verfangenen Finanzmärkte, die der schwindsüchtigen realen Wirtschaft vermittels Nachfrage auf die Sprünge helfen. Dies ist auch das »Geheimnis« der anscheinend so stürmisch wachsenden US-Konjunktur in den 90ern: Die anhaltende Hightech-Spekulation ermöglichte den langen Aufschwung in der Regierungszeit von William Clinton (1993 – 2001). Die Vorstellung von einem zersetzenden Finanzkapital, das das kerngesunde produzierende Gewerbe mit in den Abgrund der Rezession reißt, stellt somit die Realität geradezu auf den Kopf.

Schwarzes Loch USA

Anhand der letzten Immobilienspekulationen können wir diesen Effekt im Rahmen einer regelrechten »Blasenökonomie« besonders gut studieren. Nach dem US-amerikanischen Ökonomieprofessor Rick Wolff können zwei Drittel des US-Aufschwungs der letzten fünf Jahre auf den wild wuchernden Immobiliensektor der USA zurückgeführt werden, sogar drei Viertel aller neugeschaffenen Arbeitsplätze in diesem Zeitraum sind aufgrund der Immobilienblase entstanden! Der Soziologe John Bellamy Foster faßte diesen Prozeß folgendermaßen zusammen: »Die Wahrheit ist, daß das avancierte kapitalistische System von dem Prozeß der Finanzialisierung (dem Anwachsen der finanziellen Struktur in Relation zur ›realen Ökonomie‹) abhängig war, der sich als das wichtigste Mittel erwiesen hat, die Stagnation in der Produktion und der Investitionstätigkeit in den vergangenen Dekaden zu bekämpfen – beginnend in den 60er Jahren, aber beschleunigend in den 80ern und nochmals zusätzliche Fahrt aufnehmend in den 90ern. Das war es, was vorwiegend das ökonomische Wachstum in den Vereinigten Staaten und anderswo im Zentrum des Systems anspornte – unter Berücksichtigung der Stagnation bei den Investitionen in neue Produktionskapazitäten (die wegen existierender Überkapazitäten niedrig blieben).«

Diese Finanzialisierung erreichte globale Dimensionen, indem sich mit der Zeit Defizitkreisläufe mit den USA als deren Mittelpunkt ausbildeten, die bis heute als eine Art globaler Konjunkturmotor fungieren: Die exportorientierten Länder wie China, Japan oder Deutschland liefern ihre Waren in die USA und investieren das Geld dort sogleich wieder – vornehmlich in deren Finanzsektor. Somit fließen in dem größten pazifischen Defizitkreislauf die chinesischen Waren in Richtung USA und auf dem Rückweg strömt ein geisterhafter Fluß von amerikanischen »Wertpapieren«, oder grün bedruckten Papierzetteln, die liebevoll »Greenback« genannt werden, in Richtung China zurück.

Die Vereinigten Staaten bildeten ein »schwarzes Loch der Weltkonjunktur«, in dem die Überschußproduktion der exportorientierten Volkswirtschaften verschwand. An die 20 Milliarden US-Dollar müssen monatlich in den Finanzsektor der USA fließen, um deren gigantische Defizite auffangen zu können. Das Handelsdefizit zwischen den USA und China betrug beispielsweise 2007 über 250 Milliarden US-Dollar. Die Chinesen leihen den USA somit das Geld, damit diese weiter ihre Produkte kaufen können. Es ist klar, daß die gute Konjunktur der letzten Jahre einfach auf Pump realisiert wurde, insbesondere durch die Verschuldung innerhalb der Vereinigten Staaten.

Inzwischen ist die Gesamtverschuldung der USA in wahnwitzige Dimensionen vorgerückt, die absolut keine Parallelen in der Geschichte dieser größten Volkswirtschaft der Welt aufweisen. Ende März 2008 standen die Vereinigten Staaten mit einer Summe, die 350 Prozent ihrer jährlichen Gesamtwirtschaftsleistung entspricht, in der Kreide! Man könnte dieses System auch als eine Art »privatisierter Keynesianismus« bezeichnen, in dem US-Bürger mit ihrem »deficit spending« (Defizitfinanzierung) die Konjunktur stützen. Dasselbe tut im Endeffekt der amerikanische Staat, dessen Verschuldung ebenfalls längst astronomische Höhen erreicht hat. Global ist dieses System deswegen, weil dieser schuldenfinanzierte Nachfrageboom im Zentrum der globalen Defizitkreisläufe steht, die auch die Volkswirtschaften in Südostasien und Europa über Wasser halten. Es ist dieses auf Pump betriebene weltwirtschaftliche Perpetuum mobile, das das Herzstück der globalen »Finanzblasenökonomie« bildete und nun im Zuge der Finanzkrise zum Stillstand kommt. Die Industrie des »Exportweltmeisters Deutschland« profitierte übrigens von der globalen Defizitkonjunktur im besonderen Maß. Die vermittels Hartz-IV-Gesetzen durchgesetzte Verelendung in der BRD dient der Zurichtung der deutschen Gesellschaft auf die Interessen des exportorientierten, »schaffenden« deutschen Kapitals, dessen Exportoffensive im Rahmen der globalen Defizitkreisläufe eine komplementäre Funktion zum steigenden Handelsdefizit der USA einnahm.

