„Junge Welt“, 04.03.2008
Neuer energiepolitischer Coup Moskaus: Der Kreml kann mit Ungarn das letzte Transitland zur Teilnahme an der geplanten Southstream-Gasleitung gewinnen
Polens wichtigste meinungsbildende Tageszeitung, die rechtsliberale Gazeta Wyborcza, tönte in ungewohnt schrillen Tönen, um den neuesten energiepolitischen Coup Rußlands zu kommentieren. Ungarn habe mit seiner Zustimmung zur Southstream-Pipeline »Mitteleuropa an Gasprom verkauft«, klagte die Wyborcza. Während seiner Moskau-Visite am 28. Februar wohnte der ungarische Regierungschef Ferenc Gyurcsány gemeinsam mit dem scheidenden russischen Präsidenten Wladimir Putin der Vertragsunterzeichnung über die Verlegung der vom russischen Gasmonopolisten Gasprom und dem italienischen Versorger Eni geplanten Pipeline über ungarisches Territorium bei. Mit Ungarn stimmt das letzte Transitland der Beteiligung an der Southstream-Pipeline zu, die als Konkurrenzprojet zur europäischen Nabucco-Gasleitung gilt. Ab 2013 soll diese Gasleitung bis zu 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas befördern.
Southstream wird auf dem Meeresgrund des Schwarzen Meeres verlaufen und sich in Bulgarien in eine westliche, nach Italien führende sowie in eine nördliche Gasleitung teilen, die über Serbien und Ungarn verlegt wird. Für Wladimir Putin ist das Projekt ein krönender Abschluß seiner Präsidentschaft, der Rußland einen entscheidenden Schritt zur Realisierung des Konzepts eines »Energieimperiums« voranbringt. Ähnlich der von Gasprom in Kooperation mit Berlin geplanten Ostseepipeline (Northstream) werden auch bei Southstream wichtige bisherige Transitländer umgangen. Sind es bei Northstream Polen, das Baltikum und Belarus, die zukünftig vom Energietransit ausgeschlossen werden, so ist es bei Southstream die Ukraine.
Zudem kann Rußland durch diesen raschen Vertragsabschuß der von EU und USA favorisierten Nabucco-Pipeline, die kaspisches Erdgas nach Europa befördern sollte, um es von russischen Energielieferungen unabhängiger zu machen, einen weiteren Schlag versetzen. Auf die sofort nach Vertragsunterzeichnung einsetzende harsche Kritik aus Washington reagierten beide Partner mit Beschwichtigungen. Ungarische Regierungsvertreter betonten, daß die Southstream-Pipeline keinesfalls »andere Projekte« behindern werde. Ähnlich äußerte sich Präsident Putin. Kurz vor der Vertragsunterzeichung tauchte in den ungarischen Medien eine Erklärung der US-Außenministerium auf, in der Ungarn in eindringlichen Worten zur Teilnahme am Nabucco-Projekt aufgefordert wurde.
Die einzige Hoffnung des Westens, die russische Pipeline doch noch zu sabotieren, liegt in der Ukraine, da die energiepolitischen Auseinandersetzungen zwischen Kiew und Moskau immer noch weiterschwelen. Die im Schwarzen Meer zu verlegende Pipeline-Route verläuft nach Informationen des Kommersant auf dem Festlandsockel der Ukraine, und dies sei Kiews »ökonomische Zone«. Hier bestehe also weiteres Konfliktpotential, da Kiew dies »gegen Moskau instrumentalisieren könnte«, erläuterte das Blatt in seiner ukrainischen Ausgabe.
Doch auch das Nabucco-Projekt, das immer noch nicht über ausreichende Lieferzusagen verfügt, um die Transportkapazität der Pipeline auszulasten, sieht sich vor neuen Problemen. Nach Vorschlägen der Türkei soll Rußland an der Gasleitung, die zum Großteil über türkisches Territorium verlaufen soll, beteiligt werden. Hierdurch sabotiere Ankara den Zweck der Pipeline, der laut Handelsblatt vom 29. Februar darin bestehe, »Europa unabhängiger von russischen Gaslieferungen zu machen«.