„Junge Welt“, 22.03.2008
Die überwiegende Mehrheit von Polens Medien und Politikern hält sich angesichts der kürzlich bekanntgewordenen Details zu den Planungen für eine in Berlin zu errichtende Erinnerungsstätte zu Flucht und Verteibung nach dem Zweiten Weltkrieg auffällig zurück. Damit folgt die polnische Öffentlichkeit in weiten Teilen der vom neuen Premier Donald Tusk ausgegebenen Linie, der zufolge Polen Distanz zu diesem Unterfangen wahren solle, das zu einer »innerdeutschen Angelegenheit« erklärt wurde. Einzig die Zeitung Rzeczpospolita, die dem Umfeld der rechtskonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) des ehemaligen Regierungschefs Jaroslaw Kaczynski zugeschrieben werden kann, widmete den zum »sichtbaren Zeichen« mutierten »Vertiebenenzentrum« eine ausführliche, kritische Berichterstattung.
Besonders bitter stößt der Rzeczpospolita dabei auf, daß diese revanchistische Nabelschau im »Zentrum Berlins«, unweit der Ausstellung »Topografie des Terrors«, die sich der Dokumentierung des faschistischen Massenmordprogramms und seiner Institutionen widmet, errichtet werden soll. Dieser Darstellung des deutschen Massenterrors gesteht das zuverlässig geschichtsbereinigte Deutschland mit knapp 1000 Quadratmetern gerade mal die Hälfte des Raumes zu, den die »Vertriebenenverbäne« mit über 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche bald zur Projektion ihrer historischen Zerrbilder in Beschlag nehmen werden.
Die Rzeczpospolita zitiert überdies aus internen Planungen der Projektgruppe um Kulturstaatsminister Bernd Neumann, die dem Blatt zugespielt wurden. Die Exposition solle vor allem an die »Emotionen« appellieren. »Die Erinnerung und das Erinnern soll eine emotionelle – Empathie auslösende – Herangehensweise an das Thema fördern«, zitiert die Rzeczpospolita. Begründet wird dies – auch innerhalb der Kulturbürokratie der BRD scheinen die PISA-Studien ihre Spuren hinterlassen zu haben – mit dem »fehlenden Fachwissen der Besucher«, das eine solch »allgemeine Form der Präsentation« nötig machte.
Zudem werde es sich bei diesem Projekt – eigentlich kaum überraschend – um ein rein deutsches Unterfangen handeln, da »Ausländer nur in beratenden Gremien Platz finden« dürfen, berichtete das Blatt. Für Verbitterung innerhalb der kritischen polnischen Öffentlichkeit sorgt vor allem die Tatsache, daß den deutschen Berufsvertriebenen und ihren Verbänden im Stiftungsrat des »sichtbaren Zeichens« schon jetzt feste Plätze zugesagt wurden. Damit würden »Historiker der Vertriebenverbände« über ein wichtiges Kapitel des letzten Krieges mitentscheiden, befürchtet der polnische Publizist Piotr Semka. Die Konzeption dieses Projekts »bestätigt alle Befürchtungen« Polens, schlußfolgerte Semka. In den »Kreisen der Vertriebenenverbände« herrsche eine »riesige Freude«, da das »sichtbare Zeichen« aufgrund seiner Konzeption mit einem seit Jahren von der Chefin des »Bundes der Vertriebenen«, Erika Steinbach, verfolgten geschichtsrevisionistischen Projekt eines »Zentrums gegen Vertreibungen«gleichÂgesetzt werde, berichtete zudem der Journalist Piotr Jedroszczyk (Rzeczpospolita).