„Junge Welt“, 11.07.2008
Präsident Medwedew will das angeblich ändern, ohne aber die reichgewordenen Staatsdiener zu verprellen
Rußlands neuer Präsident Dmitri Medwedew ist derzeit bemüht, eigene innenpolitische Akzente zu setzen. Es sei eine »Frage der Ehre«, gegen die ausufernde Korruption in Rußland zu kämpfen, erklärte der Staatschef am 2. Juli gegenüber der russischen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Rußland gilt als eines der korruptesten Länder der Welt, und der neue Mann im Kreml hat sich den Kampf gegen die allgegenwärtige Bestechlichkeit auf die Fahnen geschrieben. Er erwarte, daß das neue Antikorruptionsgesetz noch vor Jahresende in Kraft trete, erläuterte Medwedew anläßlich einer turnusmäßigen Sitzung der von der Kreml-Administration ins Leben gerufenen Antikorruptionskommission.
Laut der Nichtregierungsorgansation Transparency International (TI) befindet sich die Korruption zwischen St. Petersburg und Wladiwostok auf einem »extrem hohen Niveau«. In einer von TI erstellten Rangliste befindet sich Rußland auf Platz 127 von 163 gelisteten Ländern – gleich neben Gambia, Swasiland und Honduras. Dennoch gab sich der neue Hausherr im Kreml, der Korruption als einen »Lebensstil« in Rußland brandmarkte und entschiedenen, Gegenmaßnahmen ankündigte, am 2. Juli vor seinen Spitzenbeamten betont liberal. Man müsse zwar ein umfassendes System der administrativen Kontrollen aufbauen, doch sollte die Kampagne nicht »exzessiv« geführt werden. Eine allzu barsche Vorgehensweise gegen Korruption könnte »die Wirtschaft, die Regierung und das gesamte Land auseinanderreißen«, warnte der Präsident, der »sensible, konsistente Aktionen« der Ermittlungsbehörden forderte.
Die Sensibilität Medwedews in dieser Frage wird vollauf verständlich bei einem Blick auf die vom ÂForbes-Magazin erstellte Liste russischer Millionäre, auf der sich viele hochrangige Staatsdiener – unter anderem nahezu die Hälfte der »Beamten« der Präsidialverwaltung – tummeln. Jelena Panfilowa, die Leiterin des Moskauer Büros von Transparency International, appellierte folglich am 7. Juli an den russischen Präsidenten, vor allem gegen die Spitzen des russischen Beamtenapparates vorzugehen.
Laut Panfilowa müßten die Finanzströme, Einkommen und der Besitz der wichtigsten russischen Staatsdiener unter die Lupe genommen werden, da ansonsten die Antikorruptionskampagne scheitern werde: »Du kannst den Schwanz reparieren, solange du willst, aber wenn es um Korruption geht, dann mußt du dich mit dem Kopf beschäftigen, nichts anderes wird dem gesamten Organismus helfen«, erklärte Panfilowa gegenüber der Presse. Dennoch gab sich die TI-Vorsitzende zurückhaltend optimistisch, da diese Kampagne gegen Bestechlichkeit nicht im »Vorfeld einer Wahl« stattfinde, wie die letzte, 2004 von Putin angeordnete Maßnahme dieser Art.
Dem Korruptionskampf soll nach dem Willen Medwedews zudem eine Justizreform folgen, die ein unabhängiges Justizsystem gewährleisten soll. Panfilowa ist der Auffassung, daß diese Maßnahmen auch die »Interessen der russischen Elite reflektieren«, die ihren Reichtum durch ein stabileres staatliches System geschützt sehen will. Eine andere Deutung der bevorstehenden Justizreform bot die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Danach ziele die von Medwedew angestrebte Reform des Rechtssystems darauf ab, die rechtlichen Grundlagen für den »Schutz der Oligarchen von morgen« zu schaffen, die sich im Zuge anstehender Privatisierungen von Staatsbetrieben etablieren würden.