Lohnarbeit verflüchtigt sich

Der Zusammenbruch dieser nahezu drei Jahrzehnte andauernden Ära der Finanzialisierung des Kapitalismus läßt nun die der spätkapitalistischen Produktionsweise innewohnende Krisendynamik voll ausbrechen. Die zum Wesen des Kapitalismus zählende beständige Revolution der Produktivkräfte und die permanenten Produktivitätssteigerungen führen nun zu einer regelrechten »Krise der Arbeitsgesellschaft«, wie der linksliberale bürgerliche Ökonom Jeremy Rifkin konstatiert. Laut Rifkin gingen zwischen 1995 und 2002 über 31 Millionen Industriearbeitsplätze in den 20 größten Volkswirtschaften verloren, wobei jede Region der Welt einen Rückgang der Beschäftigtenzahl in der Industrie verbuchte – und das in einem Zeitraum, in dem die globale Industrieproduktion um 30 Prozent anstieg. Ähnliche Entwicklungen prognostiziert Rifkin für den Dienstleistungssektor, in dem »intelligente Technologien« ebenfalls menschliche Arbeitskraft zusehends überflüssig werden lassen. Die bereits angedeutete, seit den 80er Jahren mit den Umwälzungen der Mikroelektronik und IT-Technik einhergehende »dritte industrielle Revolution« macht Lohnarbeit innerhalb des Reproduktionsprozesses des Kapitals in nie zuvor erlebtem Ausmaß überflüssig.

Es ist kein Zufall, daß ausgerechnet der Fahrzeugbau sich im Zentrum der Wirtschaftskrise befindet. Dietmar H. Lamparter schrieb am 16.10.2008 in Die Zeit über die Auswirkungen erhöhter Produktivität auf die deutsche Autowirtschaft: »Die Crux an der Situation: Selbst wenn die deutschen Hersteller die Verkäufe ihrer Fahrzeuge konstant halten können, wächst mit jedem neuen Modell der Druck auf die Arbeitsplätze. Die Produktivität beim Wechsel von Golf V auf Golf VI sei in Wolfsburg um mehr als zehn Prozent und in Zwickau sogar um mehr als 15 Prozent gestiegen, verriet ein stolzer VW-Chef Winterkorn bei der Präsentation der Neuauflage des wichtigsten Konzernfahrzeugs. Das bedeutet, daß für die Montage der gleichen Zahl von Autos fünfzehn Prozent weniger Leute nötig sind. Wenn also vom Golf VI nicht entsprechend mehr abgesetzt wird, sind Jobs in Gefahr. Genauso läuft es bei neuen Modellen von BMW, Mercedes oder Opel. Teilweise werden dort Produktivitätssprünge von 20 Prozent erzielt.«

Die Lohnarbeit, letzten Endes die Substanz der Kapitalverwertung, »verflüchtigt« sich also aufgrund dieser ureigensten kapitalistischen Dynamik aus dem Akkumulationsprozeß. Der tendenzielle Fall der Profitrate – wie auch die damit einhergehende, von Rifkin konstatierte »Krise der Arbeitsgesellschaft« – scheinen auf eine innere Schranke des kapitalistischen Systems hinzuweisen. Obwohl Lohnarbeit seine Substanz bildet, ist das Kapital als »prozessierender Widerspruch« (Karl Marx) gesetzmäßig bestrebt, den Anteil der Lohnarbeit an seiner Reproduktion immer weiter zu senken. Die Finanzialisierung des Kapitalismus hat diese Krisentendenzen vermittels Defizitkonjunktur, Blasenbildung und Verschuldung für einige Dekaden absorbiert, doch nun brechen sie verstärkt hervor: »Die einzige wirkliche Barriere der kapitalistischen Produktion«, prognostizierte bereits Marx, »ist das Kapital selbst«. Wir befinden uns somit am Vorabend einer veritablen Systemkrise des kapitalistischen Weltsystems. Die sich im Schoße der kapitalistischen Produktionsweise beständig revolutionierenden Produktivkräfte geraten immer weiter in einen fundamentalen Widerspruch mit denselben kapitalistischen Produktionsverhältnissen, die sich zu deren Fesseln wandeln.

Die Aufgabe der revolutionären, antikapitalistischen Linken besteht darin, das öffentliche Bewußtsein über diese höchst gefährliche Situation, die jederzeit in Barbarei umschlagen kann, zu verbreitern und postkapitalistische, jenseits der uferlosen, fetischisierten Kapitalreproduk­tion angesiedelte gesellschaftliche Alternativen zu diesem autodestruktiven, spätkapitalistischen System zu diskutieren und aufzuzeigen. Das Räsonieren über Konjunkturprogramme – die ohnehin nur die mit der Finanzialisierung untergegangene Defizitkonjunktur in staatlicher Regie bis zum Staatsbankrott fortführen werden – können wir getrost der CDU und SPD überlassen. Ein »Zurück« zum bereits in den 70ern in der Krise befindlichen Keynesianismus, zu massiven Konjunkturprogrammen, wird ebenso wirkungslos bleiben wie eine erneute Regulierung der Finanzmärkte. Genauso könnte man einen Krebskranken mit Hustenbonbons zu heilen versuchen.

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