Schwierige Annäherung

30.07.2008
EU-Rußland-Gipfel: Ökonomische Kooperation ausgebaut. Geopolitische Differenzen bleiben bestehen

Das auf dem Gipfel von Chanty-Mansisk eingeleitete Tauwetter zwischen Rußland und der EU lohnt sich für die Deutsche Bank bereits jetzt. Nach Informationen von Spiegel online vom Samstag soll das führende Geldinstitut der BRD eine »zentrale Rolle beim Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Rußland und Deutschland« spielen. Bei der Vereinbarung handelt es sich um ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. So soll der russische Gasgigant Gasprom grünes Licht für Investitionen in den europäischen Energiesektor erhalten haben. Neben dem geplanten Aufbau einer eigenen Infrastruktur für die Distribution von Erdgas will Gasprom auch Geld in Elektrizitätswerke stecken. »Wir studieren die Möglichkeiten von Investitionen in ausländische Elektrizitätaktiva, um die Position von Gasprom zu stärken«, erklärte dessen Chef Alexej Miller.

Der russische Präsident Dmitri Medwedew sprach angesichts dieser Aussichten auf einer Pressekonferenz in Chanty-Mansisk am Freitag folglich von einem »neuen Schwung« in der europäisch-russischen Kooperation. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sah gar ein »neues Kapitel« in den Beziehungen der Europäischen Union zu ihrem größten östlichen Nachbarstaat eröffnet. Neben einer auf dem Gipfel beschlossenen verstärkten Kooperation im Finanzsektor gilt die Aufnahme offizieller Verhandlungen über ein Kooperationsabkommen zwischen Rußland und der EU als das wichtigste konkrete Ergebnis von Chanty-Mansisk. Schon am 4. Juli wird eine erste Runde in Brüssel stattfinden, bei der die Themenbereiche Energie und Wirtschaft, sowie Sicherheit und Außenpolitik eine zentrale Rolle spielen sollen.

Diese Gespräche dürften nach Ansicht von Beobachtern schwierig werden und über Jahre hinziehen. Denn die EU will einen umfassenden Vertrag verabschieden, während sich Rußland möglichst viele Optionen offenhalten möchte – der Kooperationsvertrag dürfe »nicht zu detailliert« ausfallen, erklärte Medwedew in Chanty-Mansisk. Die Europäer pochen insbesondere auf mehr »Verläßlichkeit« bei den Energielieferungen Rußlands, die derzeit 27 Prozent des Öl- und 24 Prozent des Erdgasbedarfs der EU abdecken. Zudem wollen beide Seiten im Rahmen der Verhandlungen Investitionen weitgehend erleichtern.

Bewegung gab es laut der russischen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti auch bei sicherheitspolitischen Fragen: Auf ein »reges Interesse« der europäischen Spitzenpolitiker traf der russische Vorschlag zur Ausarbeitung eines »gesamt­europäischen Sicherheitsvertrages«. Während eines »Gipfels« solle laut russischem Außenminister Sergej Lawrow eine das westliche Bündnissystem betreffende Sicherheitsarchitektur diskutiert werden, die die »gesamte europäische Familie« umfasse, so Lawrow.

Dennoch zeigten die fortbestehenden außenpolitischen Differenzen das weiterhin gegebene Konfliktpotential zwischen Rußland und der EU. So bestehen die Europäer darauf, sich an der »Konfliktregelung im postsowjetischen Raum« – insbesondere im strategisch wichtigen Kaukasus – zu beteiligen. Brüssel kritisierte auch kurz vor dem Gipfel die Haltung Rußlands im Kosovo-Konflikt als »nicht konstruktiv«. Medwedew bekräftigte seine Kritik an der in Osteuropa geplanten US-Raketenabwehr. Rußland und die EU könnten Europa ohne US-Basen schützen, so RIA-Nowosti.

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