„Junge Welt“, 14.07.2008
Die Investmentbank Goldman Sachs sorgt sich um die Wasserversorgung – und hofft auf weitere Privatisierungen
Die durch den Klimawandel bedingte Verwüstung weiter Landstriche schreitet rapide voran. In Australien ist inzwischen die Kornkammer im Südosten des Landes, das Murray-Darling-Becken, bedroht. Die Regenzuflüsse in das über 3000 Kilometer lange, zwischen den Flüssen Murray und Darling gelegene Gebiet, sanken inzwischen auf den niedrigsten Wert seit über einhundert Jahren. Auf den fruchtbaren Ackerflächen dieser landwirtschaftlichen Region nördlich von Melbourne und westlich von Sydney werden 40 Prozent der Nahrungsmittel Australiens produziert. Doch jüngsten Prognosen von Klimatologen zufolge werden die Regenfälle schon in den kommenden Jahren mit 60 bis 70prozentiger Wahrscheinlichkeit sinken und die Produktivität im Murray-Darling-Becken stark beeinträchtigen, dessen Nahrungsexporte im Wert von 20 Milliarden US-Dollar Asien und den Mittleren Osten versorgten.
In Kalifornien hingegen, das bereits im Juni zu einem Dürregebiet erklärt wurde, bedroht das alljährliche Flammeninferno die nordkalifornische Stadt Paradise, deren 140000 Einhwoner evakuiert werden mußten. Die vergangenen Monate März, April und Mai waren die trockensten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im US-Westküstenstaat. Zudem leidet Kalifornien an einer mehrjährigen Abfolge besonders trockener Winter. Dies ist besonders verheerend, da der Bundesstaat bei seiner Wasserversorgung zum großen Teil auf eine ergiebige Eisschmelze in der Sierra Nevada angewiesen ist. Jüngsten Messungen zufolge erreicht die Schneedecke in diesem ostkalifornischen Gebirgszug nur noch 69 Prozent des Durchschnittswerts vergangener Jahrzehnte, wobei die Schmelzwasserzufuhr in die Flüsse Kaliforniens sogar bei gerade mal 55 Prozent des üblichen Mittelwerts liegt.
Der mit diesen klimabedingten Verwüstungstendenzen einhergehende globale Wassermangel wurde inzwischen auch vom Finanzkapital zur Kenntnis genommen. Eines der größten US-Geldhäuser, die Investmentbank Goldman Sachs, ließ anläßlich ihrer mit der Risikoeinschätzung künftiger Entwicklungen befaßten Konferenz »Top Five Risks« im Juni etliche Experten auflaufen, die vor einem weltweiten katastrophalen Wassermangel warnten. Nach Meinung von Nicolas Stern, ehemaliger Chefökonom der Weltbank und Wirtschaftsberater der britischen Regierung, könnte sich die Wasserkrise als eine »noch größere Gefahr für die Menschheit in diesem Jahrhundert« entpuppen als die steigenden Nahrungsmittelpreise und die Erschöpfung fossiler Energieträger sowie Rohstoffe.
Stern sah in den Auswirkungen des Klimawandels auf den Himalaja eine der schwerwiegendsten Gefahren für die Wasserversorgung eines großen Teils der Menschheit: »Die Gletscher im Himalaja sind der Schwamm, der das Wasser in der Regenzeit zurückhält.« Sie seien aber auf dem Rückzug, und dadurch steige das Risiko »extremer Wasserabflüsse«, bei denen das Wasser direkt in die Bucht von Bengalen fließe und eine große Menge fruchtbarer Erde mit sich reiße, warnte er. Ähnlich der Lage in Kalifornien ist somit auch Südostasien zu einem beachtlichen Teil auf die Wasserzufuhr aus Gebirgszügen – diesmal der Gletscher des Himalaja – angewiesen, die zudem die Wassermenge regulieren, die durch die mächtigen Flußsysteme der Region fließt und somit auch Erosionsprozesse an deren fruchtbaren Uferregionen in Grenzen halten.
Doch sind die Dimensionen an diesem möglichen Zentrum einer künftigen Wasserkrise um einiges größer als an der Westküste der USA. Einige hundert Quadratkilometer des Himalaja sind die Quelle für alle wichtigen Flüsse Asiens: für den Ganges, den Yangtse und den Gelben Fluß. In diesem Gebiet leben aber drei Milliarden Menschen. Das ist die Hälfte der Weltbevölkerung.
Zudem wird in vielen Teilen dieser Region das Grundwasser dermaßen intensiv entnommen, daß die entsprechenden wasserführenden Untergrundschichten auszutrocknen drohen. Selbst ergiebige Regenfälle könnten diese Verluste an fossilen Grundwasser nicht ausgleichen. Das boomende China, dessen Bevölkerung 21 Prozent der Menschheit ausmacht, ist besonders stark betroffen. Auf dessen Territorium finden sich gerade mal sieben Prozent der globalen Wasservorräte. Der Grundwasserspiegel fällt in einigen Regionen Nordchinas durch übermäßiges Abpumpen um ungefähr einen Meter jährlich, in der Henbei-Provinz sogar um drei Meter. Etliche Flüsse Nordchinas sind bereits ausgetrocknet. Auch in Indien fällt das Grundwasser rapide: Im indischen Punjab muß man schon 100 Meter tief bohren, um noch Wasser zu finden.
Die Vorschläge, die während dieser Konferenz für eine der einflußreichsten Investmentbanken der USA ausgebrütet wurden, kommen einer Bankrotterklärung der vom Finanzkapital dominierten Wirtschaftsweise gleich. Goldman Sachs erklärte Wasser zum »Öl des nächsten Jahrhunderts« und empfahl allen Investoren, kräftig in diese Ressource zu investieren. Die Ware Wasser biete künftig »enorme Belohnungen für Investoren, die wissen, wie man während des kommenden Investitionsbooms zu spielen hat«. Genannt werden etliche Konzerne, die es bereits geschafft haben, die Wasserversorgung etlicher größtenteils in Entwicklungsländern gelegener Städte zu übernehmen, was oftmals zur Verteuerung dieses Lebensmittels führte und heftige Auseinandersetzungen nach sich zog.
Die Tageszeitung Die Welt scheint die von Goldman Sachs gesetzten Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Am 6. Juli dozierte das Springer-Blatt über »Wasser als Geldquelle für Anleger«. Demnach hätten sich bereits viele Konzerne der »Lösung des Problems vor allem in Schwellenländern« angenommen und hofften auf hohe Gewinne, wovon auch die Anleger profitieren würden. Die Welt zitiert einen Experten der Fondsgesellschaft Pictet, der eine »zunehmende Privatisierung des Wassersektors« erwartet, die mit einer durchschnittlichen Anhebung des Wasserpreise um 30 Prozent einhergehen würde.