„Junge Welt“, 02.04.2008
Steuerreform sieht Senkung der Mehrwertsteuer und Abschaffung der Flat-Tax vor. Investitionsbeschränkungen für westliches Kapital werden erweitert
An Dimitri Medwedew knüpfen sich viele Hoffnungen in Brüssel und Berlin. Vor allem seine liberale Rhetorik war es, die dem neugewählten russischen Staatschef Sympathiepunkte in der Westpresse bescherte. Während des Wahlkampfs sprach sich der designierte Präsident offen für Privatisierungen, eine Stärkung des Unternehmertums und marktwirtschaftliche Reformen aus. Doch die jüngsten sozial- und finanzpolitischen Signale aus dem Kreml lassen eher gemäßigte Sozialdemokraten als neoliberale Ideologen an den Schalthebeln russischer Macht vermuten.
Nachfrage anregen
Im Zentrum einer jüngst vorgestellten Steuerreform steht eine radikale Senkung der Mehrwertsteuer. Diese soll von 18 auf 13 oder zwölf Prozent fallen. Das Wirtschaftsministerium geht davon aus, durch diese Maßnahme einen nachfragegetriebenen Aufschwung in all jenen Bereichen anzuregen, die nicht mit dem boomenden Rohstoff- und Energiesektor in Verbindung stehen. Als Konsequenz der Steuersenkung erhofft man sich im Kreml eine Belebung der verarbeiteten Industrie Rußlands. »Der wichtigste positive Effekt der Steuererleichterungen wird eine Änderung der Qualität des ökonomischen Wachstums sein – die Investitionen werden in Sektoren mit einer hohen Wertschöpfung fließen«, hieß es in einem Brief des Wirtschaftsministeriums an Finanzminister Alexej Kudrin.
Kudrin gilt als einer der wichtigsten Gegner dieser Steuersenkung. Ist doch die Mehrwertsteuer offiziellen Zahlen zufolge für ein Drittel aller Haushaltseinnahmen verantwortlich. Eine solch radikale Senkung würde den Etat über Gebühr belasten, fürchtet der Finanzminister. Zur Zeit muß Kudrin sich gleich mehrerer Initiativen erwehren, die eine Senkung der Steuerlast anstreben. So fordern Finanzkreise vehement die Abschaffung der Abgaben auf Wertpapiertransaktionen, die Ölindustrie dringt auf eine Senkung ihrer Steuerlast – angeblich, um neue Lagerstätten zu erschließen.
Doch bislang scheint der Kreml all diesen Forderungen standgehalten zu haben. Zusätzlich zur Mehrwertsteuersenkung sind noch Steuererleichterungen für Unternehmensinvestitionen in Forschung und Entwicklung in Gespräch. Private soziale Vorsorge soll durch steuerliche Begünstigung von freiwilliger zusätzlicher Renten- und Krankenversicherung angeregt werden. In unverwechselbar sozialdemokratischer Tradition steht auch der einzige größere Nachteil, der den Ärmsten der Armen Rußlands aus dieser geplanten Steuerreform erwachsen würde: der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von zehn Prozent auf Nahrungsmittel soll ebenfalls abgeschafft werden.
Klassisch sozialdemokratisch auch der Vorschlag von Rechnungshofchef, Sergej Stepaschin am 26. März im Fernsehen. Der will ein progressives Steuersystem einführen, um die »soziale Gerechtigkeit« in Rußland wiederherzustellen. In Relation zu den »Lebensrealitäten« der russischen Bevölkerung gebe es zu viele Milliardäre im Lande, deren Anzahl innerhalb der vergangenen acht Jahre von einigen wenigen auf mehrere hundert angestiegen sei: »Nach Zahl der Milliardäre ist Rußland an die zweite Stelle nach den USA gerückt. Das entspricht in keiner Weise dem Umfang unserer Wirtschaft und dem Entwicklungsstand unseres Landes«, wird Stepaschin von der Nachrichtenagentur RUFO zitiert.
Präsident Wladimir Putin ließ bereits 2001 den Wunschtraum aller Neoliberalen wahr werden – einen einheitlichen Einkommenssteuersatz – eine sogeannte Flat-Tax – von 13 Prozent. Zuvor mußten Rußlands Oligarchen sich mit einem Spitzensteuersatz von 30 Prozent abfinden. Damit verfügt die Russische Föderation über die mit Abstand niedrigste Flat-Tax Europas.
Oligarchen zur Kasse
Doch mit diesen paradiesischen Zuständen für Rußlands Oligarchie soll es jetzt vorbei sein. Neben einer Steuerprogression sprach sich auch Stepaschin für eine Senkung der Mehrwertsteuer aus, die er für »wenig effektiv« halte. Die Unternehmen würden diese Steuer größtenteils verrechnen, so das der reelle Anteil der Einnahmen aus diesen Abgaben inzwischen bei nur 14 Prozent des Staatsbudget liege. Man wolle deswegen zukünftig zu einer stärkeren Besteuerung der Unternehmensgewinne übergehen, erläuterte Stepaschin.
Zudem schränkt der Kreml – entgegen liberaler Programmatik – die Zugriffsmöglichkeiten westlichen Kapitals auf weite Bereiche der russischen Ökonomie weiter ein. Laut einem kürzlich verabschiedeten Gesetzespaket unterliegen Investitionen aus dem Ausland in 42 als »strategische Sektoren« definierten Branchen strengen Regeln. Betroffen sind unter anderem der gesamte Rohstoffsektor, die Militär- und Luftfahrtindustrie und weite Teile der Telekommunikationsbranche. Laut Düsseldorfer Handelsblatt sind diese von den Investitionsbeschränkungen betroffenen Branchen für gut die Hälfte des russischen Bruttosozialprodukts verantwortlich. Alle ausländischen Unternehmensübernahmen in diesen Sektoren müssen zukünftig von einer Regierungskommission genehmigt werden. Zudem erhielt der russische Geheimdendient, dessen Vertreter in etlichen Staatsunternehmen führende Positionen bekleiden, ein Mitspracherecht in diesem Entscheidungsprozeß.
Außerhalb dieser strategischen Sektoren wird weiter munter privatisiert. So wird sich beispielsweise der russische Staat bald von seinem 25-prozentigen Anteil an RosGosStrach, dem größten Versicherungskonzern des Landes, trennen. Der Versicherer, für den nahezu 100000 Angestellte arbeiten, zähle nicht zu den strategisch wichtigen Unternehmen des Landes, hieß es in einer Einschätzung des russischen WirtschaftsministeÂriums.